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Bodo Ramelow: “CDU wird es mit Herrn Laschet im Osten schwer haben”


Interview
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Bodo Ramelow
"Merkel hat die alte Bonner Republik abgeschafft"


Aktualisiert am 01.08.2021Lesedauer: 13 Min.
Bodo Ramelow: Früher fuhr der Linken-Politiker schon einmal zur Entspannung in die Sahara, diesen Sommer reicht der Thüringer Wald.Vergrößern des Bildes
Bodo Ramelow: Früher fuhr der Linken-Politiker schon einmal zur Entspannung in die Sahara, diesen Sommer reicht der Thüringer Wald. (Quelle: Matthias Frank Schmidt)
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Bodo Ramelow hat in Thüringen schwere Wochen hinter sich. Im Interview spricht der Ministerpräsident über sein Verhältnis zur AfD, Merkels Abschied und Laschets Chancen.

Bis in die Sahara reiste Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow einst, um sich von der Politik zu erholen. Zum Durchatmen nach dem jüngsten AfD-Chaos im Landtag reicht ihm der Thüringer Wald. Ein Wandergespräch über Hochwasser, das Ende von Angela Merkels Kanzlerschaft und die vielen kranken Bäume.

Als das Kanzleramt im Februar 2020 verzweifelt versuchte, Ramelow zu erreichen, war der gerade hier: in einem Waldstück im thüringischen Saale-Orla-Kreis. Auf einem nahen Hügel steht das Schloss Burgk, Drehort für Märchenfilme, rundum Wälder, im Tal staut sich die Saale. Weit und breit kein Handyempfang.

"Das ist ein absolutes Funkloch", sagt Ramelow. Erst oben auf dem Schlossplatz sei der Koalitionsausschuss von CDU, CSU und SPD damals durchgekommen, um ihn mit der Kanzlerin zu verbinden. Da war er seit vier Tagen nicht mehr Ministerpräsident, und Thüringen steckte mitten in einer Regierungskrise.

Das jüngste Nachbeben dieser Krise liegt weniger als 24 Stunden hinter Ramelow: Am Vortag, dem 23. Juli, hat er das Misstrauensvotum überstanden, das Björn Höckes AfD-Landtagsfraktion gegen ihn angezettelt hatte.

t-online: Herr Ramelow, das waren ganz schön harte Tage für Sie. Viele Beobachter sehen Björn Höckes AfD als Gewinner der Abstimmung, weil sie es geschafft hat, die anderen Parteien vorzuführen.

Bodo Ramelow: Das sehe ich nicht so. Höcke stand alleine da. Seine Rede war ja immerhin ehrlich: Es war das erste Mal in der jüngeren deutschen Geschichte, dass ein Faschist in einem deutschen Parlament so klar geredet hat. Und alle Demokraten haben sich abgewendet. Die Abstimmung hat uns Klarheit geschaffen, in alle Richtungen.

Naja, die Abgeordneten der CDU sind sitzen geblieben statt abzustimmen.

Das, was der CDU-Fraktionsvorsitzende Mario Voigt gesagt hat, war eindeutig. Da gibt es nichts zu interpretieren. Es geht mir nicht darum, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen, sondern es geht darum, dass wir eine gemeinsame Lernkurve durchlaufen. Deswegen habe ich mich auch nicht an dem ganzen Bashing der CDU in Thüringen beteiligt. Mario Voigt hat deutlich gemacht, was er von Herrn Höcke hält: nichts. Mehr muss man nicht sagen.

Höcke hat zum Schluss seiner Rede gesagt, er sehe Sie nicht als politischen Feind, sondern als politischen Gegner. Nehmen Sie ihm das ab?

Natürlich nicht. Als ich 2014 gewählt wurde, ist er sitzen geblieben, hat mir nicht die Hand gegeben. Ich kann darauf auch verzichten, ich bin nicht so ehrpusselig. Dann hat er 2020 diesen fiesen Trick vollführt, indem er einen Scheinkandidaten aufstellt. Als ich dann doch wiedergewählt wurde, war Herr Höcke der Erste, der mit einem Blumenstrauß dastand. Da habe ich ihm gesagt: Herr Höcke, Ihre Hand nehme ich so lange nicht, bis Sie glaubwürdig für Parlament und Demokratie eintreten.

