Trauerfeier in Hanau Steinmeier: "Lasst nicht zu, dass die böse Tat uns spaltet!"
Bei einer Trauerfeier wurde an die Opfer des rechtsterroristischen Anschlags in Hanau erinnert. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fand bewegende Worte – und gestand auch Schuld ein.
Ein Jahr nach dem rassistischen Anschlag mit neun Toten in Hanau erinnert die Stadt am Freitagabend bei einer Trauerfeier an die Opfer des Massakers. An der Veranstaltung nahmen neben Hinterbliebenen auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky teil. Aufgrund von Corona blieb die Zahl der Teilnehmer jedoch auf 50 Personen begrenzt.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verlangte eine Aufklärung aller offenen Fragen. Zugleich rief er die Bürger zum Zusammenhalt auf. "Aufklärung und Aufarbeitung stehen nicht in freiem Ermessen. Sie sind Bringschuld des Staates gegenüber der und vor allem gegenüber den Angehörigen", sagte Steinmeier.
Steinmeier: "Lasst nicht zu, dass die böse Tat uns spaltet!"
Er wisse, dass es Kritik und Fragen an das staatliche Handeln gegeben habe und weiter gebe. Auch der Staat und die, die in ihm Verantwortung tragen, seien nicht unfehlbar. Wo es Fehler oder Fehleinschätzungen gegeben habe, müsse aufgeklärt werden. "Nur in dem Maße, in dem diese Bringschuld abgetragen wird und Antworten auf offene Fragen gegeben werden, kann verlorenes Vertrauen wieder wachsen. Deshalb müssen wir uns so sehr darum bemühen. Der Staat ist gefordert", sagte der Bundespräsident.
Keineswegs seien ein Jahr nach dem Anschlag die Trauer gewichen, der Schmerz geringer geworden, die Wut verflogen, alle Fragen beantwortet, sagte Steinmeier. "Doch als Bundespräsident stehe ich hier und bitte uns: Lasst nicht zu, dass die böse Tat uns spaltet! Übersehen wir nicht die bösen Geister in unserer Mitte – den Hass, die Ausgrenzung, die Gleichgültigkeit. Aber lasst uns glauben an den besseren Geist unseres Landes, an unsere Kraft zum Miteinander, zum gemeinsamen Wir!"
Kaminsky und Bouffier tragen Namen der Opfer vor
Steinmeier dankte der Stadt Hanau und ihren Bürgerinnen und Bürgern für ihr "mitbürgerliches Engagement" nach dem Anschlag, das er in dieser Form und Vielfalt selten erlebt habe. Den Familien der Angehörigen sagte er: "Ich bin hier, weil mich zutiefst bedrückt, dass unser Staat sein Versprechen von Schutz, Sicherheit und Freiheit, das er allen gibt, die hier gemeinsam friedlich leben, gegenüber Ihren Angehörigen nicht hat einhalten können."
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) lasen die Namen der neun Toten vor. Beide Politiker zeigten sich bei der Gedenkfeier sehr berührt. Eine extra Rede hielten Bouffier und Kaminsky jedoch nicht. Kaminsky äußerte sich später gegenüber dem "Rundfunk Berlin-Brandenburg".
Fußball-Legende trug Gedicht vor
Auch der frühere Fußball-Nationalstürmer Rudi Völler war am Freitag in Hanau anwesend. Mit einem Zitat von Wilhelm Grimm eröffnete er die Gedenkfeier. "Hass, der alle anderen Gefühle bald überflügelt, zerstört mehr als alles andere das ruhige und gedeihliche Leben eines Staates, das auf der inneren Gesinnung der Menschen beruht, nicht auf Bajonetten", lautete das Zitat des berühmten Märchensammlers Wilhelm Grimm, der ebenso wie sein Bruder Jacob in Hanau geboren wurde. Im Anschluss entzündete Völler, der Ehrenbürger von Hanau ist, eine Gedenkkerze für die neun Todesopfer.
Nach Steinmeiers Rede wandten sich Hinterbliebene in kurzen Botschaften auf der Gedenkfeier an die Öffentlichkeit. Sie warfen den Behörden Fehler vor: Sie seien unzureichend über den Tatablauf informiert worden, der Täter hätte am Erwerb einer Waffe gehindert werden müssen, die Polizei hätte dem Täter zuvor auf die Spur kommen müssen.
Emis Gürbüz, deren Sohn Sedat ermordet worden war, sagte: "Wir wollen lückenlose Aufklärung. Die Behörden sollen ihre Fehler zugeben." Sie fügte hinzu: "Wir Eltern haben schlaflose Nächte." Der Hinterbliebene Armin Kurtovic verlangte in seiner Ansprache stellvertretend für alle neun betroffenen Familien, "schonungslos vorzugehen" gegen alle, die ihre Amtspflichten verletzt haben. "Es reicht nicht aus, zu sagen: Hanau darf sich nicht wiederholen." Kurtovics Sohn Hamza war ebenfalls unter den Opfern. Die "Initiative 19. Februar Hanau", ein Zusammenschluss der Hanauer Angehörigen, spricht von einem "Versagen der Behörden vor, während und nach der Tat".
Vor einem Jahr hatte der 43-jährige Deutsche Tobias R. neun Menschen mit ausländischen Wurzeln an mehreren Orten in Hanau, einer Stadt im Rhein-Main-Gebiet, erschossen. Kurz darauf tötete er mutmaßlich auch seine Mutter und anschließend sich selbst. Zuvor hatte er Pamphlete und Videos mit Verschwörungstheorien und rassistischen Ansichten im Internet veröffentlicht. Die Tat hatte am Abend des 19. Februar 2020 hatte Entsetzen in Deutschland ausgelöst.
- Nachrichtenagenturen dpa, AFP