Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wahlparty der AfD Erst versteinerte Gesichter – dann knallen die Korken doch
Auf anderen Wahlpartys wird um 18 Uhr gefeiert, bei der AfD scheint der Abend nach der ersten Prognose gelaufen zu sein. Doch dann wurde es noch eine lange Nacht. t-online.de berichtet aus Hamburg.
Als nach der Schließung der Wahllokale die erste Prognose der Bürgerschaftswahl Hamburg hereinkommt, wird vielerorts gejubelt. SPD und Grüne feiern. Doch im kleinen, biederen Versammlungsraum unter blassen Leuchtröhren der AfD-Landeszentrale in Hamburg herrscht für einen Moment Friedhofsstille.
Die Parteianhänger im Raum scheinen fassungslos – mit den prognostizierten 4,7 Prozent würden sie aus dem Parlament fliegen. Es wäre eine historische Schlappe: Zum ersten Mal wäre die Partei bei der Wiederwahl an der Fünfprozenthürde gescheitert.
Statt Sekt und Siegestanz, versteinerte Gesichter im Raum. Keiner spricht, nicht einmal die Dutzend Journalisten, die ihre Kameras auf die Parteifunktionäre und Kandidaten halten, wagen sich, sich zu rühren. Als einige der AfD-Anhänger den Raum verlassen wollen, kommt doch Bewegung ins Spiel. Die Hamburger Rechtspopulisten haben prompt die Erklärung für das Wahlergebnis entdeckt: Zum einen werde alles "von oben gesteuert" hört man jemanden aus der Menge sagen. Und man beschwichtigt: "Es ist nur eine Prognose". Die lagen ja bekanntlich oft daneben. Bei der Befragung traue sich ja gar niemand, das Kreuzchen bei der AfD zu machen, heißt es. "Wir warten Mal den Abend ab", so lautet die Erklärung der Parteimitglieder zunächst.
Draußen die "jungen Wilden"
Dabei war die Stimmung noch wenige Minuten zuvor an diesem Wahlsonntag in der AfD-Landeszentrale gegenüber der Petrikirche eine ganz andere. Draußen standen geschätzt dreißig Polizeibeamte gut fünfzehn Demonstranten mit Bannern im Nieselregen gegenüber.
Drinnen drängten sich rund vierzig Personen in die engen Räume der Parteizentrale. Einen anderen Ort hatte man nicht bekommen können. In der Garderobe drücken sich zwei ältere Herren höhnisch aus: "Die jungen Wilden mit ihren Plakaten", nennen sie die Protestler, die vor der Tür "Nazis raus" skandieren. Da ist es noch kurz vor 18 Uhr, noch ist die Laune gut. Die AfD-Anhänger sind sich sicher, dass ihre Partei ein ordentliches Ergebnis einfahren wird.
Doch schon um 18.03 Uhr lacht niemand mehr. "Wir haben mit sieben Prozent gerechnet," sagt Listenkandidatin Anne Schwieger sichtlich enttäuscht. Ihr Kollege Detlef Ehlebracht, Listenplatz fünf, glaubt, den Grund dafür zu kennen. t-online.de gegenüber sagt er: "Wir hätten in unserer parlamentarischen Arbeit nichts besser machen können." Daher stimme er dem stellvertretenden AfD-Sprecher in Hamburg, Alexander Wolf, zu: "Die mediale Berichterstattung der letzten zwei Ereignisse – in Thüringen und Hanau – ist keine Rückendeckung gewesen." Von "Medienhetze" hört man auf der Wahlparty auch viele andere reden.
Gegen 19.20 Uhr tritt der Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla vor die Kameras. "Wie fühlt es sich an, wenn die AfD hier zum ersten Mal aus dem Parlament fliegt", will eine Journalistin wissen. Chrupalla bleibt stoisch: "Der Abend ist noch lang. Das werden wir erst mal abwarten." Woran das schwache Abschneiden gelegen hat, müsse man im Nachgang analysieren, so Chrupalla. "Alles andere wäre Kaffeesatzleserei".
Mit dem langen Abend sollte er jedenfalls recht behalten. Denn kurz vor 20 Uhr schallt es durch die Räume: 4,9 Prozent laut neuester Hochrechnung! Medienvertreter, AfD-Politiker und Anhänger rauschen zurück in den Versammlungsraum, wo der Live-Stream des ARD über den Beamer läuft. "Wird doch noch eine Fünf", ist sich Kandidat Wolf sicher. Draußen sind die Demonstranten und die Polizei bereits abgezogen. Drinnen bei der Wahlparty heizt sich die Stimmung nun ein.
Die Korken knallen erst mal leise
Wenig später liest ein anderer Kandidat die neuste Hochrechnung von seinem Handy ab: über fünf Prozent – "Ja, ja!" schallt es durch den Raum, als hätte gerade jemand ein Tor geschossen. "Was wir prophezeit haben, ist nun eingetreten", betont Wolf.
Gegen 21 Uhr kommt Spitzenkandidat Dirk Nockemann wieder in den Raum, er wirkt sichtlich zufrieden und voller Genugtuung. Der ARD-Livestream startet wieder. "Eine Wahl in Hamburg, die wenig verändert", leitet die Fernsehmoderatorin die Sendung ein. Nockemann grinst inmitten seiner Parteifreunde.
Der Erfolg der AfD ist kein Selbstläufer
Auch wenn die AfD die nächste Hochrechnung (jetzt 5,1 Prozent!) mit Sekt begießt, so ganz beim Alten bleibt für sie nichts. Fast wären die Rechtspopulisten erstmalig aus einem Landesparlament geflogen. Die AfD musste sich durch den Abend zittern. Die Partei musste einen Dämpfer hinnehmen. Es zeigt sich in Hamburg, dass der Erfolg der AfD kein Selbstläufer ist.
Als sich gegen 23 Uhr die letzten Medienvertreter von der Party verabschieden, gibt es unter den AfD-Mitgliedern Schulterklopfen und Glückwünsche – und noch ein Gläschen Sekt. Die Nacht in der Zentrale geht zu Ende. Dabei hat die Arbeit gerade erst begonnen.
- Eigene Beobachtungen vor Ort