Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt Hinterbliebene werfen Maaßen Falschaussage vor
Noch mehr Ärger für den Verfassungsschutz-Chef: Angehörige der Breitscheidplatz-Opfer werfen Maaßen Falschaussage vor. Seine Behörde war wohl stärker mit dem Terroristen Anis Amri beschäftigt, als er zugab.
Angehörige deutscher Opfer des Weihnachtsmarkt-Anschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz haben Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen Falschaussagen vorgeworfen. Maaßen habe "den Bundestag und die Öffentlichkeit über die Aktivitäten seiner Behörde wissentlich falsch informiert", heißt es nach einem Bericht des RBB in einer Stellungnahme der Betroffenen vom 11. September 2018, die dem Sender vorliegt.
Hintergrund sind Berichte, wonach das Bundesamt für Verfassungsschutz einen V-Mann im unmittelbaren Umfeld des Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri platziert hatte. Maaßen hatte damals jedoch auf entsprechende Fragen hin erklärt, die Behörde habe vor dem Anschlag vom Dezember 2016 "keine eigene Informationsbeschaffung" betrieben. "Im Umfeld des Amri wurden keine V-Leute des BfV eingesetzt", hieß es seinerzeit in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion.
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Im März 2017 sagte Maaßen über Amri: "Wir hatten es hier mit einem reinen Polizeifall zu tun, der in den zuständigen Bundesländern bearbeitet wurde." Im darauffolgenden Dezember sagte er in einem weiteren Interview: "Der Verfassungsschutz war mit dem Fall nur am Rande befasst. Amri war bis zuletzt ein Fall in den Händen der Polizeibehörden."
Hinterbliebene fordern Erklärung
"Es ist offensichtlich, dass frühere Aussagen gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit revidiert werden müssen", zitierte auch das Magazin "Spiegel" aus dem Schreiben der Hinterbliebenen. Sie forderten Maaßen auf, "sich kurzfristig und umfänglich öffentlich dazu zu erklären, in welchem Umfang das Bundesamt für Verfassungsschutz in Zusammenhang mit Anis Amri aktiv gewesen ist".
Auch im Untersuchungsausschuss zum Terroranschlag war die Rolle des Verfassungsschutzes nun Thema. Eine Mitarbeiterin des Bundesamtes sagte dort in einer Befragung, sie habe im Januar 2016 begonnen, Informationen über den tunesischen Islamisten zu sammeln. Amri sei einer von 40 bis 50 islamistischen Gefährdern gewesen, über die sie in dieser Zeit Akten geführt habe.
Mitarbeiterin: Amri wurde mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet
Auf die Frage ob Amri vom BfV auch mit "nachrichtendienstlichen Mitteln" beobachtet worden sei, antwortete die Mitarbeiterin mit "Ja". Welche Mittel konkret eingesetzt wurden – etwa Telefonüberwachung oder der Einsatz eines V-Mannes – wollte sie in der öffentlichen Sitzung nicht sagen.
Im Februar und März 2016 habe sie zudem die Befragung von "Quellen" zu Amri in Berlin und Nordrhein-Westfalen veranlasst. Nach eigenen Angaben beschäftigte sie sich letztmalig im November mit der Akte Amri – rund fünf Wochen vor dem verheerenden Anschlag. Sie habe sich in ihrer täglichen Arbeit aber im Vergleich zu anderen Fällen "relativ selten" mit Amri befasst.
Maaßen unter Druck
Anis Amri raste am 19. Dezember mit einem gestohlenen Lastwagen in die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz. Zwölf Menschen starben. Nach der Tat konnte er fliehen. Er setzte sich nach Italien ab, wo er später von der Polizei erschossen wurde. Es war der bislang schwerste islamistische Terroranschlag in Deutschland.
Maaßen steht derzeit auch wegen umstrittener Äußerungen in Zusammenhang mit Ausschreitungen bei rechtsgerichteten Kundgebungen in Chemnitz unter Druck. SPD, Grüne und Linkspartei fordern seinen Rücktritt, Kritik gibt es auch aus CDU und FDP. Innenminister Horst Seehofer (CSU) hält allerdings bislang an Maaßen fest. Eine Entscheidung über dessen Verbleib im Amt wurde am Donnerstag nach einem Spitzengespräch der Parteichefs der Koalition auf kommenden Dienstag vertagt.
- AFP, dpa