Pjotr Wersilow Hohe Plausibilität für Vergiftung von Pussy-Riot-Aktivist
Berlin (dpa) - Die Berliner Charité hält eine Vergiftung des Mitglieds der russischen Polit-Punkgruppe Pussy Riot, Pjotr Wersilow, für wahrscheinlich. Dafür gebe es eine hohe Plausibilität, sagte der Vorstandschef des Universitätsklinikums, Karl Max Einhäupl, in Berlin.
Anders sei die Entwicklung der Symptome innerhalb des kurzen Zeitraums nicht zu erklären. Auch die Ärzte in Moskau seien offensichtlich von einer Vergiftung ausgegangen, sagte Einhäupl. Wersilow ist den Angaben zufolge außer Lebensgefahr .
Nach seiner Genesung werde er voraussichtlich nach Moskau zurückkehren, kündigte die Pussy-Riot-Aktivistin Nadeschda Tolokonnikowa an. "In dem Moment, in dem er ein Ticket bekommt, wird er es in Anspruch nehmen", sagte sie. Es sei "eine Frage der Ehre, in Russland zu bleiben". Tolokonnikowa bekräftigte, Wersilow sei mit Absicht vergiftet worden; sie sprach von einem "Versuch eines Mordanschlags oder einer Einschüchterung".
Der zuständige Arzt Kai-Uwe Eckardt sagte, Wersilow sei zwar immer noch verwirrt, aber insgesamt auf dem Weg der Besserung. "Er braucht keine maschinelle Unterstützung der Organfunktionen und konnte das Bett schon verlassen. Wir sind zuversichtlich, dass eine Komplettheilung stattfinden wird." Die Ärzte könnten "mit ihm kommunizieren, eine differenzierte Auseinandersetzung mit seiner Vorgeschichte war aber noch nicht möglich".
Am Samstagabend war Wersilow mit einem Ambulanz-Flugzeug aus Moskau nach Berlin gekommen. Die Hilfsaktion war von der privaten sozialen Initiative Cinema for Peace unterstützt worden. Wersilow war beim Finalspiel der Fußball-WM in der russischen Hauptstadt Mitte Juli mit drei anderen Pussy-Riot-Mitgliedern in Uniformen auf das Feld gerannt, um unter anderem gegen Polizeigewalt zu demonstrieren. Die "Flitzer" wurden daraufhin zu wochenlangen Arreststrafen verurteilt. Pussy Riot ist mit spektakulären Aktionen gegen Justizwillkür und Korruption weltweit bekannt geworden.
Laut zuständigem Arzt Eckhardt ist nicht klar, mit welcher Substanz Wersilow vergiftet wurde. Die Ärzte hätten lediglich Hinweise auf die Substanzklasse. Die Chancen, sechs Tage nach einer möglichen Vergiftung noch etwas nachzuweisen, seien nicht sehr hoch. Bei seiner vorherigen Behandlung in Moskau hätten die Ärzte den Magen Wersilows geleert und eine Blutwäsche durchgeführt, da sie bereits eine Vergiftung vermuteten.
Die unbekannte Substanz müsse Wersilow in einer hohen Dosis verabreicht worden sein, sagte Einhäupl. Das Gift habe für eine Störung des vegetativen Nervensystems gesorgt und bei Wersilow ein so genanntes Anticholinerges Syndrom ausgelöst. Das vegetative Nervensystem ist für die Steuerung lebenswichtiger Funktionen wie Herzschlag oder Atmung zuständig. Ist es gestört, können Verwirrtheit, Schläfrigkeit, Fieber oder auch weite Pupillen auftreten. All diese Symptome waren den Ärzten zufolge auch bei Wersilow zu beobachten.
Der Fall erinnert an die Affäre Skripal: Der russische Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter waren am 4. März bewusstlos auf einer Parkbank in der südenglischen Kleinstadt Salisbury entdeckt worden. Auf sie war ein Attentat mit einem chemischen Kampfstoff verübt worden. Beide überlebten nur knapp und leben heute an einem geheimen Ort. Der Fall löste eine schwere diplomatische Krise aus.