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Verkehrswende in Berlin: "Wir erfinden die Stadt neu"


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Verkehrswende in Berlin
"So einen Plan hat es noch nie gegeben"

InterviewVon Markus Abrahamczyk und Madeleine Janssen

Aktualisiert am 14.02.2020Lesedauer: 12 Min.
S-Bahnzug auf der Berliner Ringbahnstrecke (Symbolbild): Die Verkehrssenatorin der Hauptstadt will den öffentlichen Nahverkehr massiv ausbauen.Vergrößern des Bildes
S-Bahnzug auf der Berliner Ringbahnstrecke (Symbolbild): Die Verkehrssenatorin der Hauptstadt will den öffentlichen Nahverkehr massiv ausbauen. (Quelle: Rüdiger Wölk/imago-images-bilder)

Berlins Verkehrssenatorin hat viel vor: Benziner und Diesel sollen bis 2030 verschwinden. "Wir erfinden die Stadt neu", sagt Regine Günther.

Im Bundesrat haben die Länder am Freitag die Einführung eines generellen Tempolimits auf deutschen Autobahnen abgeblockt. Dass der Vorstoß überhaupt in der Länderkammer gelandet ist, dafür zeichnete Berlin verantwortlich. Genauer: die Berliner Verkehrssenatorin Regine Günther. Die Grünen-Politikerin mischt mit ihren Ideen zur Mobilität der Zukunft die Stadt auf.

Zuletzt entfachte sie Diskussionen, als sie ankündigte: Bis 2030 sollen Verbrennermotoren aus der Stadt verschwinden. Der Vorstoß ist Teil ihres Mobilitätsgesetzes, das vor eineinhalb Jahren verabschiedet wurde. Es entbrannte eine Diskussion darüber, ob das Gesetz auch als Vorbild für andere Städte gelten könnte. Weg vom Auto, hin zu fußgänger- und fahrradfreundlichen Straßen, ein Hoch auf den ÖPNV, viel Grün, die pure Lust am Draußensein, und damit gleich noch der Klimakrise ein Schnippchen schlagen.

Nur: So einfach ist es nicht. Allein die Bestandsaufnahme der Probleme, etwa der Radverkehrsplan, zieht sich in der Hauptstadt hin. Die Prüfung, wie es baulich um das Radverkehrsnetz bestellt ist, zieht sich hin. Manche Bezirke rufen das Geld, das ihnen für die Förderung der Radinfrastruktur zur Verfügung gestellt wird, nicht ab.

Regine Günther ärgert sich über manche dieser Misserfolge. Sie sagt im Interview mit t-online.de aber auch: "Von heute auf morgen geht da nichts. Jeder, der diese Illusion aufruft, wird scheitern." Wenn also Mobilitätsvorbilder wie Kopenhagen oder Amsterdam noch etwas von Berlin lernen können, dann die Beharrlichkeit. Und vielleicht ein wenig Selbstironie, wenn ein Plan nicht sofort aufgeht.

t-online.de: Frau Günther, das Tempolimit auf Autobahnen wurde im Bundesrat abgelehnt. Sind Sie enttäuscht?

Regine Günther: Das ist bedauerlich, weil Klimaschutz und Verkehrssicherheit von dieser sehr einfachen Maßnahme profitiert hätten.

Sie sind Verkehrssenatorin in Berlin. Wie sieht eigentlich Ihre Traumstadt aus?

Die Stadt ist sicher, sauber, leise, es gibt sehr viel Grün, sie ist klimafreundlich und klimaangepasst, die Menschen leben in gemischten Quartieren. Im Kern geht es in einer lebenswerten Stadt erstens um die Nutzung der zur Verfügung stehenden Fläche – sie ist heute das wertvollste Gut, das fair zwischen den unterschiedlichen Nutzungsarten verteilt sein muss. Zweitens um das Wirtschaften ohne klimaschädliche Treibhausgasemissionen. Und drittens um Ressourceneffizienz.

Was heißt das für die Straßen in der Hauptstadt?

