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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bestseller-Autor über die Energiekrise "Die größere Gefahr ist nicht ein Stromausfall"
Ein Thriller über die fatalen Folgen eines Blackouts machte ihn weltberühmt. Nun spricht der Bestsellerautor Marc Elsberg über das echte Risiko eines Blackouts.
t-online: Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat wegen der Energiekrise vor flächendeckenden Stromausfällen in Deutschland gewarnt. "Die Gefahr eines Blackouts ist gegeben", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Ist das Panikmache oder eine wichtige Warnung?
Marc Elsberg: Hätte jemand vor drei Jahren vor einer Pandemie gewarnt, hätte man das auch als Panikmache abgetan. Es ist nie verkehrt, sich auf ein Ereignis vorzubereiten, das vielleicht nicht sehr wahrscheinlich ist, aber im Falle seines Eintretens desaströs wäre.
Aber Sie halten die Gefahr für gering?
Gering, aber nicht unmöglich. Aber das ist nicht der entscheidende Punkt. Denn wenn wir einen echten Blackout und nicht nur lokale Stromausfälle bekämen, wäre die Wirkung so ungeheuer, dass es auf die Wahrscheinlichkeit nicht ankommt.
In Ihrem Buch fällt in ganz Europa durch einen gezielten Terrorangriff der Strom aus. Das Szenario für den Winter ist aber, dass es zu Ausfällen kommt, weil nicht mehr genügend Strom da ist. Macht das einen Unterschied in der Konsequenz?
Ja, denn auf die Aussicht, dass wir im Winter Engpässe bei der Energieversorgung haben könnten, können wir uns vorbereiten. Das geschieht ja auch gerade. In einer Mangellage kann es sogar zu temporären Abschaltungen kommen. Das ist aber kein Blackout, weil man die Kontrolle behält. Ein echter Blackout bedeutet einen gesellschaftlichen und systemischen Kontrollverlust. Aber natürlich steigt bei einer Mangellage auch das Risiko eines Blackouts.
Ein anderes Szenario geht davon aus, dass es im Zuge des Ukraine-Kriegs auch zu gezielten Angriffen auf unser Stromnetz kommen könnte.
Ein Terrorangriff oder ein Angriff durch einen fremden Staat auf unsere Stromnetze wäre etwas völlig anderes als ein Blackout, der durch eine Mangellage, Wetterbedingungen oder menschliches oder technisches Versagen ausgelöst wird. Im letzteren Fall ist der Strom nach drei, vier Tagen wieder da. Wenn jemand vorsätzlich das System sabotiert, dann könnte der Ausfall viel länger dauern. Aber das wäre dann ein Krieg, nur mit anderen Mitteln. Und man müsste entsprechend darauf reagieren.
Katastrophen sind seine Spezialität
Marc Elsberg, geboren 1967 in Wien, ist ein österreichischer Schriftsteller und Strategieberater. 2012 gelang ihm mit "Blackout – Morgen ist es zu spät" der Durchbruch. Der Thriller, in dem die dramatischen Folgen eines europaweiten Stromausfalls geschildert werden, wurde zum "Wissensbuch des Jahres 2012" gewählt und 2020 mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle als Serie verfilmt.
Wahrscheinlicher scheint momentan, dass es aus anderen Gründen zu Stromausfällen kommt. So hat sich bereits mehr als jeder zehnte Deutsche einen Heizlüfter gekauft, um durch den Winter zu kommen. Die Bundesnetzagentur und die Verbraucherschutzzentrale warnen, dass dies zur Überlastung des Stromnetzes führen könnte.
Ich kann nicht beurteilen, wie realistisch diese Gefahr ist. Aber auch auf diese Situation, bei der es zu Verbrauchsspitzen kommt, kann man sich einstellen.
Laut einer aktuellen Umfrage sorgen sich 53 Prozent der Deutschen, dass es im Winter zu einem Blackout kommen könnte. Am größten ist die Sorge bei den 18- bis 29-Jährigen. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Nein, ich kann nur vermuten. Möglicherweise nutzen viele von ihnen Kommunikationskanäle, auf denen das gerade ein großes Thema ist. Der eine oder andere hat bestimmt auch Angst, dass das Handy ausfallen könnte.
