Ende der Zuversicht Der Pessimismus der Deutschen hat viele Gründe
Deutschland geht es wirtschaftlich gut, dennoch fürchten sich viele Menschen vor dem Abschwung. Lediglich die Jüngeren sind optimistischer eingestellt.
Beim Blick ins neue Jahr fühlen sich die Deutschen nach Ansicht des Hamburger Zukunftsforschers Horst Opaschowski wie im Paternoster. Sie sehen den anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung und fragen sich mit Sorge, wie lange es noch so weitergeht, wann der Abschwung kommt. Laut einer Umfrage, die Opaschowski gemeinsam mit dem Meinungsforschungsinstitut Ipsos gemacht hat, ist die Stimmungslage in Deutschland so schlecht wie seit fünf Jahren nicht mehr.
Der Aussage "Dem kommenden Jahr sehe ich mit großer Zuversicht und Optimismus entgegen. Ich erwarte bessere Zeiten" stimmen nur noch 17 Prozent der Befragten zu. Im Jahr 2014 hatte der Anteil der Optimisten noch bei 45 Prozent gelegen. "Eine breite Mittelschicht lebt derzeit nach dem Paternoster-Prinzip. Sie fährt mit dem Paternoster nach oben, ist sich aber sicher, dass es auch wieder abwärts geht, sobald man oben angekommen ist", sagt Opaschowski.
Hasswelle nimmt ab
Im Jahr 2015 hatte die Flüchtlingsdebatte zu einem Stimmungseinbruch geführt. Die Sorgen im Hinblick auf die Integration der Zuwanderer sind noch immer da: 50 Prozent der Befragten befürchten, dass eine wachsende Fremdenfeindlichkeit den sozialen Frieden gefährdet. Das sind vier Prozentpunkte mehr als vor einem Jahr. Zugleich sieht der Zukunftsforscher Anzeichen dafür, dass die Hasswelle in Deutschland abebbt.
Die Gewalttaten und Demonstrationen von Chemnitz und Köthen hätten das Land teilweise wochenlang beschäftigt. Jedoch sei allen klar geworden, dass es ohne einen "Modus Vivendi" nicht weitergehen könne. "Die Mehrheit hat eingesehen, dass wir ohne Zuwanderung nicht auskommen, aber noch sind keine verbindlichen Umgangsregeln gefunden worden", sagt Opaschowski.
Der Professor verdeutlicht das am Beispiel der Fußballer Mesut Özil und Ilkay Gündogan. In ihren Äußerungen zur Begegnung mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hätten sie ihre Zugehörigkeit zu Deutschland nicht deutlich genug sichtbar gemacht. Die Bevölkerung erwarte, dass Zuwanderer sich zu wenigstens 51 Prozent dem Land verbunden fühlten. "Anstatt zu sagen: "Erdogan ist mein Präsident" hätten sie besser sagen sollen: "Erdogan ist mein zweiter Präsident.""
Viele Menschen leben in Deutschland ganz gut, stellt der Professor fest. Dennoch befürchten 66 Prozent, dass die Kluft zwischen Arm und Reich größer wird. Das sind vier Prozentpunkte mehr als Ende 2017. "Erstaunlich, dass das zunimmt", sagt Opaschowski.
Zur Erklärung des Trends verweist er auf den von ihm gemeinsam mit dem Ipsos-Institut erstellten Nationalen Wohlstandsindex (Nawi-D). Demnach verfügt jeder zweite Deutsche nicht über Eigentum in Form von Wohnung, Haus oder auch nur Auto. Jeder Zweite habe auch finanzielle Sorgen und Angst vor der Zukunft. "Es fehlt den Menschen an Rücklagen und Absicherungen", schlussfolgert Opaschowski. Die Politik müsse auf diesem Gebiet mehr tun. "Die Eigentumsbildung ist ungeheuer wichtig."
Politik muss Antworten liefern
Nach einer repräsentativen Umfrage der Hamburger BAT-Stiftung für Zukunftsfragen interessiert die Bürger mehr als alles andere die Altersversorgung. Besonders die mittlere Generation im Alter von 35 bis 54 Jahren wolle wissen, ob die eigene Rente sicher sei und sie sich im Alter eine Betreuung leisten könne.
Von großer Bedeutung seien für die Menschen auch das globale Thema Kriege und Konflikte sowie der Umweltschutz. "Viele fürchten sich vor Altersarmut, Krieg und dem Klimawandel", sagt der wissenschaftliche Leiter der Stiftung, Ulrich Reinhardt. Auch er sieht die Politik in der Pflicht, die richtigen Antworten zu finden, um der Bevölkerung ihre Ängste zu nehmen.
Übertreiben es die Deutschen mit ihren Sorgen? Opaschowski meint jedenfalls: "Das Krisengefühl der Deutschen braucht keine große Krise." Als Beispiel nennt er die verbreitete Angst vor unbezahlbarem Wohnraum (53 Prozent, plus acht Prozentpunkte). Den drei Millionen Wohnungssuchenden in Deutschland stünden eine Million leerstehender Wohnungen gegenüber. Von den Mietsteigerungen seien vor allem Westdeutsche, Singles, Berufstätige und "gesettelte" über 50-Jährige betroffen. "Die Mietenexplosion ist auch eine Anspruchsexplosion", findet Opaschowski.
Jüngere sind optimistischer
Ein Hoffnungszeichen sieht der Pädagogik-Professor (77) im deutlich größeren Optimismus der unter 20-Jährigen. 26 Prozent der jüngeren Befragten geben sich als Optimisten zu erkennen. Zum Vergleich: Bei der 65plus-Generation sind es nur 10 Prozent. Befragt nach ihrer persönlichen Zukunft sagen die Jugendlichen gar zu über 70 Prozent, dass sie das Beste aus ihrem Leben machen wollen. An ein gutes Zusammenleben von Deutschen und Flüchtlingen glauben 26 Prozent der Teenager, aber lediglich 11 Prozent der Senioren.
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Laut BAT-Stiftung ist für die 14- bis 34-Jährigen die Frage nach einer glücklichen Ehe oder Partnerschaft am wichtigsten (60 Prozent). Ferner wollen sie wissen, ob sie auf dem richtigen Weg sind (55 Prozent), Erfolg haben werden (50) und ob sie mal selbst Eltern werden (40). "Ein etwas jugendlicherer und positiver gestimmter Blick in die nahe Zukunft täte den Deutschen gut", meint Opaschowski.
- Nachrichtenagentur dpa