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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Belegpflicht beim Bäcker Kassenbon-Rebellen: "Wir schicken das Papier an die SPD"
Die drohende Kassenbonflut ist ihnen ein Graus. Eine Bäckerei aus Schwaben nimmt den Kampf gegen die Bonpflicht auf und zeigt, dass sich Einmischen lohnen kann.
Jürgen Stemke weiß nicht, ob es an seiner Schilderung des Problems oder an der Drohung lag: Er werde Kassenbons kistenweise an Bundestagsabgeordnete schicken, hatte er gesagt. Am nächsten Tag hatte er seinen Termin bei der CDU. Jürgen Stemke kämpft mit seinem Bruder, dem Bäckermeister Frank Stemke, gegen die Bonpflicht wie vielleicht sonst kein Bäcker in Deutschland. Die Bon-Rebellen haben t-online.de Einblick gegeben: Was sie alles versuchen, wem sie die Bons schicken – und wie gut ein Backofen zum Datenschutz bei Thermopapier taugt, wenn sie doch massenhaft Bons drucken müssen, die keiner will.
Was Stemkes umtreibt und viele Menschen nicht verstehen können, geht zurück auf den 22. Dezember 2016. Da wurde das "Kassengesetz" beschlossen, das nun zur Bonflut in Deutschland führen wird. Ab dem 1. Januar müssen im Einzelhandel und in der Gastronomie immer Belege herausgegeben werden.
Die Stemkes erfuhren vor einigen Monaten vom Steuerberater davon. Ihre Bäckerei mit Café in Schwäbisch-Gmünd werde das schon nicht treffen, dachten sie. Befreiungen sollten möglich sein. Die beantragten sie Anfang November.
Finanzamt bewilligte Befreiung nicht
Am 4. Dezember wird Jürgen Stemke klar, dass es ernst wird. Medien berichten inzwischen breit über das Thema. In Hamburg protestiert die Bäcker-Innung vor der Finanzbehörde. Und von seinem Finanzamt ist Nachricht da: Die Befreiung ist nicht bewilligt. Eine Entscheidung müsse zurückgestellt werden, bis ein einheitliches Vorgehen gefunden ist.
In der Bäckerei hat bisher ein Drucker für die wenigen Belegwünsche an den beiden Kassen hinter der Ladentheke gereicht. Nach der vorläufigen Ablehnung ordern Stemkes einen zweiten Drucker, etwa 300 Euro kostet der.
Das würde sich noch in Grenzen halten, Stemke denkt an Metzger, deren Verband von Kosten von 4.000 Euro beim Umbau von Kassen spricht und von 30.000 Euro für ein neues System, wenn Umrüstung nicht möglich ist. Die Verbindung mit den Waagen macht es hier viel komplizierter. Klar ist, dass unnütze Papiermassen nicht in die Vorstellung der Bäckerei passen. Demeter-Backwaren gibt es, "wir legen viel Wert auf ökologische Produkte".
"Wenn die Politik Ausdrucke will, dann gebe ich sie der Politik"
Aus dem Finanzamt nehmen sie noch die inoffizielle Auskunft mit: Der Kram sei ja eine Anforderung aus der Politik. Für Jürgen Stemke ist das der Impuls: "Ich dachte mir: Dann gebe ich die Ausdrucke doch denen, die wollen, dass es gedruckt wird." Darüber wird inzwischen auch bei anderen Bäckern und in Verbänden des Handwerks nachgedacht.
Ziel der Politik für das Gesetz war, Steuerhinterziehung einzudämmen: Wenn für jeden Verkauf ein Beleg gedruckt werden muss, kann auch nichts am Fiskus vorbei geschleust werden, so der Gedanke hinter dem Gesetz. In allen Branchen zusammen soll es um zehn Milliarden Euro gehen, sagt das Ministerium, Bäckereien sollen gerade mal zwei Prozent der "Hochrisikobetriebe" ausmachen.
Am 5. Dezember schreibt Stemke die beiden Abgeordneten von CDU und SPD an. Stemke war einst in der Piratenpartei aktiv, sogar mal dort Kandidat für den Bundestag. Er hatte aber bisher keine Kontakte zu den örtlichen Abgeordneten und keine rechte Vorstellung, ob und wie die reagieren.
