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Streit um Asylpolitik – Horst Seehofers Botschaft: Integration ist ihm egal


Meinung
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Streit um Zuwanderung
Seehofers Botschaft: Integration ist ihm egal

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 15.06.2018Lesedauer: 5 Min.
Angela Merkel und Horst Seehofer: Die Kanzlerin und der CSU-Chef sind die zentralen Figuren im Asyl- und Migrationsstreit der Unionsparteien.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel und Horst Seehofer: Die Kanzlerin und der CSU-Chef sind die zentralen Figuren im Asyl- und Migrationsstreit der Unionsparteien. (Quelle: Archivbild/Kay Nietfeld)

Innenminister Horst Seehofer streitet mit der Kanzlerin erbittert über Flüchtlinge. Gleichzeitig lässt er das zentrale Zukunftsthema Integration verwaisen – weil es ihn offenbar nicht interessiert, meint Lamya Kaddor.

In jedem Ende liegt bekanntlich ein neuer Anfang. Diese Woche hat sich der Bundesinnenminister Horst Seehofer quasi vom Thema Integration verabschiedet, indem er es vorzog, den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz zu treffen, statt am Integrationsgipfel der deutschen Kanzlerin Angela Merkel teilzunehmen.

Man kann das Arbeitsverweigerung nennen und sich darüber aufregen, man kann aber auch den Impuls nutzen und mittelfristig eine seit Längerem erhobene Forderung endlich umsetzen: den Stab GZ (Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Integration) und die Abteilung M (Migration, Flüchtlinge, Rückkehrpolitik) aus dem Bundesinnenministerium herauslösen und ein neues Ministerium für Einwanderung und Integration darauf aufbauen.


Bei nächster Gelegenheit könnte dieser Schritt oben auf der politischen Agenda stehen, allzumal sich Bundesinnenminister ja generell lieber für Themen wie öffentliche Sicherheit erwärmen, wie auch Seehofers Vorgänger zu Genüge demonstriert haben. Das zentrale Zukunftsthema Einwanderung und Integration ist zu wichtig, als dass es so stiefmütterlich behandelt werden darf.

Ein Affront für alle Deutschen mit Migrationshintergrund

Gewiss, den Integrationsgipfel bei der Kanzlerin darf man nicht überbewerten, weil es da auch mehr um Symbolpolitik geht. Allzu viel kommt dabei ähnlich wie bei der Islamkonferenz nicht rum. Wenn aber der Bundesinnenminister ausgerechnet die einzige Veranstaltung im Jahr, die einen solchen Namen trägt, boykottiert, ist das ein Affront für alle Deutschen mit Migrationshintergrund. Seinen mangelnden Respekt für sie hätte ein Minister, der auch repräsentative Funktionen hat, kaum deutlicher zeigen können.

Seine Absage lässt sich nur so deuten: Das Thema interessiert ihn schlicht nicht. Die Situation von Menschen mit familiären Wurzeln in Russland, Kasachstan, Rumänien, Polen, der Türkei, Italien oder sonst wo ist ihm schlechterdings egal. Das jedenfalls ist eine Botschaft, die er mit seinem demonstrativen Fernbleiben ausgesendet hat.

Seehofer zartbesaitet? Mitnichten

Horst Seehofer ist bekanntlich kein Kind von Traurigkeit. Sein neues Amt trat er gleich am ersten Tag mit einer Breitseite gegen Muslime an, als er den unsäglichen Satz, "der Islam gehört nicht zu Deutschland", anstimmte. Im Bereich Zuwanderung wollte er sich schon "bis zur letzten Patrone"wehren, als noch kein Mensch an die AfD dachte. Wenn der CSU-Politiker Seehofer meint, bei seiner Wählerschaft punkten zu können, hält ihn in der Regel nicht viel auf. Dass Seehofer also derart zartbesaitet sein könnte, dass ihn die Formulierungen der Journalistin Ferda Ataman tatsächlich vom Kommen abgehalten hätten, wie er mitteilte, darf getrost angezweifelt werden.

Auch die erneuten Querelen mit der Bundeskanzlerin beim Thema Flüchtlinge taugen wenig für eine ehrliche Begründung. 2015 hatte Seehofer schließlich überhaupt kein Problem damit, sich Merkel in einem ähnlichen Meinungsstreit zu stellen und sie sogar auf offener Bühne vorzuführen.

Zudem hat Bundesinnenminister Seehofer vermutlich als Parteipolitiker gehandelt, der davon ausgehen kann, dass in Bayern – wie zuletzt – nur rund 14 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund ihr Kreuz bei der CSU machen, einer Partei, die wiederum auf Gedeih und Verderb darum bemüht ist, potenzielle AfD-Wähler zu umgarnen. Dazu hätte das Bild von Seehofer als Integrationspolitiker vermutlich nicht so gut gepasst.

