Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kampfpilot beantwortet Ihre Fragen "Das ist Teil der bitteren Wahrheit"
Er fliegt Deutschlands modernsten Kampfjet und ist Staffelkapitän eines Luftwaffengeschwaders. Oberstleutnant Gerald Groß hat Ihre Fragen vor der t-online-Kamera beantwortet.
Wenn er das Cockpit besteigt, hört Oberstleutnant Gerald Groß nur noch auf den Namen "Titan". So lautet der Rufname des Kampfjetpiloten. Er ist Staffelkapitän eines Luftwaffengeschwaders der Bundeswehr.
Seine Aufgabe ist es, Einsätze zu planen und zu koordinieren, seine Soldaten bestmöglich anzuleiten und Deutschlands modernstes Kampfflugzeug, den Eurofighter, in gefährlichen und komplexen Situationen zu steuern – bei internationalen Einsätzen oder zur Verteidigung des nationalen Luftraums.
Dabei muss er nicht nur technisch hoch entwickelte Systeme bedienen, sondern auch blitzschnell Entscheidungen treffen und unter extremem Druck präzise handeln. Die hohen Geschwindigkeiten und Kräfte stellen zudem enorme Anforderungen an den Körper. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, trainiert Oberstleutnant Groß regelmäßig – körperlich und mental.
Kampfpilot beantwortet Ihre Fragen im Video
Für das t-online-Format "Frag mich" hat sich der Kampfpilot den Fragen unserer Leserinnen und Leser gestellt. Wie fühlt es sich an, die Schallmauer zu durchbrechen? Wie sieht der Alltag eines Kampfpiloten aus und was passiert eigentlich, wenn man während eines Fluges auf die Toilette muss?
Die Antworten zu diesen und weiteren Fragen sehen Sie hier oder oben im Video.
Videotranskript lesen
Irgendwann wird der Tag kommen, an dem ich das letzte Mal in ein Flugzeug steige. Aber bis dahin werde ich jede Sekunde auf dieser Reise genießen.
Ich bin Oberstleutnant Gerald. Ich höre auf das Callsign "Titan", denn ich bin Eurofighter Pilot in der deutschen Luftwaffe. Derzeit bin ich eingesetzt als Staffelkapitän der zweiten fliegenden Staffel des taktischen Luftwaffengeschwaders 31 Boelcke in Nörvenich. Und ich freue mich darauf, heute eure Fragen beantworten zu dürfen.
Wie hält sich ein Kampfpilot fit? Wie häufig trainieren sie und auf welchen Körperregionen liegt ein besonderer Fokus?
Ja, das ist fast schon eine religiöse Frage, denn dazu gibt es ganz viele verschiedene Ansätze. Insgesamt verfolgen wir in der Luftwaffe das sogenannte HPO-Programm – Human Performance Optimization. In der Regel besteht das Training in etwa aus einem Drittel Ausdauer und zwei Drittel Kraft. Das Ausdauertraining ist wichtig, damit das Herz-Kreislauf-System unter den hohen G-Kräften weiterhin durchhalte fähig bleibt und verhindert, dass das Blut in die Beine absackt. Das Krafttraining hingegen ist wichtig, um sich im Cockpit unter 9-G immer noch bewegen zu können. Denn 9-G bedeutet, der Körper ist neunmal so schwer und das in stark verrenkter Körperhaltung.
Ist es körperlich anstrengend zu fliegen? Und wie schafft man es, bei hohen G-Kräften nicht ohnmächtig zu werden?
Wir haben natürlich eine sehr umfangreiche flugphysiologische Ausbildung und dazu kommt unsere Ausrüstung. Das bedeutet, wir tragen einen Ganzkörperanzug, bestehend aus einer Anti-G-Hose, einer Weste mit ebenfalls Luftelementen, die gegen die hohen G-Kräfte schützt und einem Helm, auch dieser verfügt über Luftblasen, um gegen die G-Kräfte anzuwirken. Klingt beim Helm etwas kompliziert, hängt aber mit der Überdruckbeatmung zusammen. Zudem haben wir ein großes Team, was uns sportlich auf diese körperlichen Herausforderungen vorbereitet. Wir werden unterstützt durch Physiotherapeuten und Sportwissenschaftler und das setzt natürlich ein langes und intensives Training voraus, um diese G-Kräfte nicht nur aushalten, sondern auch über längeren Zeitraum durchhalten zu können.
Was tun Sie, wenn Sie während des Fluges auf Toilette müssen?