Und die Kassenzettel sind ein noch größeres Thema als gedacht, erfährt er am Telefon vom örtlichen Entsorgungsunternehmen. Zwei Prozent der Kunden hätten bisher einen gewollt. Der Papierverbrauch wird sich verfünfzigfachen. Und wenn die anderen 98 Prozent der Kunden weiter keinen Bon wollen, bleiben im Laden Papierberge. Sie sind kein Fall fürs Altpapier, bestätigt ihm ein Abfallspezialist am Telefon. Wegen des beschichteten Thermopapiers müsse das Papier in den normalen Müll. "Solchen Müll haben wir kaum noch, wir trennen", sagt Stemke.
Drucker angeworfen für Protest beim Abgeordneten
Am 6. Dezember kommt die Rückmeldung aus dem Büro des örtlichen CDU-Abgeordneten Norbert Barthle, Parlamentarischer Staatssekretär im Entwicklungshilfeministerium: Tags darauf, am Samstag, könne man sich treffen. Im Bäckerladen wird der Bondrucker auf die Theke gehoben, der Ausgabeschacht zur Seite der Kunden gedreht und ab sofort nach jedem Einkauf gedruckt. Im Laden liegt eine Liste aus: "Ich möchte, dass mein Bäcker meine ungewollt ausgedruckten Bons an Vertreter der Politik weiterleitet, um meinen Protest zum Ausdruck zu bringen."
Am 7. Dezember um 11.30 Uhr ist die Kiste vor der Theke gut gefüllt mit Bons. Jürgen und Frank Stemke packen sie ein und brechen auf zu Barthle. Der Politiker hat nun anschaulich die Konsequenzen dessen vor sich, was da beschlossen wurde. "Gesetze", sagt der Abgeordnete zu t-online.de, "sind per Definition abstrakt und generell, der Gesetzgeber kann unmöglich im Vorfeld jedes Gesetz auf jede mögliche Komplikation abprüfen." Um bei Problemen nachsteuern zu können, müsse man von diesen Problemen erfahren. "Ich bin der Bäckerei Stemke dankbar – wie ich für jede konkrete Schilderung von Missständen aus meinem Wahlkreis dankbar bin." Das Gespräch dauert länger als die geplanten 45 Minuten.
Bundesfinanzministerium: Papier nach Stuttgart schicken
Am 8. Dezember schreibt Jürgen Stemke einen Blogbeitrag, in dem er vom Problem und dem Gespräch mit dem Abgeordneten schreibt und ein Video einbettet: Ein Drucker, dessen Heizstäbe so heiß eingestellt sind, dass der Bon beim Auswurf schon Feuer fängt. Es soll den Irrsinn zeigen: "Fürs Gesetz würde das reichen."
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Am 9. Dezember spricht CDU-Politiker Barthle in Berlin in der Sitzung der Landesgruppe vom Gespräch mit dem Bäcker. Er ist nicht der Einzige, der mit dem Ärger konfrontiert wurde. "Wir haben ein abgestimmtes Verhalten gegenüber dem Bundesfinanzministerium und den Landesfinanzministerien vereinbart", berichtet Barthle. Wie mit den Regeln umgegangen werde, liege ja bei den Ländern, und er werde auch auf Finanzministerin Edith Sitzmann in der Heimat zugehen.
Die grüne Ministerin in Stuttgart könnte auch Post aus der Bäckerei bekommen. Am Bürgertelefon des Bundesfinanzministeriums in Berlin zumindest bekommt Stemke die Aussage, er solle sie bitte an das zuständige Landesfinanzministerium schicken.
Ofen macht Thermopapier-Bons nicht unleserlich
Stemke hat gerade eine Reporterin der "Remszeitung" zu Besuch, als der Rückruf vom Büro des SPD-Abgeordneten Christian Lange (SPD) kommt. Man werde sich kümmern, sei ihm gesagt worden, es sei ja doch eilig. "Besonders wollten die wissen, mit welcher Begründung das Finanzamt keine Befreiung ausgesprochen hat."
Im Ofen in der Bäckerei läuft an diesem Tag ein Versuch, wenn auch wenig erfolgreich: "Wir wollten sehen, ob sich das das Thermopapier gut schwärzen lässt." Es verfärbte sich tatsächlich schnell, aber die Aufdrucke waren immer noch zu lesen. "Und wenn wir es länger darin lassen, verdampft die Beschichtung wahrscheinlich, das wollen wir natürlich keinesfalls im Ofen haben." Die Idee ist abgehakt.
Normale Entsorgung ein Datenschutzproblem?