Einige Meter entfernt sitzt eine Familie am Picknicktisch. Sie haben mitgehört, was Ramelow über Björn Höcke gesagt hat. "Wieso ist die Justiz da so lasch? Nazis müssten doch glattweg verboten werden", sagt der Mann. Ramelow widerspricht: Das gehe nur wenn deren Äußerungen strafrechtlich relevant seien. Höcke sei sehr geschickt und wisse, das zu vermeiden. Ramelows Jack Russel Terrier Attila knurrt – die Warnung gilt dem Hund der Familie. Was Thüringens First Dog über Björn Höcke denkt, bleibt sein Geheimnis.

Wie ging das Gespräch weiter? Sie haben damals ja relativ lang mit ihm diskutiert.

Er hat mir gesagt, es wäre unhöflich, sich nicht die Hand zu geben. Er wollte unbedingt einen Handschlag vor den Kameras. Ich habe gesagt: Entschuldigen Sie, es war mehr als unhöflich, was Sie vor vier Wochen hier gemacht haben.

Thüringer Regierungskrise: Mit Stimmen von AfD, CDU und FDP hatte der Erfurter Landtag den FDP-Politiker Thomas Kemmerich im Februar 2020 ins Amt des Ministerpräsidenten gehoben. Die AfD gab zu, ihren Abgeordnetenkollegen eine Falle gestellt zu haben, um dieses Ergebnis zu erreichen: Die Partei hatte einen Kandidaten aus ihren Reihen aufgestellt, diesen aber mit keiner einzigen Stimme gewählt. Nach heftiger Kritik verkündete Kemmerich einige Tage darauf seinen Rücktritt. Bei der Neuwahl des Ministerpräsidenten wurde Bodo Ramelow als einziger Kandidat im dritten Wahlgang wiedergewählt und bildete eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung, die zeitweise von der CDU gestützt wurde.

Nach Ende der Landtagssitzung sind Sie in Ihr Wochenendhaus im Thüringer Saaleland gefahren. Wir treffen Sie mitten im Wald. Wieso gerade hier?

Hier gibt es überhaupt keinen Empfang, das ist die schönste Entspannung für mich. Ich war auch im Februar 2020 hier, nachdem ich abgewählt wurde. Oben bei der Burg fing mein Handy dann an, immer höher zu springen – da habe ich erst mitgekriegt, dass das Kanzleramt mich sucht. Und dann kam auch schon die Polizei.

Die Polizei?

Ja, weil ich vorher nicht zu erreichen war. Ich habe dann zurückgerufen und hatte die Kanzlerin am Telefon. Was ich denn empfehlen würde angesichts des Hin und Her mit Herrn Kemmerich. Da habe ich gesagt: Der Kemmerich darf nicht zurücktreten. Da kam nur ein Stöhnen, der sei gerade zurückgetreten. Ich habe ins Telefon geschrien: "Sind die verrückt geworden? Jetzt haben sie uns richtig in die Sackgasse manövriert!" Damit hatten sie sich handlungsunfähig gemacht: Kemmerich konnte so weder eine Neuwahl einleiten noch Minister berufen. Ich wollte Ihnen zu der Szene mal die passende Landschaft zeigen.

Der Ministerpräsident bleibt stehen und blickt ins Tal. Der Pegel der Saale ist nach dem Starkregen der vergangenen Wochen immer noch zu hoch. Noch vor vierzehn Tagen galt die Lage als äußerst angespannt, trotz der sieben Stauanlagen, die den Fluss überhaupt erst gebändigt haben.

Wenn Sie an die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz denken – haben Sie Angst, dass so etwas auch in Thüringen passieren könnte?

Ich habe keine Angst, ich habe die Gewissheit. In der Nacht vor der Flutkatastrophe hat es auch bei uns stark geregnet. Bei den Regenmengen hatte ich große Sorge, dass sich im oberen Teil unserer Landschaften derartige Wassermassen aufbauen, dass es zu Flutwellen kommt. Ich habe die halbe Nacht mein Büro verrückt gemacht und sämtliche Pegelstände für Thüringen abgerufen. Zum Glück war kein einziger im roten Bereich, das hat mich beruhigt. 24 Stunden später kamen die Bilder aus Nordrhein-Westfalen. Da ist es mir eiskalt den Rücken runtergelaufen.

Was hätten Sie denn getan, wenn die Anzeigen auch in Thüringen auf Rot gesprungen wären?

Da gibt es erst einmal nur routiniertes Handeln: Katastrophenalarm auslösen, Katastrophenschutz mobilisieren, schauen, ob die Bürger gewarnt sind.