Wie eine sehr lustige Szene in der Verfilmung Ihres Romans zeigt: Da beschwert sich ein Teenager-Mädchen bei ihrem Großvater über den Blackout, weil es jetzt nicht mehr in den sozialen Netzwerken unterwegs sein kann.
Im Sommer machte der TV-Sender SAT.1 ein Experiment. Zwei Haushalte mussten drei Tage lang ohne Strom auskommen. Da war es auch die Teenager-Tochter, die erstmal gar nicht mehr wusste, was sie jetzt eigentlich mit sich machen soll. Wobei ich sie gut verstehen kann. Auch für mich wäre die größte Sorge bei einem Blackout als Erstes der Ausfall des Handys – vor allem, weil ich in dieser unsicheren Situation die Möglichkeit verlieren würde, mit Menschen zu kommunizieren, die nicht in unmittelbarer Nähe sind.
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Welche Rolle spielt die Psychologie beim Blackout?
Ein Blackout passiert nicht, weil zu viele Menschen sich davor fürchten. Hilfreich ist aber, wenn jeder Haushalt sich für zehn Tage Vorräte anschafft, so wie es auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe schon seit Langem empfiehlt. Wer das tut, sollte einen Blackout mit "unabsichtlicher" Ursache bewältigen können.
Wie kann ich mich optimal vorbereiten?
Zusätzlich zu Wasservorräten und Nahrung, die man nicht kochen muss, braucht man ein batteriebetriebenes Radio, um die Nachrichten verfolgen zu können. Das kann auch das Autoradio sein, solange die Autobatterie noch funktioniert. Wichtig sind auch Taschenlampen, Streichhölzer und Kerzen sowie ausreichend Medikamente für chronisch Kranke und eine kleine Hausapotheke für alle. Familien sollten auch einen Plan entwickeln, wie sie sich verhalten, wenn eine Krisensituation eintritt, die Familienmitglieder aber an unterschiedlichen Orten wie im Büro oder in der Schule sind. Denn wenn die Kommunikation ausfällt, könnte man sich eben nicht kurz anrufen. Das gilt nicht nur für einen Stromausfall, sondern auch für andere Großlagen wie eine Flut oder einen Chemieunfall. Die kompletten Listen findet man online.
Bestätigt sehen sich durch die aktuellen Warnungen vor allem "Prepper", also Menschen, die sich schon seit Jahren auf den Ernstfall massiv vorbereiten. Haben sie Recht?
Meiner Meinung nach nicht. In Fällen von Blackouts mit "unabsichtlicher" Ursache ist der Strom nach drei, vier Tagen wieder da. Dann braucht es noch ein paar Tage, bis eine Grundversorgung wieder läuft. Dafür brauche ich keine Vorräte für drei Monate und erst recht keine Waffen und Munition, um diese zu verteidigen. Sowas bräuchte man nur im Fall eines Terror- oder Kriegsangriffs. Aber auch dann sollte man sich genau überlegen, welche Rolle man in dieser Situation spielen will. Will man zu jener kleinen Gruppe gehören, die mit Gewalt ihre Vorräte verteidigt, oder will man zu jenen gehören, die anderen im Notfall helfen, auch auf Kosten der eigenen Vorräte? Ich weiß, zu welcher Gruppe ich gehören will. Wer nur an sich denkt, verhält sich asozial.
In Ihrem Buch dauert es eine Woche, bis die Lage völlig eskaliert, die Strukturen zusammenbrechen und Nahrungsmittel mit Waffengewalt verteidigt werden. Glauben Sie, so würde es auch in der Realität geschehen?
Eigentlich bin ich ganz optimistisch. Denn wir wissen aus anderen Krisen, dass in den ersten Tagen das Gegenteil passiert. Menschen solidarisieren sich, helfen sich gegenseitig. Natürlich kommt es auch vereinzelt zu Plünderungen. Aber die Mehrheit der Gesellschaft wird erstmal schauen: Wie kommen wir da gemeinsam durch?