Es bliebe nur der Schredder. "Das wird ein Spaß mit Hunderten Zetteln." Das Risiko, dass jemand lesbare Belege aus der Tonne klaue, um den Umsatz zu ermitteln, sei zwar gering. "Aber mit den Zetteln lässt sich ableiten, wann wie lange ein Mitarbeiter gearbeitet hat – personenbezogene Daten." Vom Landesbeauftragen für Datenschutz bekommt er auf Nachfrage die Auskunft, dass das Vernichten nötig ist. Stemke: "Wenn man über das Thema nachdenkt, kommt eins zum anderen." 400 Kunden haben bis zu diesem Tag ihren Namen auf eine Unterschriftenliste gegen den Bonzwang gesetzt.
Stemkes wollen ihnen die Kassenzettel auch nicht aufzwingen. "In die Tüte stecken geht schon mal gar nicht, aus hygienischen Gründen." Und wenn man sie an die Tüten tackere, dann habe man Metallklammern, Papiertüten und das chemisch beschichtete Papier beisammen. "Und in Stoßzeiten brauchen wir eine Kraft mehr, die Leute stehen da ja schon bis vor die Tür."
Das gleiche Szenario fürchtet er auch bei der Alternative, von der jetzt zunehmend die Rede ist: elektronische Belege. Per E-Mail, über Kundenkonten oder Near Field Communication (NFC) könnten Belege aufs Mobiltelefon geschickt werden. "Wie soll das in der Schlange schnell gehen?"
Altmaier kündigt Widerstand an
Am 10. Dezember tagt die gesamte Unionsfraktion, und aus der baden-württembergischen Landesgruppe bringt Michael Donth das Thema Bonpflicht an. Für Wirtschaftsminister Peter Altmaier ist das Thema nicht neu, weil die Verbandsvertreter auch nicht untätig sind. Er sagt in der Sitzung, dass er die Bonpflicht wieder kippen will und dazu Finanzminister Olaf Scholz kontaktiert hat. Barthle meldet das in die Heimat: "Selbstverständlich unterstütze ich auch den Bundesminister im Bestreben, die Bonpflicht in den Bereichen zu beseitigen, wo sie lediglich unnötigen und schwer zu entsorgenden Papiermüll produziert."
Stemke hat sich derweil schlau gemacht, was Druckverweigerern droht. Auf einer Seite des Bundesfinanzministeriums liest er, dass es keine Sanktionen gibt, wenn Händler der Bonausgabepflicht nicht nachkommen. Bei einem Anruf im baden-württembergischen Finanzministerium wird ihm dagegen gesagt, dass Zwangsgeld in einer Höhe von bis zu 25.000 Euro angedroht werden könne.
Keine Bons und trotzdem keine Sanktionen
t-online.de fragt noch einmal im Bundesfinanzministerium nach: Ein wiederholter Verstoß gegen die Vorgabe der Belegausgabepflicht könne "gegebenenfalls seitens der Finanzbehörde zum Anlass einer Kassen-Nachschau oder einer Außenprüfung genommen werden", erklärt dort eine Sprecherin. Ein Verstoß gegen die Belegausgabepflicht könne als Indiz dafür gewertet werden, dass den Aufzeichnungspflichten nicht entsprochen wurde.
- Unerwünschte Papierflut: Altmaier will Bonpflicht beim Bäcker wieder streichen
- Kassenzettel im Club: Was die Bonpflicht für Verbraucher und Handel bedeutet
Stemkes wollen es darauf ankommen lassen. Den zweiten Drucker werden sie zurückschicken. Den Rücksendeschein füllt Stemke am 12. aus. Im Laden schimpft ein Kunde: Diese Bons, das sei "Überwachungsstaat".
Aus der Politik kommt derweil eine Verteidigung der Bonpflicht: "Wir brauchen transparente Kassengeschäfte für die Kunden und die Finanzämter, das heißt manipulierunfähige Kassen und die Bonausgabe", lässt sich der neue SPD-Chef Norbert Walter-Borjans vom Redaktionsnetzwerk Deutschland zitieren. Stemke: "Okay, das heißt für uns, die Bons an die SPD zu Walter-Borjans zu schicken."
- Eigene Recherchen
- stemke.gd: Belegausgabepflicht – Erzwungener Müll und Klimaschaden
- Bundesfinanzministerium: Kassengesetz für mehr Steuergerechtigkeit: Belegausgabepflicht zum 1. Januar 2020 stärkt Transparenz und hilft gegen Steuerbetrug
- rnd.de: “Es wird zu oft geschummelt”: SPD-Chef Walter Borjans ist für die “Bonpflicht”