Die Behörden in den besonders betroffenen Bundesländern wurden stark kritisiert: Die Menschen seien zu spät gewarnt worden. Hätten die Ministerpräsidenten Malu Dreyer und Armin Laschet schneller handeln müssen?

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Die haben ja sofort gehandelt. Ich finde die Debatte, ob Menschenleben hätten gerettet werden können, befremdlich. Die Leute hätten ja theoretisch gewarnt sein können, zum Beispiel über die Warn-Apps Nina und Katwarn. Aber dennoch bleibt es schwierig, die Flutwellen zu modellieren, um örtlich genaue Warnungen aussprechen zu können. Und wenn man im Tal in einem Haus mit guter Pflasterung wohnt und die Kanalisation gut gemacht ist, dann denkt man nicht an meterhohe Flutwellen. Unsere Fantasie reicht dafür nicht. Aber der Mensch beherrscht das Wasser nicht.

Schlamm, Steine und Schieferplatten haben den Weg an einer Stelle schwer passierbar gemacht. Eine Folge des jüngsten Starkregens. Ramelow ist froh, dass so ein Geröllabgang zumindest auf diesem Waldpfad niemanden gefährdet hat.

Welche Lehren ziehen Sie aus dieser Hochwasserkatastrophe?

Wir müssen so ehrlich sein und sagen: Wir können nicht alles zubauen. Ständig habe ich diesen Streit: Da kommt jemand und will sein Hotel in die Aue bauen. In Jena steht das große Stadion in der Aue, beim Opel-Werk in Eisenach ist die Überflutungsfläche zugebaut. Deshalb könnte bei einem Hochwasser dort die Altstadt von Eisenach absaufen. Wir müssen also konsequent die Bebauungsstrukturen überprüfen und aufhören, rücksichtslos die Landschaft zu versiegeln. Die Niederländer sind uns da voraus.

Inwiefern?

Die haben bitter dafür bezahlt, dass sie lange Zeit hauptsächlich auf Deiche gesetzt haben, wissen aber nun, dass sie so nicht weitermachen können und achten darauf, dass keine Überflutungsflächen bebaut werden. Sie haben Häuser in gefährdeten Gegenden tatsächlich auch enteignet. Im Gegensatz zu den Niederlanden kommt bei uns allerdings hinzu, dass Thüringen über weite Strecken gebirgig ist. Hier entwickeln sich Flutwellen erheblich schneller und dramatischer als im Flachland. Überflutungsflächen können wir dort nicht schaffen. Auch dafür braucht es passgenaue Konzepte.

Enteignung ist ein heikles Thema, besonders für einen Linken.

Man darf dieses Mittel nur nutzen, wenn es einen schlüssigen Plan gibt. Es geht ja auch nicht um Vertreibung, sondern um Entschädigung und Neuaufbau. Was haben Sie davon, wenn Sie in einer Lage wohnen, wo Sie nicht einmal eine Elementarschadenversicherung abschließen können?

Das sind krasse Veränderungen, die Sie vorschlagen. Historisch gesehen war das jüngste Hochwasser ein seltenes Jahrhundertereignis. Wieso dann alles ändern?

Wenn man denkt, dass es so bleibt, mag das stimmen. Aber dieser Meinung bin ich nicht, ich halte sie sogar für grob falsch. Jeder hat die Bilder aus NRW und Rheinland-Pfalz gesehen, die bewaldeten Hanglagen, wo das Wasser nur so runtergerauscht ist. Diesen Starkregen werden wir nicht mehr los. Dadurch wird die Frage, wie viel Wasser der Wald aufnehmen kann, extrem wichtig. Der Wald ist nicht mehr nur aus wirtschaftlichen Gründen interessant. Sondern auch, weil er uns helfen kann, mit der Wetterveränderung zu leben. Das ist der Wasserspeicher, der im Zweifelsfall auch Starkregen zu einem großen Teil aufnehmen kann. Und wir müssen dafür sorgen, dass er das tut.

Das scheint in Thüringen aber nicht besonders gut zu laufen: Nur noch 15 Prozent der Bäume im Bundesland sind gesund.

Die Ergebnisse guter Waldpolitik heute sieht man so richtig erst in 50 Jahren. Aber da sage ich: Es ist trotzdem notwendig.