Wenn ich dies nur auf den Mobilitätsbereich anwende, ist die Aufgabe, kurz gesagt, die motorisierte Mobilität auf Basis des fossilen Verbrennungsmotors schnellstmöglich zu beenden...

... Sie wollen Benziner und Diesel bis 2030 aus der Stadt verbannen.

Der öffentliche Raum soll so gestaltet werden, dass mehr Menschen Rad fahren, zu Fuß gehen oder den ÖPNV nutzen wollen, der schnell, zuverlässig und bequem ist. Die Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur ist in den kommenden Jahren konsequent zu verbessern. Dafür ist das neue Mobilitätsgesetz die Grundlage.

Das heißt, alle Radwege sollen jetzt mit Pollern abgetrennt und grün angemalt sein?

Sie sollen viel sicherer werden und dafür sind je nach örtlicher Gegebenheit unterschiedliche Lösungen zu finden. Die Stadtbezirke sind da gefragt: Was heißt Sicherheit für Radfahrer in einem 80 Meter breiten Straßenraum und was heißt es für einen Bereich, der nur 20 Meter breit ist? Dies müssen wir Straße für Straße beantworten, gemeinsam mit den Bezirken. Mit der Grünfärbung wollen wir die Sichtbarkeit des Radweges erhöhen und die Radfahrenden besser schützen. Wir bringen langfristig eine markante Präsenz des Radverkehrs in die Stadt, der seine stark gewachsene Bedeutung unterstreicht – und auch seinen Platzanspruch auf der Straße.

Allein in den ersten sechs Wochen des neuen Jahres sind in Berlin fünf Radfahrer tödlich verunglückt.

Ja, ich war selbst auf der Mahnwache vor ein paar Tagen an der Kantstraße. Das ist ein schlimmer Jahresbeginn, der die Dringlichkeit, die Verkehrssicherheit zu verbessern, noch einmal sehr deutlich macht. Wir haben begonnen, die Radinfrastruktur in der Stadt umzubauen, etwa mit pollergeschützten Radwegen. Aber das sind oft Großprojekte mit umfangreichen Planungen. Deshalb werde ich in den nächsten Wochen zu einem Runden Tisch Verkehrssicherheit einladen, damit die verantwortlichen Stellen und auch die Rad-Initiativen über kurzfristige Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit beraten.

Heißt das, die teilweise sechsspurige Frankfurter Allee wird in den nächsten 20 Jahren auf eine Fahrspur pro Richtung reduziert und der Rest wird bepflanzt und mit Bänken verschönert?

Wir beginnen jetzt mit einem geschützten Radweg stadtauswärts, für den eine Autospur entfällt.

Ihr Antrag, nur noch Lkw mit Abbiegeassistenten in die Stadt fahren zu lassen, ist gescheitert. Ist das Thema damit vom Tisch?

Es ist für mich schwer verständlich, warum wir in Deutschland auf EU-Regelungen warten sollen, die erst in ein paar Jahren greifen können. Wien hat jetzt einen interessanten Vorstoß gewagt und will ein Rechtsabbiegeverbot für Lkw ohne Abbiegesysteme erlassen. Wir prüfen, ob dies nach deutschem Recht auch ginge. Bisher steht die bundesweite Straßenverkehrsordnung dagegen – leider.

Der Senat hat im Dezember die "Klimanotlage" beschlossen. Was erhoffen Sie sich davon?

Im Senatsbeschluss steht das Ziel, noch vor 2050 die klimaschädlichen CO2-Emissionen Berlins über die bisherige Zielsetzung von 85 Prozent – gegenüber dem Stand von 1990 – hinaus zu reduzieren. Berlin hat als erstes Bundesland die Klimanotlage anerkannt, auch das Abgeordnetenhaus hat inzwischen einen entsprechenden Beschluss gefasst. Jetzt entwickeln wir konkrete Maßnahmen, um diese Beschlüsse mit Leben zu füllen. Ich habe dazu eine Reihe von Vorschlägen vorgelegt, etwa die Solarpflicht für Neubauten sowie emissionsfreie Fuhrparks.