- Checkliste: Sind Sie für den Katastrophenfall gewappnet?
Aber das kann auch schnell kippen.
Ja, es kippt, wenn die Leute nicht mehr ausreichend Lebensmittel haben oder Kranken die Medikamente ausgehen. Deshalb wären Vorräte so hilfreich. Aber das dauert ein paar Tage, würde also bei einem kürzeren Blackout nicht passieren. Zumal die Aussicht, in ein paar Tagen wieder Strom zu haben, selbst dann ungeheuer beruhigen kann, wenn man sich noch in der Krisensituation befindet.
Sie haben also den Glauben an die Menschheit noch nicht verloren?
Nein. Wobei ich für mein Buch ja bewusst das Szenario eines Angriffs mit sehr viel längerem Stromausfall gewählt habe, weil sich erst dann die ganze Wucht des Szenarios entwickelt.
Im Buch fallen nach dem Blackout die Kühlanlagen der Atomkraftwerke aus. Es droht der GAU. Muss man da froh sein, dass die drei verbliebenen AKW in Deutschland nicht weiterlaufen sollen?
Ich habe das in meinem Buch sehr dramatisiert. Diese Gefahr ist insbesondere in Deutschland, das moderne Atomkraftwerke hat, sehr gering. Damit auch noch die Ersatzkühlsysteme von Kernkraftanlagen ausfallen, muss es schon blöd hergehen. Gut, in meinem Buch geht’s blöd her.
Wir erleben eine Phase multipler Krisen und beschleunigter Transformation. Was müssen wir verändern, um künftig als Gesellschaft krisenresilienter zu sein?
Ich finde, wir sind als Gesellschaft gar nicht so unresilient. Nehmen wir die Pandemie: Da ist nicht alles optimal gelaufen, etwa die Schulausfälle. Aber wir haben binnen eines Jahres einen Impfstoff entwickelt und eine Ausnahmesituation bewältigt. Deshalb teile ich die Klage von der mangelnden Resilienz auch nicht. Ich bin zutiefst überzeugt, dass die offenen Gesellschaften demokratischer Rechtsstaaten am besten gerüstet sind, gut durch Krisen zu kommen. Weil sie eine Vielzahl kreativer Antworten entwickeln und dadurch flexibel reagieren können.
Nun gibt es die Gegenmeinung, dass Autokratien besser durch Krisen kommen, weil sie sich all die umständlichen Abstimmungen ersparen.
Das halte ich für kompletten Unsinn. Autokratien können höchstens kurzfristig Strategien durchsetzen, die aber auch völlig falsch sein können. Und wir brauchen doch nur nach China schauen: Dort sind Teile des Landes nach wie vor immer wieder im Total-Lockdown, weil das Land immer noch keinen vernünftigen Impfstoff entwickelt hat. Die autoritäre Zero-Covid-Strategie der Regierung ist komplett gescheitert.
Sie treten am 10. Oktober im Bundestag vor dem Ausschuss für Technikfolgeabschätzung auf. Was ist Ihre wichtigste Botschaft für die Politik?
Dass eine offene, diverse Gesellschaft der beste Schutz gegen Krisen ist, weil sie viele unterschiedliche Akteure hat, die Lösungen finden können. Und dass von der Abschätzung der Folgen von Technik und von Politik das Überleben unserer Zivilisation abhängen kann. Sonst sieht es ziemlich düster aus – und das meine ich nicht im Sinne eines Stromausfalls. Denn die viel größere Gefahr für uns ist ja derzeit nicht ein Stromausfall, sondern die Klimakrise und ihre Auswirkungen.
Nur um auf die nächste Katastrophe vorbereitet zu sein: Woran arbeiten Sie gerade, Herr Elsberg?
Das kann ich leider noch nicht verraten. Aber es wird wieder spannend.
- Video-Interview mit Marc Elsberg