Ramelow zeigt mit ausgestrecktem Arm auf einen kahlen Stamm, der quer im Unterholz liegt. Auf dem Kamm der gegenüberliegenden Talseite steht ein ganzer Zug toter Fichten.

Wenn man hier links und rechts guckt, hat man überall die Schadflächen. Das sehen Sie in dieser Gegend überall. Die Fichte war hier der Brotbaum, dabei ist das gar nicht der natürliche Baumbestand. Erst vor 200 bis 250 Jahren haben die Menschen sie hier angepflanzt, da sie am schnellsten wuchs – schneller Rohstoff für Bergwerke und Städte.

Das Waldsterben betrifft aber nicht nur die Fichte.

Wir haben auch ein Buchensterben. Der Unterschied ist: Die toten Fichten sehen auch mehr als bescheiden aus. Und wenn die wie im Harz millionenfach stehen, sind die Leute entsetzt. Der gleiche Schadenszustand in der Buche bleibt lange von unten unsichtbar, dabei ist die Gefahr durch abbrechendes morsches Holz wesentlich größer. Zuerst stirbt die Krone ab, während von unten alles noch grün aussieht, und irgendwann bricht die Buche am eigenen Gewicht zusammen.

Sie haben einmal gesagt, Bilder von massenhaft abgestorbenen Fichtenwäldern wie im Harz wollen Sie in Thüringen verhindern. Geht das überhaupt noch?

Da kommt vieles zusammen, am wichtigsten ist das Alter der Bäume. Am Rennsteig haben wir Bestände, die sind nur etwas jünger als die im Harz. Wenn wir jetzt nicht eingreifen, sieht das da in 50 Jahren ähnlich aus. Sobald ein bestimmtes Alter überschritten ist, reicht ein trockener Dürresommer und das Sterben geht los. Der Borkenkäfer löst da nur noch den Turbo aus. In den Hochlagen hatten wir jetzt drei sehr trockene Sommer hintereinander. Das hält die Fichte nicht aus.

Was ist die Lösung?

Wenn ich früher diesen Weg gelaufen bin, war noch alles voll mit Fichten. Jetzt ist das hier Mischwald, da sind die meisten toten Bäume schon raus. Das brauchen wir überall.

Als Politiker vermitteln Sie zwischen Jägern, Förstern, Naturschützern, Waldbesitzern – die teils gegenläufige Interessen haben. Wer zieht da den Kürzeren?

Ich sag mal so: Einer der größten Feinde von jungen Baumbeständen ist das Reh. Wenn es zu viele gibt, haben wir einen hohen Verbiss. Wenn wir also den Jagddruck nicht erhöhen, können wir auch den Wald nicht besser schützen. Das ärgert natürlich die Jäger, die ihren Bestand erhalten wollen.

Also müssen die Jäger am meisten zurückstecken?

Ich finde, das Reh zieht den Kürzeren.

Auch die Waldbesitzer sind nicht alle glücklich über Ihre Kampfansage gegen die Fichte. Einige werfen Ihnen dabei Enteignung vor.

Wenn die Fichte tot ist, hab ich sie dann enteignet, oder war das die Natur? Ich kann die Lage der Waldbesitzer gut verstehen, die sind in den letzten Jahren finanziell ziemlich gebeutelt worden. Deshalb fände ich es gut, sie generell mit Geld aus einem CO2-Preistopf dafür zu belohnen, dass ihre Wälder Kohlendioxid speichern. Die Frage ist: Wie kriegen wir die privaten Eigentümer dazu, das zu tun, was wir in den Landesforsten schon machen: das ganze Schadholz rausholen und die Flächen umförstern – also andere Baumarten mit hineinnehmen. Das geht nur mit den Waldbesitzern zusammen. Und wenn ein Teil meiner Partei sich darüber echauffiert, dass Fürst A oder Fürst B einen zu großen Waldbesitz hat, dann ist mir das zu blöd. Wir müssen als Linke nachhaltige Antworten finden, statt beispielsweise plakativ zu fordern, alles zu verstaatlichen.

Ramelows Hund Attila läuft vorneweg. Nur wenn es nicht anders geht, legt der Chef ihm die Leine an.

Das ist nicht der einzige Streitpunkt in Ihrer Partei. In zwei Monaten ist Bundestagswahl und die Linken rutschen in den Umfragen aktuell Richtung fünf Prozent. Da steht der Wiedereinzug in den Bundestag auf dem Spiel.