Ihr Prestigeprojekt ist das Mobilitätsgesetz. Der Senat hat es vor eineinhalb Jahren verabschiedet, es ist ein Novum in Deutschland. Andernorts hat es Initiativen ermutigt, Volksentscheide für ein ähnliches Gesetz anzustreben. Doch in Berlin selbst gilt es als Papiertiger. Viele Vorgaben sind weit von ihrer Umsetzung entfernt. Zum Beispiel der Radverkehrsplan. Zum Beispiel die Erfassung des baulichen Zustands des Radverkehrsnetzes. An manchen Stellen ist unklar, wer zuständig ist. Manche Bezirke rufen das Geld, das für den Radverkehr im Haushalt vorgesehen ist, nicht einmal ansatzweise ab. Sind Sie nach der Verabschiedung des Gesetzes schon mal an der Bürokratie in der Stadt verzweifelt?

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Ich teile die Einschätzung nicht, das Mobilitätsgesetz gelte als Papiertiger. Wir haben teils extrem kontroverse Debatten, auf allen Ebenen, über die Flächenverteilung. Die Verkehrswende ist eines der Top-Themen in der Stadt – und es wird auch nicht vorangehen ohne diese teils harten Auseinandersetzungen. Die Nutzung des Stadtraumes muss neu ausverhandelt werden. Und wir sind gerade erst dabei, die Grundlagen für die dringend notwendigen Änderungen zu schaffen.

Warum fangen Sie erst jetzt damit an?

Wir haben 15 Jahre Austerität hinter uns. Wir haben eine Verwaltung, die bis vor Kurzem so kaputtgespart war, dass sie nicht einmal in der Lage war, marode Brücken beizeiten zu sanieren. Jetzt können wir wieder Geld ausgeben – nun fehlt es eher am Personal. Denn um Geld auszugeben, brauchen Sie auch Leute, die es verplanen und verbauen. Genau diese Leute stellen wir jetzt ein.

Wie kommen Sie denn mit der Umgestaltung des öffentlichen Nahverkehrs voran?

Wir haben bereits jetzt die Basis für einen – ohne jede Übertreibung – beispiellosen Ausbau des ÖPNV geschaffen, denn Bahnen und Busse sind das Rückgrat der modernen Mobilität in der Großstadt: Der Senat hat einen Nahverkehrsplan mit einem Volumen von mehr als 28 Milliarden Euro bis ins Jahr 2035 verabschiedet. Wir werden 40 Prozent mehr Straßenbahnen, 30 Prozent mehr U-Bahnwagen und 20 Prozent mehr S-Bahnwagen zur Verfügung haben. Wir erweitern das Tramnetz um fast 25 Prozent, wir verdichten die Takte gerade auch in den Außenbezirken. Wir stellen die komplette Busflotte der BVG, die größte Deutschlands, bis 2030 auf Elektroantrieb um.

Die Mieten in Berlin steigen, viele ziehen ins Umland. Doch zahlreiche Pendler beklagen eine schlechte Anbindung an die Stadt.

Wir bereiten die größte Ausschreibung in der S-Bahngeschichte für das Berliner Netz vor. Gemeinsam mit Brandenburg und der Deutschen Bahn bauen wir zugleich acht wichtige Pendlerstrecken auf der Schiene aus – ein zusätzliches Milliardenprojekt. Es gibt zwar immer noch Leute, die behaupten, es sei ja bisher nichts passiert – aber das glatte Gegenteil ist richtig: Es ist enorm viel passiert. Auf der Schiene und auf der Straße wird all das ankommen, allerdings erst später. Denn es handelt sich um Infrastrukturinvestitionen. Von heute auf morgen geht da nichts. Jeder, der diese Illusion aufruft, wird scheitern. Die wesentliche Arbeit liegt darin, dies alles robust aufs Gleis zu setzen. Genau das tun wir gerade.

Damit keine Menschen mehr auf den Straßen sterben, verfolgen Sie die sogenannte "Vision Zero". Was steckt dahinter?

