Flüchtlingskrise in Nordafrika Gabriel spricht von "Sklavenhandel der Neuzeit"
Bei seinem überraschenden Besuch in Libyen hat sich Sigmar Gabriel bei Gesprächen mit der international anerkannten Übergangsregierung auf eine Aufstockung der Flüchtlingshilfe verständigt. Nach der Besichtigung eines Internierungslagers sprach der Außenminister von "fürchterlichen Zuständen".
Bei seinem Überraschungsbesuch hat der Außenminister 3,5 Millionen Euro zusätzlich für die Flüchtlingshilfe in dem Krisenstaat zugesagt. Das Geld soll zur Verbesserung der teils katastrophalen Zustände in den Flüchtlingslagern des von jahrelangem Bürgerkrieg erschütterten Landes verwendet werden.
Von der libyschen Küste aus gelangt der größte Teil der Flüchtlinge aus Afrika über das Mittelmeer nach Europa. Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres waren es rund 60.000 Menschen – 26 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Etwa 1700 Flüchtlinge ertranken in dieser Zeit auf dieser Mittelmeerroute.
Der Besuch Gabriels wurde aus Sicherheitsgründen bis zur Ankunft geheim gehalten. Da es keine regulären internationalen Truppen in Libyen gibt, gilt der Besuch als besonders gefährlich. Auch fast alle internationalen Organisationen haben das Land verlassen. Die meisten Botschaften in Tripolis sind geschlossen.
Gabriel spricht von "finsteren Gefägnissen"
In Tripolis besuchte Gabriel ein Internierungslager, das noch zu den besten in ganz Libyen gehört. Er sagte, andere Lager seien "finstere Gefängnisse" in denen "fürchterliche Zustände" herrschten. Über drei Milliarden Euro würden inzwischen mit Menschenhandel umgesetzt. "Das ist der Sklavenhandel der Neuzeit. Den kann man nur stilllegen, indem man die Bedingungen in den Herkunftsländern verbessert."
Die Übergangsregierung in Tripolis betreibt mehr als 20 Internierungslager, in denen Flüchtlinge eingesperrt werden, die von der Küstenwache auf See oder auch an Land aufgegriffen werden. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl inoffizieller Lager, in denen die Zustände noch viel schlimmer sind.
Menschenrechtsorganisationen beklagen Vergewaltigungen, Folter, Sklaverei und unhaltbare hygienische Zustände. Nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sollen sich zwischen 700 000 und einer Million Flüchtlinge, überwiegend aus Syrien, Ägypten, Niger, Sudan und Mali, in Libyen aufhalten.
Seit 2011 herrscht Chaos in Libyen
Seit dem mit westlicher Hilfe erfolgten Sturz des Langzeitherrschers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 herrscht in Libyen Bürgerkriegschaos. Drei Regierungen reklamieren die Macht für sich, ihr Einfluss ist jedoch lokal begrenzt.
Die von den Vereinten Nationen unterstützte Regierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch hat kaum Kontrolle über die Hauptstadt Tripolis hinaus. Sie konkurriert mit einer selbst ernannten "Regierung der nationalen Rettung" um die Macht. Hinzu kommt der umstrittene, aber militärisch mächtige General Chalifa Haftar, der die Unterstützung des Parlaments in Ost-Libyen hat und immer weiter in Richtung Tripolis marschiert.
Mit Blick auf die Zustände im Land sagte Gabriel: "Unser Ziel ist es, uns - gemeinsam mit den Libyern - gegen den Sog der Instabilität zu stemmen". Die Konfliktparteien rief er zu Gesprächs- und Kompromissbereitschaft auf. "Nur dann besteht eine Chance auf eine Beruhigung der Kampfhandlungen und - mittelfristig - auf Ordnung und Staatlichkeit."
Gabriel will Bürgerkriegsfinanzierung vom Ausland stoppen
Der Außenminister kritisierte bei seinem Besuch die internationale Einmischung in den Libyen-Konflikt mit Waffenlieferungen oder Finanzierung einzelner Konfliktparteien. "Was aufhören muss ist, dass viele Teile der Welt in diesem Land ihre Interessen voranbringen", sagte er. Ein solches Vorgehen erschwere eine Verhandlungslösung. "Wir müssen dafür sorgen, dass die internationale Staatengemeinschaft hier nicht Krieg und Bürgerkrieg und Menschenhandel direkt oder indirekt finanziert." Einzelne Staaten nannte Gabriel nicht.
Zwar verhängte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach dem Sturz von Gaddafi ein Waffenembargo für Libyen, die unterschiedlichen Konfliktparteien werfen sich aber gegenseitig vor, Unterstützung aus dem Ausland zu bekommen. So stehen unter anderem Katar, die Türkei und Russland im Verdacht, einzelne Gruppen - auch militärisch oder mit Waffen - zu unterstützen.