Mir sind diese Sorgen bekannt. Ich war bei der Bundestagswahl 2005 Wahlkampfleiter, da waren wir nicht mal im Bundestag. Danach haben wir die Partei mit großem Erfolg zurückgeführt. Ich würde der Partei immer wieder raten, dass wir unsere linken Positionen eher an praktischen Themen ausrichten als an theoretischen. Beispiel: beitragsfreie Kinderbetreuung in ganz Deutschland. Das ist eine linke Antwort auf gesellschaftliche Herausforderungen.

Eine große interne Herausforderung für die Linken ist der Umgang mit Sahra Wagenknecht. Was halten Sie vom Ausschlussverfahren gegen sie?

Eine Partei sollte sich nicht erlauben, auf das Stellen von Fragen mit Ausschluss-Tiraden zu antworten. Ich habe immer wieder gesagt, Sahra Wagenknecht stellt die richtigen Fragen. Nur ihre Antworten würde ich nicht geben. Ich bin aber auch bereit, mit ihr über solche Sachen inhaltlich zu debattieren. Das tue ich auch.

An welchem Punkt geht es zwischen Ihnen beiden am weitesten auseinander?

Bei der Frage, wie wir mit Geflüchteten umgehen. Das ist mir auf beiden Seiten in meiner Partei zu polarisiert. Die einen sehen es als großes Thema der Freiheit und die anderen sehen es als großes emotionales Thema, dass sich normale Leute bedroht fühlen. In beiden Perspektiven steckt etwas Wahres. Wirklich wichtig ist aber ein praktisches Aufenthaltsrecht, das sich daran orientiert, wie jemand sich integriert. Ich plädiere seit Jahren für ein Asylrecht mit dem Recht auf Spurwechsel.

Heißt?

Ein Asylbewerber kann seinen Asylantrag zurückziehen und bekommt im Gegenzug dafür eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung. Die wiederum sind an eine Integrationsleistung gekoppelt.

Damit klingen Sie für viele Parteikollegen wohl eher wie ein CDU-Politiker.

Die CDU ist überhaupt nicht willens, mit mir darüber zu sprechen. Mit Horst Seehofer habe ich das mal diskutiert, aber er hat dafür keine Mehrheiten in seiner Fraktion bekommen. Aber ja, in meiner Partei werde ich manchmal als reaktionär bezeichnet. Je linker das Spektrum, umso lauter tönt es in meine Richtung, ich sei zu pragmatisch. Nachdem Sahra Wagenknecht auf dem Parteitag 2016 mit einer Torte beworfen wurde, hieß es, für mich stehe auch eine bereit. Diese Leute verwechseln ihre Gespräche in Hinterzimmern mit der Gesellschaft.

Immer wieder unterbricht Ramelow seine Sätze, zeigt sehnsüchtig ins Unterholz: überall Sommersteinpilze. Seine Frau habe ihm verboten, sein Pilzmesser zu diesem Termin mitzunehmen. Fast ebenso schmerzt ihn, dass TV-Satiriker Jan Böhmermann seine Einladung zum Pilze essen immer noch nicht angenommen hat.

Der Böhmermann kommt nicht, der ist zu feige.

Meinen Sie, dass es wirklich daran liegt?

Der hat vor ein paar Jahren Stimmung gegen mich gemacht. Im Sinne von: Die Nazis laufen überall rum und Ramelow postet Pilzfotos!

Die häufigen Neonazi-Konzerte in Thüringen waren damals aber sehr präsent. Wieso finden Sie die Kritik nicht angebracht?

Soll ich auch privat den ganzen Tag von Neonazi-Konzerten posten? Ich lasse mir von niemandem sagen, was ich auf meinem privaten Account mache. Ich bin zu alt dafür, mich deshalb noch verrückt machen zu lassen, wenn ich hier in der Natur unterwegs bin.

Geht Ihnen das auch so bei dem Gedanken, dass Sie hier in der Gegend bald Hans-Georg Maaßen zum Nachbarn haben könnten? Die CDU in Südthüringen hat den ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten ja für die Bundestagswahl aufgestellt.

Herr Maaßen hält mich nach wie vor für einen Verfassungsfeind. Ich bin immer noch entsetzt darüber, dass er so lange eine Behörde geführt hat, in der er offenkundig ideologisch gearbeitet hat.

Was sagt die Nominierung von Herrn Maaßen über die CDU im Süden Ihres Landes aus?