Der gesamte Ausbau der Radinfrastruktur wird grundlegend auf sehr hohe Standards bei der Verkehrssicherheit ausgelegt. Genau das ist der Grund, warum wir – in dieser Form einmalig in Deutschland – geschützte Radfahrstreifen bauen, wie sie sich an der Karl-Marx-Allee im Bau befinden oder an der Hasenheide und in der Holzmarktstraße schon umgesetzt sind. Wir werden bis Mitte 2020, wie es im Mobilitätsgesetz steht, 30 gefährliche Kreuzungen sicherer gemacht haben, die unsere Unfallkommission systematisch durchprüft. Wir erarbeiten derzeit einen neuen Leitfaden mit Best-Practice-Lösungen für sicheres Kreuzungsdesign.

Was können Sie von Amsterdam, Kopenhagen und Paris lernen?

Wir haben Experten aus den Niederlanden eingeladen, um mit ihnen über Berlins Knotenpunkte und ihre spezifischen Probleme zu reden. Ich selbst war in Kopenhagen, wo die Radinfrastruktur bereits seit Jahrzehnten ausgebaut wird. Natürlich sind die weiter als wir. Aber auch dort werden immer wieder neue Lösungen entwickelt, weil es kein Patentrezept gibt, das auf alle Städte, Situationen und Traditionen passt. Wir werden daher passgenaue Berliner Lösungen entwickeln.

Trotzdem müssten Sie sagen können, ob der Radverkehrsplan wie geplant bis Juli 2020 fertig wird. Solche Termine kommen ja nicht aus dem Blauen heraus.

Wir arbeiten intensiv auch am Radverkehrsnetz, das wir übrigens komplett neu konzipieren. Natürlich ist es unser Ziel, den Termin zu halten, aber wichtiger ist aus meiner Sicht die sorgfältige, gründliche Arbeit an einem Plan, den es in den 70 Jahren autogerechter Stadtentwicklung so noch niemals gegeben hat.

Das Geld ist da, aber es gibt niemanden, der die geplanten Projekte umsetzen kann. Deutschlandweit fehlen Planer, Bauarbeiter, Handwerker. Gleichzeitig kämpft Olaf Scholz im Bund erbittert um seine schwarze Null. Ärgern Sie sich über den Investitionsstau?

Das jahrelange Sparen auch bei den Investitionen, um die schwarze Null zu halten, bedeutet im Kern nur, Infrastrukturschulden anzuhäufen. Ich halte die vergangene Politik in diesem Sinne für einen Kapitalfehler. Nun stehen wir vor der doppelten Herausforderung, sanieren und ausbauen zu müssen, wofür uns aber heute das Fachpersonal fehlt. Sehr eindrücklich sieht man das auch in den Berliner Bezirken: Das Land hat sich verpflichtet, zwei Radplaner für jeden Bezirk zu finanzieren. Manche Bezirke haben bis heute keine Planer finden können, bei anderen arbeiten diese Radplaner in der Tiefbauplanung, weil es auch dort zu wenig Leute gibt. Und Ausschreibungen enden oft ohne Angebote, weil gerade die Baufirmen ohnehin überlastet sind.

Sie lehnen die Idee der schwarzen Null also ab.

So apodiktisch würde ich das nicht sagen. Die schwarze Null ist in bestimmten Bereichen sicher keine falsche Orientierung. Aber an der Infrastruktur sollte nie gespart werden, dies wird sich immer sehr schnell rächen. Siehe die marode Brückeninfrastruktur in Berlin.

Mal etwas Einfaches: Tempo 30 überall in der Innenstadt – das könnte man eigentlich ab dem Sommer einführen, oder?

Tempo 30 auf Hauptstraßen ist augenblicklich nur mit Bundesrecht zu machen. Deshalb muss hier der Bundesverkehrsminister mitmachen. Wenn die Straßenverkehrsordnung geändert würde, ist das möglich. Ich könnte mir das auf mehr Straßen als bisher gut vorstellen.

Sofort ab Juli?

Das liegt, wie gesagt, beim Bund. Entschleunigung ist ein sehr wichtiger Punkt, um zu mehr Verkehrssicherheit in hochverdichteten Räumen zu kommen. Auf vielen Straßen wäre Tempo 30 aber sogar eher eine Beschleunigung als Entschleunigung.