Keine Hoffnung auf Besserung

Doch ein Bundesinnenminister ist eben nach bisheriger Lesart qua Amt für Integration zuständig, ganz gleich, was seine Partei dazu sagt. Der Mann aus Bayern hat seine Rolle offenkundig noch nicht gefunden und man weiß nicht, ob die Hoffnung ausreicht, dass es nach der bayerischen Landtagswahl im Herbst besser werden könnte.

Integration braucht besondere politische Aufmerksamkeit. Hier müsste die Politik endlich mal liefern, statt permanent getrieben von AfD und "Bild"-Zeitung um die Themen Asyl und Flüchtlinge zu kreisen. Integration bildet mit der Steuerung von Einwanderung einen Zweiklang, der nicht separiert werden kann, weshalb er in einem echten Einwanderungs- und Integrationsgesetz institutionalisiert werden sollte.

Über die Steuerung von Einwanderung wird ausschweifend debattiert, über zielführende Ansätze bei der Integration derjenigen, die schon da sind oder bleiben dürfen, hört man indes wenig, abgesehen von den vielen Plattitüden über die Pflicht, Deutsch zu lernen, sich an Gesetze zu halten oder Ähnliches. Solche Forderungen an Migranten sind zwar richtig, aber sie dauernd zu betonen, ist überflüssig, weil sie selbstverständlich und konsensfähig sind.

Wie der CSU-Minister zum Helden werden könnte

Auch dabei gibt es einen untrennbaren Zweiklang. Er besteht neben dem, was Menschen mit Migrationshintergrund zu tun haben, darin, was Menschen ohne Migrationshintergrund für eine erfolgreiche Integration zu leisten haben.

An die Formulierung von Aufgaben für die Mehrheitsgesellschaft traut sich jedoch niemand heran – als da zum Beispiel wäre: die Überwindung von Rassismus in Teilen der Mehrheitsgesellschaft. Wie wäre es wohl, wenn jemand wie Horst Seehofer den Mut aufbrächte und das explizit anspräche? Da könnte er zum wahren Helden mutieren, wenn er es schaffen würde, hierüber in die Diskussion zu treten, denn die Ablehnung von "Fremden" war und ist einer der Hauptgründe für die Integrationsprobleme.

Dabei geht es nicht darum, Rassismuskeulen zu schwingen oder irgendwelche Opfernarrative zu bemühen. Es geht schlicht und einfach darum, die deutsche Gesellschaft als moderne Einwanderungsgesellschaft, die sie nunmal ist, zu verstehen und als solche darzustellen. Gut 23 Prozent der Bevölkerung, das sind rund 19 Millionen Menschen, haben einen Migrationshintergrund, Tendenz steigend. Die Hälfte davon sind Deutsche.

Deutschland war schon immer vielfältig

Doch statt die Diskussion über Identität und Zugehörigkeit endlich offener und fairer zu führen, wird sie derzeit zunehmend verengt und das macht es Menschen schwerer, sich zugehörig zu fühlen. Der Gründer und Vorsitzende von "DeutschPlus – Initiative für eine plurale Republik", Farhad Dilmaghani, hatte das in dieser Woche im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" treffend formuliert. Es gibt in Deutschland eine Sehnsucht nach gesellschaftlicher Homogenität, nach der "guten alten Zeiten", weil Vielfalt von zu vielen immer noch als Defizit und nicht als Einladung verstanden werden kann; obwohl "Deutschland" schon immer vielfältig war, angefangen von den Stammesherzogtümern, über die Kurfürstentümer bis hin zu den Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg und es schon immer gewalttätige Auseinandersetzungen wegen Religionszugehörigkeit oder Herkunft gegeben hat.

Es ist Zeit, dass die Diskussion über deutsche Identität nicht mehr entlang von Ethnie, Glaube, Geschlecht, sexueller Orientierung und dergleichen geführt wird, sondern entlang des individuellen Bekenntnisses, zu diesem Land, zu dieser Gesellschaft gehören zu wollen. Das Zusammenleben funktioniert nur, wenn jeder Einzelne seinen Beitrag leistet und Verständnis für sein Gegenüber aufbringt, ohne dafür gleich "das Eigene" aufgeben zu müssen. Diesen Weißen Fleck der Integrationspolitik gilt es zu beackern. Horst Seehofer hätte seinen Teil dazu beitragen können, wenn er am Mittwoch ins Kanzleramt gegangen wäre. Da er das aber nun einmal nicht will, gibt man die Aufgabe doch künftig jemandem, der Lust darauf hat: einem/r Bundesminister/in für Einwanderung und Integration.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Islamische Religionspädagogin und Publizistin.

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