TV-Kritik "Anne Will" "Die CDU wollte es kuschelig haben"
Bringt Annegret Kramp-Karrenbauer genug frischen Wind in die CDU? Oder holen sie alte Männerseilschaften doch noch ein? Reichlich Gesprächsstoff bei "Anne Will".
Die Gäste
- Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Parteivorsitzende
- Martin Schulz (SPD), Mitglied des Bundestages und ehemaliger Parteivorsitzender
- Wolfgang Kubicki (FDP), Stellvertretender Parteivorsitzender und Bundestagsvizepräsident
- Christiane Hoffmann, Stellvertretende Leiterin des "Spiegel"-Hauptstadtbüros
- Gabor Steingart, Journalist und Autor
Die Fronten
Gibt es mit Annegret Kramp-Karrenbauer ein Weiter-so oder einen Neuanfang? Der mit nur 52 Prozent der Stimmen gewählten neuen CDU-Parteivorsitzenden stehen große Herausforderungen ins Haus. Sie muss die vielen Delegierten für sich gewinnen, die lieber Friedrich Merz im Amt sehen wollten. Das geht aber nur durch Abgrenzung von Angela Merkel – doch die will noch zwei Jahre weiterregieren. Schulz sah zunächst schwarz: "Die CDU ist nach dem Parteitag eine gespaltene Partei." Kramp-Karrenbauer kündigte an, die Reihen schließen zu wollen. Jens Spahn sei "im Team mit drin", mit Merz wolle sie "in den nächsten Tagen reden". Streitthemen wie die Innere Sicherheit wolle sie in Werkstattformaten bearbeiten. Kubicki widersprach: "Eine neue Politik kann die CDU nicht machen, solange Merkel Kanzlerin ist."
Außerdem gibt es ja da auch noch den Koalitionsvertrag – und einen handfesten Streit über den Paragrafen 219a des Strafgesetzbuches, der die Werbung für Abtreibung unter Strafe stellt. Für die Position der SPD fuhr Schulz Applaus ein: "Ärzte werden kriminalisiert. Das ist ein unhaltbarer Zustand!" Die Entscheidung müsse man den Abgeordneten wie bei der Ehe für alle zur Abstimmung freigeben. Anne Will kostete es drei Nachfragen, um Kramp-Karrenbauer eine Antwort zu entlocken. "Der Paragraf darf nicht abgeschafft werden." Hierüber stehe sie mit SPD-Parteichefin Andrea Nahles "in gutem Austausch". Hoffmann sah den Streit als symptomatisch für die Verfassung der Koalition. "Die Union steht noch stärker als vorher unter Druck, zu beweisen, dass sie in solchen prinzipiellen Fragen nicht nachgibt – und die SPD ist in einer Verfassung, in der sie Kompromisse nicht mehr verkraften kann."
Blieb noch die Frage zu klären, ob Merkel wirklich bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleiben will und kann? Schulz legte sich wie der Rest der Runde auf ein "Ja" fest, um direkt zu einer kleinen Wutrede anzusetzen: Man diskutiere viel zu viel über Personal und Wahltaktik statt über drängende Fragen wie hohe Mieten und Kita-Gebühren oder die Probleme bei der Bahn. "Davon haben die Menschen die Nase voll."
Der Aufreger des Abends
Kubicki und Steingart machten sich mit markigen Sprüchen vor allem in Richtung von Kramp-Karrenbauer reichlich unbeliebt. Ironischerweise ausgerechnet in einer Sendung, in der es um das vermeintliche Ende von Seilschaften alter Männer (Stichworte: Schäuble, Merz) ging. Das Internet reagierte entsprechend:
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Anlass war zunächst die deutliche Kritik Steingarts an den letzten Regierungen. Die Volksparteien hätten lange genug regiert, um etwas zu bewegen. "Jedes Funkloch ist eigentlich Ihr Funkloch", sagte er in Richtung Schulz und Kramp-Karrenbauer. Die Wirtschaftsleistung des Saarlands nannte er "armselig" und distanzierte sich auch auf Nachfrage Anne Wills nicht von seiner Aussage, als Ministerpräsidentin des Saarlands habe sie Erfahrungen auf Ebene einer Bürgermeisterin. Im Gegenteil: "Gerade weil das Saarland so klein ist, hätten Sie etwas bewegen können!"
Auch Kubicki geizte nicht mit breitbeinigen Sprüchen. "Ich habe Ihnen diese Form der Rede nicht zugetraut", sagte er in Richtung CDU-Vorsitzende. Was vielleicht als gönnerhaftes Kompliment über die Parteitagsrede gedacht war, klang letztlich doch recht daneben. Die Steilvorlage für die nächste Pointe lieferte dann ausgerechnet Steingart mit seiner scherzhaft gemeinten Frage, ob sich Kubicki das Kanzleramt zutraue. Antwort: "Ich traue mir alles zu."
Kramp-Karrenbauer schoss wütend zurück: Steingart sei "in höchstem Maße despektierlich gegenüber den Saarländern". Die dortigen politischen Erfolge lasse sie sich nicht von ihm kaputtreden. Und als Reaktion auf die vielen "Kann sie Kanzler?"-Fragen: "Als ich angefangen habe Politik zu machen, bin ich gefragt worden: 'Was wird eigentlich aus Ihren Kindern, wenn Sie in den Bundestag gehen?' Die Kollegen, die neben mir auch in den Bundestag gegangen sind, mussten sich diese Frage nie gefallen lassen."
Der Faktencheck
Steingart attackierte Kramp-Karrenbauer für deren aus seiner Sicht schlechten Bilanz als saarländische Ministerpräsidentin. Bei der Verschuldung liegen Sie an der Spitze gleich hinter den Stadtstaaten. "Das Bruttosozialprodukt ist armselig, Frau Kramp-Karrenbauer!"
Tatsächlich ist das Saarland mit über 14.000 Euro pro Einwohner das höchstverschuldete deutsche Flächenland. Dahinter folgt Sachsen-Anhalt mit rund 9.400 Euro Schulden pro Einwohner. Nur die Stadtstaaten haben deutlich mehr Geld geliehen, allen voran Bremen mit mehr als 32.000 Euro pro Einwohner. Darüber hinaus sind die saarländischen Kommunen im bundesweiten Vergleich am höchsten verschuldet.
Etwas anders sieht es bei der Wirtschaftsleistung aus: Betrachtet man das Bruttoinlandsprodukt – das gängigste Maß zur Messung der Wirtschaftsleistung – pro Einwohner, liegt das Saarland zwar unter dem Bundesdurchschnitt (knapp 40.000 Euro pro Einwohner), jedoch vor Rheinland-Pfalz und allen Ost-Ländern mit Ausnahme Berlins.
- Deutschland in Zahlen: Schulden je Einwohner
- Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Saarland führt Schulden-Rangliste der Kommunen an