Sie denken an die Staus, in denen Berliner Autofahrer ständig stecken.

Zum Beispiel.

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Tempo 30 würde auch die Emissionen verringern. Acht Streckenabschnitte sind in Berlin aktuell wegen zu hoher Stickoxidwerte gesperrt. Als Autoredakteur wüsste ich gern: Wie lange müssen Autofahrer sich noch mit diesen Sperrungen herumschlagen?

Kurze Gegenfrage: Was heißt denn Autoredakteur?

Ich bin fürs Fahrrad, berichte aber über Autos.

(Günther lacht)

Eigentlich betrachte ich mich lieber als Mobilitätsredakteur.

Verstehe. Zu Ihrer Frage: Die letzten Diesel-Durchfahrtverbote in Mitte werden gerade eingerichtet, es geht insgesamt um knapp drei Kilometer im 5.400 Kilometer langen Berliner Straßennetz. Diese Durchfahrtverbote bewirken auf höchstbelasteten Straßenabschnitten örtlich eine Luftverbesserung. Solange die Grenzwerte überschritten werden, bleiben auch die Durchfahrtverbote.

Anders gefragt: Was denken Sie, wann die Grenzwerte unterschritten werden?

Die Frage ist, wie weit die Grenzwerte wirklich dauerhaft unterschritten werden. Wir werden also zunächst das gesamte Jahr 2020 abwarten und unsere Messungen detailliert auswerten. Wenn stickoxidlastige Autos schnell von den Straßen verschwinden oder nachgerüstet werden, dann können auch die Werte rasch sinken.

Diesel-Fahrverbote gibt es unter anderem auch in Stuttgart, Hamburg und Darmstadt. Wer nun klimafreundlicher unterwegs sein will, hat es nicht so leicht. Denn E-Autos sind immer noch sehr teuer und wegen ihrer geringen Reichweite und der mangelhaften Ladeinfrastruktur unattraktiv. Wer trotzdem durch die Stadt fahren muss, umgeht einfach die Sperrungen und verpestet mit seinem Diesel eben andere Straßen – oder?

Man muss hier schon klar sagen, wer Verursacher ist: Hätte die Autoindustrie die auf dem Papier versprochenen Abgaswerte eingehalten, dann gäbe es das Problem gar nicht. Und als der Betrug offenbar wurde, hat der Bund keine adäquaten Lösungen durchgesetzt. Richtig wäre gewesen, die nötigen Nachrüstungen auf Kosten der Verursacher, also der Autohersteller, anzuordnen. Stattdessen wurde das Problem den Kommunen aufgeladen. Diese sollen nun über ihre Luftreinhaltepläne den gebotenen Gesundheitsschutz garantieren. Dies machen wir so gut wie möglich. Durchfahrtverbote sind nur eine Behelfslösung. Und was die Ausweichrouten angeht: Ein Durchfahrtverbot wirkt örtlich dort, wo die Belastung mit Stickoxiden am höchsten ist. Durch Ausweichverkehr steigen möglicherweise anderswo die Werte, aber sie dürfen natürlich nicht über den Grenzwert steigen.

Die Gewerkschaft der Polizei hat angekündigt, sie würde es in Berlin gar nicht schaffen, die betroffenen Abschnitte auf Fahrverbote hin zu kontrollieren. Also klammheimlich freie Fahrt für den Diesel?

Ehrlich gesagt, verstehe ich solche Äußerungen nicht. Wir haben die feste Zusage der Polizeipräsidentin, dass in den Durchfahrtverbotsstrecken kontrolliert wird. Darauf verlasse ich mich. Der Gesundheitsschutz der Anwohner ist mir sehr wichtig. An diesen Straßen wohnen Menschen, die es unter Gesichtspunkten der Umweltgerechtigkeit sowieso schon schwer haben. Sie sind oft bereits durch Lärm und wenig Grünflächen mehrfach belastet.

