Flüchtlings-Talk bei Dunja Hayali Sind Flüchtlingshelfer Kriminelle oder Lebensretter?
Die siebte und letzte Sommer-Sendung von und mit Dunja Hayali widmete sich am Mittwochabend einem Thema aus drei Perspektiven: den Flüchtlingen. Was fehlte, war die Perspektive.
Die Gäste, Teil eins
- Katrin Göring-Eckhardt, Bündnis90/Die Grünen
- Wolfgang Bosbach, CDU
- Titus Molkenbur, Mitbegründer „Jugend Rettet“
Das Thema
"Das Mittelmeer bleibt ein Friedhof": Mit dieser Anmoderation öffnete Hayali die Tür zu einem Thema, das selten in den letzten Monaten konkreter diskutiert wurde. Rettungsorganisationen haben auf See zwischen Nordafrika und Südeuropa am Wochenende ihre Arbeit eingestellt: Schiffe, die beschlagnahmt wurden, Vorwürfe der Politik, dass Hilfsorganisationen mit Schleppern gemeinsame Sache machen wie ein Taxi-Service. "Wie groß kann unsere Herzlosigkeit sein?", fragte Titus Molkenbur, Mitbegründer der Seenot-Organisation "Jugend Rettet", die nach Eigenauskunft schon über 14.000 Menschen das Leben gerettet hat. Doch der Organisation wurde nun das Boot genommen und damit die Helfer-Grundlage.
Der Trend, der diesem Abend ausgiebig als Thema hätte genügen können, war der Vorwurf der "Kriminalisierung der Seenotretter". Dass nicht nur Schlepper kassieren wollen, sondern Hilfsorganisation bei der Rettung von Menschenleben "Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt" leisten, wie italienische Behörden inzwischen Menschen wie Titus Molkenbur vorwerfen. Wenn der Behörden-Wahnsinn aus Fremdenangst zur Methode wird – Dunja Hayali hatte das richtige Thema gefunden, nur die falschen Gäste geladen.
Das Problem
"Wir werden das hier im Studio nicht klären können": Dieser Satz von Wolfgang Bosbach erklärte das ganze Dilemma. Wofür brauchte es den CDU-Plauderer und die Grünen-Vorsitzende? Hayali hätte gut daran getan, auf große Namen zu verzichten und dieses Thema mal nicht mit Politikern, sondern mit Menschen zu diskutieren, die – wie Molkenbur – mittendrin in der Debatte stecken.
So blieben nur Bosbachs gehaltlose Andeutungen, dass Seerettung "völkerrechtlich und moralisch Pflicht ist", aber die Grenze da verlaufe, "wo die Organisationen mit Schleppern zusammenarbeiten". Wo diese sei, musste er dann aber gleichsam zugeben, "weiß ich nicht und kann ich auch nicht wissen".
Warum genau war er dann noch gleich dort? Katrin Göring-Eckhardt konnte dem auch nur die Empörung zur Seite stellen: "Was soll eine Organisation wie ‚Jugend Rettet’ für eine Motivation haben? Da geht es für mich nur um Stimmungsmache." Man hätte stattdessen gerne mehr über Molkenburs Erfahrungen gehört, die er in Italien gesammelt hatte – inklusive Verhören bei der Polizei und Aussagen vor Gerichten.
Die Gäste, Teil zwei
- Katrin Göring-Eckhardt
- Wolfgang Bosbach
- Kilian Kleinschmidt, leitete Flüchtlingslager in Jordanien
Tiefpunkt des Abends
Stattdessen ging Molkenbur, während Bosbach und Göring-Eckhardt zum zweiten Teil blieben. Mit Kilian Kleinschmidt holte Hayali den nächsten Helfer hinzu. Die Journalistin hatte sich nach Italien begeben, um sich die Zustände in den dortigen Flüchtlingslagern anzuschauen. Wie so oft waren die Einspieler zu den Vor-Ort-Reportagen Hayalis die gewinnbringendsten Momente der Sendung. Wie in Italien der Streit zwischen Einwohnern und Flüchtlingshelfern auflädt ("Italien gehört den Italienern, nicht den Ausländern"). Wie an der Grenze zu Frankreich die Kontrollen wieder eingeführt wurden und schon mehrere Flüchtlinge beim Überqueren der Grenzen in den Bergen abgestürzt und gestorben sind. Wie die Gestrandeten unter Brücken schlafen und sich ihrer Lage schämen.