Ja, das ist ein trauriges Thema. Es gibt aber verschiedene Lösungsansätze. Hauptsächlich verwenden wir einen sogenannten Pinkelbeutel. Man muss sich das vorstellen wie eine etwas überambitionierte Plastiktüte, gefüllt mit Katzenstreu. Das bedeutet aber, dass ich im Fluge den Schleudersitz sichern muss, mich komplett abschnallen, irgendwo versuchen, an die notwendigen Körperteile zu kommen, diese in diese Tüte einzuführen, die Tüte vollzumachen, die Tüte zu verstauen, wegzupacken und nebenbei noch Flugzeug zu fliegen und vielleicht zu funken. Man kann sich vorstellen, dass das keine einfache Angelegenheit ist. Eine weitere Möglichkeit ist das Tragen einer Erwachsenenwindel. Aber liebe Männer, wenn ihr euch euren Körperbau anschaut, werdet ihr schnell feststellen, dass auf einem achteinhalb stündigen Flug die Windel sich wahrscheinlich eher an unsere weiblichen Piloten richtet. Die letzte Möglichkeit, die bleibt, und das ist leider auch Teil der bitteren Wahrheit. Wenn gar nichts hilft, tja, dann geht es im bittersten Falle schlicht und ergreifend in die Hose.
Wie sieht ein gewöhnlicher Arbeitstag aus?
Ich als Staffelkapitän bin natürlich Chef einer Einheit, was bedeutet, dass ein Großteil meiner Arbeitslast auch auf genau diese Tätigkeit entfällt. Das bedeutet: Büroarbeit, Gespräche mit meinen Soldaten, Abstimmungen mit meinen Chefs. Denn auch die gibt es natürlich. Und dann bleibt da ja auch noch der Flugdienst. Normalerweise beginnen fliegerische Events mit einem sogenannten Wetter- und Einsatzbriefing, in dem der Flugdienstleiter die Wetterbedingungen des heutigen Tages und die geplanten Einsätze vorstellt. Im Anschluss beginnt die Flugvorbereitung. Man plant den Flug aus, brieft mit seinen Flügelmännern. Je nachdem auch mit der Feinddarstellung. Dann folgt die Durchführung, also der Flug selbst. Im Anschluss kommt es zum Debriefing, was oftmals mehr Zeit in Anspruch nimmt als der eigentliche Flug selbst. Denn hier können wir mit Telemetrie und Waffensimulation die Flüge bis ins kleinste Detail analysieren.
Wie sehr reizt Sie ein tatsächlicher Kampf- bzw. Kriegseinsatz, bei dem Sie all Ihr Erlerntes in der Praxis einsetzen müssten?
Ich bin der festen Überzeugung, dass der Einsatz militärischer Mittel und damit potenziell tödlicher Gewalt immer das letzte Maß aller Dinge sein muss. Und er darf erst dann erfolgen, wenn alle anderen Optionen tatsächlich ausgeschöpft wurden. Ich sehe den Auftrag unseres Militärs darin, dass wir die Fähigkeiten zur Kriegsführung vorhalten, sodass wir keine Kriege führen müssen. Als Soldat bedeutet das für mich, dass ich keinen aktiven Kampfeinsatz durchführen müssen will. Sollte dies der Fall sein, bin ich natürlich dazu bereit. Wenn es aber um meine freie Entscheidung geht, würde ich es gerne vermeiden.
Bis zu welchem Alter ist man für den Job geeignet und was kommt danach?
Nun, das ist eigentlich weniger eine Frage des Alters als vielmehr der körperlichen Fitness. Früher galt ja die allgemeine Regelung, dass Kampfpiloten bereits mit 41 Jahren in Ruhestand versetzt werden. Das ist heute nicht mehr so. Mittlerweile findet Kompetenzerhalt regelmäßig bis zur Vollendung des 50. Lebensjahres statt. Aber die Verwendung als Kampfflugzeugführer, die notwendige Fitness und den Dienstposten vorausgesetzt, ist im Einzelfall auch darüber hinaus möglich. Also unterm Strich: Solange der Fliegerarzt das Go gibt, kann man immer noch seinen Dienst im Cockpit eines Kampfflugzeuges leisten.
Was macht Ihren Job für Sie besonders?
In allererster Linie ist es der Abwechslungsreichtum der Tätigkeit. Denn auf mich kommen immer wieder neue Herausforderungen zu, sei es im Cockpit oder außerhalb des Cockpits. Und dann ist da natürlich auf Platz Nummer eins die Fliegerei an sich. Jeden einzelnen Flug, jeden Tag im Cockpit, empfinde ich persönlich als ganz besonderes Privileg. Und in den wenigen Augenblicken, in denen wirklich Zeit zum Genießen bleibt, versuche ich genau diese Augenblicke mit allen Sinnen aufzusaugen, um mir die Erinnerung daran festzuhalten. Denn irgendwann wird der Tag kommen, an dem ich das letzte Mal in ein Flugzeug steige. Aber bis dahin werde ich jede Sekunde auf dieser Reise genießen.
"Frag mich" ist ein Format von t-online. Wir ermöglichen es unseren Nutzern, Fragen an unterschiedlichste Menschen zu stellen – seien es berühmte Personen oder Menschen aus dem Alltag. Bei "Frag mich" können unsere Leser diese Personen mit ihren Fragen konfrontieren. Für Vorschläge zu interessanten Interviewpartnern sind wir immer dankbar: Lesermeinung@stroeer.de.
- Eigenes Interview
- mit Videomaterial der Bundeswehr