Kopenhagen, Amsterdam und Wien gelten als Mobilitätsvorbilder. Was diese Städte heutzutage bestimmt nicht mehr machen würden, liegt immer noch als Plan in den Schubladen der Berliner Verwaltung: der Ausbau der Stadtautobahn A100 vom Treptower Park im Süden über die Spree mitten durch dichtbesiedelte Gebiete fast bis nach Prenzlauer Berg. Der vier Kilometer lange Bauabschnitt soll nach Schätzungen rund eine Milliarde Euro kosten. Ist so ein Vorhaben aus Ihrer Sicht noch zeitgemäß?

Die Menschen wollen heute doch etwas ganz anderes – sie wollen eine moderne, stadtverträgliche, menschenfreundliche Mobilität und keinen Kahlschlag für Autobahnen. Ich rechne mit sehr vielen Protesten aus der Stadtgesellschaft, sollten die Autobahnpläne weiterverfolgt werden.

Wann kommt eigentlich die Citymaut in Berlin?

Es gibt hier noch keinen Zeitplan. Eine Citymaut wäre auch nur eines von mehreren möglichen Instrumenten, um den ÖPNV stabiler zu finanzieren und Anreize zu geben, damit die Menschen auf Busse und Bahn umsteigen. Alternativ könnte man eine Nahverkehrsabgabe erheben oder auch ein Touristenticket einführen. All dies gilt es nun genau zu analysieren.

Können Sie abschätzen, wann die Diskussion abgeschlossen sein wird?

Nein.

In manchen Städten kriegt man die Jahreskarte für den öffentlichen Nahverkehr für 365 Euro. Wien macht das schon länger. In Bonn, Reutlingen, Essen, Mannheim und Herrenberg probieren sie es gerade aus. Wie stehen Sie zu der Idee?

Von Wien kann man lernen: Menschen sind zum ÖPNV gewechselt, weil das Gesamtpaket stimmte. Es ging um mehr Komfort, ein gutes, zuverlässiges Angebot und dann auch um vernünftige Preise: Sie brauchen also genügend Wagen, eine gute Taktung und attraktive Tarife. An all diesen Parametern arbeiten wir.

Die ÖPNV-Taktung läuft schon am Limit. Gleichzeitig ziehen immer mehr Menschen nach Berlin, die Stadt zieht Millionen Touristen an. Haben Sie da eine Grenze erreicht?

Richtig ist, dass wir schnell mehr Wagen beschaffen müssen, vor allem bei der S-Bahn und bei der U-Bahn. Zu den Hauptverkehrszeiten kann es heute in der Tat eng werden, außerhalb dieser Stoßzeiten fährt es sich aber oft komfortabel.

Was hätten Sie gern, was Kopenhagen und Paris haben?

Jede Metropole muss mit ihren Besonderheiten ihren eigenen Weg finden. Trotzdem schauen wir uns natürlich genau an, wie andere Städte ihre Probleme lösen. Paris setzt auch auf Fahrradwege, startet aber von einem deutlich geringeren Niveau aus als wir. Kopenhagen hat die Fahrradwege schon, weil sie vor drei Jahrzehnten damit angefangen haben. Allerdings ist Kopenhagen nur so groß wie zwei Berliner Bezirke. Und mein Eindruck war, dass Kopenhagen eben auch noch eine autogerechte Stadt ist – nur mit guten Fahrradwegen. In Zeiten der Klimakrise müssen Städte aber noch ganz andere Herausforderungen stemmen, wie beispielsweise mehr Versickerungsflächen und Grünflächen zu schaffen, die uns bei Starkregen helfen.

Das wird nicht ohne Zugeständnisse der Bürger gehen.

Richtig. Die Bürgerinnen und Bürger müssen dies wollen.

Mit all den Veränderungen machen Sie sich bestimmt nicht beliebt.

Einen Beliebtheitspreis habe ich als Verkehrssenatorin auch nicht erwartet. Die einen möchten gerne ihre alten Privilegien bewahren und stemmen sich gegen jegliche Veränderungen – die anderen erwarten, dass das neue System möglichst schon morgen in die Stadt gezaubert wird. Da bleibt wenig Raum für Schmeicheleien.

Frau Günther, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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