Doch statt mit Kleinschmidt ausführlich über die Zustände in Italien, vor allem aber in Jordanien (dort leitete Kleinschmidt einst ein Flüchtlingslager) oder Libyen zu sprechen (wenigstens riss Bosbach es kurz an), fiel der Talk in eine barmherzige Ohnmacht. Bosbach driftete in die Flüchtlings-Verteilung ab. Göring-Eckhardt parlierte über die Kriege als Flüchtlingsursachen. Kleinschmidt ließ sich anstecken und fragte, bis wann jemand Asyl beantrage und ab wann es um Wirtschaftsmigration ginge. Ein Flickenteppich an bekannten Themen, zu denen - wie in so vielen Flüchtlings-Diskussionen zuvor – nur nichtige Aussagen getroffen wurden.
Die Gäste, Teil drei
- Christine Domek-Rußwurm, CSU-Gemeinderätin und Flüchtlingshelferin
- Katja Schneidt, SPD-Lokalpolitikerin und Flüchtlingshelferin
Moderatorinnen-Moment
Das sollte sich erst am Ende noch einmal ändern, als Hayali "denen eine Stimme geben" wollte, "die sich das 'Wir schaffen das' zu Herzen genommen haben." Die eine war, zunächst etwas verwunderlich, die Autorin des Buches "Wir schaffen das nicht". Katja Schneidt arbeitet aber bereits seit 25 Jahren als Flüchtlingshelferin und erklärte, wo eines der großen Probleme läge: an den falschen Versprechungen, gerade von Schleppern, dass Flüchtlinge in Deutschland eine Wohnung, ein Auto und Geld bekämen. Doch aufgrund des drohenden Gesichtsverlustes würden in Deutschland gelandete Flüchtlinge für ihre Verwandten daheim vor fremden Autos posieren und mit anderen Flüchtlingen das gesamte Geld zusammenwerfen und davon Fotos nach Hause schicken. Ein Kreislauf, den Schneidt aber wiederum der Regierung anlastete. „Das ist nicht zu Ende gedacht“, sagte sie. Man fragte sich aber wiederum, ob sie diesen Kausalzusammenhang zu Ende gedacht hatte.
Was offen bleibt
Was bleibt, ist, dass Menschen wie Christine Domek-Rußwurm mehr hätten erzählen dürfen. Und dass man, wenn Politiker schon eingeladen werden, diese hätte fragen müssen, warum es nicht möglich ist, dass Flüchtlinge vom ersten Tag an Berufe erlernen können, die heute in Deutschland auszusterben drohen. "Bäcker, Koch oder Altenpfleger", sagte Domek-Rußwurm, seien Jobs, die Menschen aus anderen Kulturen bereichern könnten – auch ohne perfektes Deutsch.
"Wir haben zum Glück gemerkt, dass wir endlich merken, wie Entwicklungshilfe NICHT funktioniert", sagte Kilian Kleinschmidt und brachte schließlich auf den Punkt, warum das Thema Flüchtlinge nicht nur mit Politikern wie Bosbach und Göring-Eckhardt diskutiert werden darf. "Es ist gut, dass diese Menschen zu uns gekommen sind, weil wir jetzt endlich diese Debatte führen müssen. Was heißt es, Fluchtursachen zu bekämpfen? Was heißt es, das zurückzugeben, was wir uns über Jahrzehnte von anderen Kontinenten genommen haben? Was heißt es, eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe aufzubauen? Was heißt es, Arbeitsplätze zu schaffen?" Das sind Fragen, die man mit Experten aus den einzelnen Gebieten diskutieren könnte. Bundestagswahl hin oder her – die Flüchtlingskrise wird über die Wahl hinaus ein Thema bleiben.