Da differenziere ich durchaus zwischen der gesamten Thüringer CDU und der Geschäftsstelle in Südthüringen. Die haben nämlich nicht nur Herrn Maaßen nominiert, sondern ihm auch in seiner fragwürdigen Journalismuskritik den Rücken gestärkt. Ein paar Tage später hat sich dann die CDU wieder entschuldigt. Erst etwas behaupten und dann sagen, man sei missverstanden worden – das Spiel kennen wir. Herr Maaßen beherrscht das perfekt, wie Herr Höcke. Was mich aber noch mehr grämt, ist, was neulich in einem Südthüringer Kreistag passiert ist. Da hat ein CDU-Kreisvorsitzender dem Rechtsextremen Tommy Frenck seine Jacke gegeben, damit dieser sein Neonazi-Shirt nicht ausziehen musste.

CDU-Chef Laschet hat zur Causa Maaßen lange geschwiegen und sich dann eher halbherzig abgegrenzt.

Ich finde, jede Partei sollte in Deutschland ihre Hausaufgaben machen, wenn sie von der Brandmauer nach rechts spricht. Und da meine ich alle, da haben alle ihre Hausaufgaben zu machen und keiner sollte allein mit dem Finger auf andere zeigen.

Bald sitzt jemand Neues im Kanzleramt. Werden Sie Frau Merkel vermissen?

Ich habe an vielen Stellen andere politische Auffassungen als die Kanzlerin. Aber ich habe sie sehr zu schätzen gelernt, besonders, dass sie in kritischen Phasen sehr ruhig ist. Ich bin immer noch erstaunt, dass die Bundeskanzlerin in der CDU die am meisten unterschätzte Persönlichkeit war, die die Partei je hatte.

Weshalb?

Ich finde es beachtlich, dass sie die ganzen West-Themen, die in der Union streitig waren, abgeräumt hat, etwa den Atomausstieg. Frau Merkel hat sozusagen die alte Bonner Republik abgeschafft. Das wäre vorher undenkbar gewesen. Allerdings hat sie als Ost-Frau alles getan, damit niemand merkt, dass sie ostdeutsch ist. Ich hätte mir gewünscht, dass sie ihr Wissen über die Ungerechtigkeiten zwischen Ost und West eingebracht hätte. Aber das war der Preis, den sie als Frau für eine Karriere in der CDU zahlen musste: die Neutralität in der Ost-West-Thematik. Daher kann die emotionale deutsche Einheit erst nach der Ära Merkel kommen.

Noch steht nicht fest, wer Kanzler wird. Ein Ostdeutscher aber definitiv nicht.

Ich denke, die CDU wird es deshalb wohl mit Herrn Laschet im Osten schwer haben. Nicht, weil ich mir das politisch wünschen würde. Sondern weil ich denke, er fremdelt mit den Menschen und der Situation im Osten Deutschlands. So wie damals auch Edmund Stoiber.

Auch in Thüringen sollte ja eigentlich gewählt werden. Nun ist die Neuwahl vorerst abgesagt.

Ja, das ist nicht schön, und ich bedaure das sehr. Die Bürger haben ein Jahr lang gesagt bekommen, es gibt Neuwahlen. Nun finden die nicht statt. Ich habe aber auch keine Lust, von einer nicht umgesetzten Ankündigung in die nächste zu gehen.

Also einfach weiterregieren bis 2024?

Ich habe in der Regierungsmedienkonferenz gemeinsam mit meinen Partnern von SPD und Grünen deutlich gesagt: Wir bereiten uns vor, unsere Amtspflichten zu erfüllen. Ich würde auch gern wieder Inhalte nach vorne rücken: Wie sieht der nächste Haushalt aus? Kriegen wir die Kindergärten komplett beitragsfrei? Bekommen wir den Waldumbau gestemmt?

Sie sind in einer Minderheitsregierung. Haben Sie keine Angst, dass FDP und CDU Ihre Regierung blockieren werden?

Es geht ums Land. Da muss nun jeder selbst entscheiden, welche Verantwortung er tragen will.

Zurück am Wanderparkplatz tauscht Ramelow seine blaue Schiebermütze gegen einen Fahrradhelm, verstaut den Hund im Fahrradanhänger und steigt auf. Seine Frau wartet auf ihn. Und drei Wochen Sommerurlaub.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Bodo Ramelow am 24.07.2021 im Thüringer Wald
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