Gäste aus dem Wahlkreis Abgeordnete genehmigen sich Extra-Millionen für ihre Besucher
Es muss gespart werden – aber bitte nicht beim Besuch: Berlin-Ausflüge aus den Wahlkreisen sind vielen Abgeordneten heilig. Um mehr als zwei Millionen Euro haben sie deshalb jetzt den dafür ursprünglich geplanten Etat aufgestockt.
Es gab Bundestagsabgeordnete, die schon im November 2022 verstimmt waren: Ihren Gästen soll ein kostenloses Essen gestrichen werden? Wenn Besuchergruppen aus dem Wahlkreis für einen dreitägigen Gratisbesuch nach Berlin kommen, auf Kosten der Steuerzahler anreisen, im Hotel wohnen und ein Besuchsprogramm absolvieren – dann sollen sie wirklich künftig ein Essen selbst bezahlen?
Sollten sie. So jedenfalls erklärte es Regierungssprecher Steffen Hebestreit dem AfD-Abgeordneten Thomas Seitz: 1,75 Millionen Euro Ersparnis bringe das, so Hebestreit, dem das Presse- und Informationsamt untersteht – das wiederum die Besuchergruppen bezahlt. Bis zu dreimal pro Jahr darf jeder der 736 Abgeordneten bis zu 50 Besucher in die Bundeshauptstadt einladen.
Als an diesem Budget in diesem Jahr wieder gespart werden sollte, gingen die Parlamentarier auf die Barrikaden. Mit Erfolg. Jetzt wird es viel weniger gekürzt als geplant. 2,3 Millionen Euro mehr als ursprünglich im Haushalt angesetzt, sind nun vorgesehen – Nachschlag für den Ausflugsgeldtopf, beschlossen in der jüngsten Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses.
Kosten 2022 lagen bei 27,7 Millionen
Die Berlin-Fahrten sollen der politischen Bildung dienen, Führungen und Gespräche den Politikbetrieb verständlicher machen, das zumeist ältere Wahlvolk der Abgeordneten reist oft dankbar zurück. Kritiker sagen, bei den Bundestagsreisen handele es sich mehr um ein Vergnügungsprogramm für ältere Wähler – im Gegensatz zu den Schulklassen-Besuchen, die der Bundesrat organisiert, wo es um tatsächliche politische Bildung junger Menschen gehe. Aber: Sie sind sehr beliebt. "Diese Fahrten sind sehr begehrt, die Nachfrage übersteigt regelmäßig das Angebot", heißt es etwa vom CDU-Abgeordneten Ansgar Heveling. Von bis zu 2.250 Fahrten mit bis zu 120.000 Reisenden im Jahr berichtete Bundespresseamt 2022.
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Im Corona-Jahr 2021 war es damit vorerst vorbei. Ohne die Besuchertrips gab das "Reisebüro Bundestag" nur 117.000 Euro aus. 2022 jedoch, als die Schutzmaßnahmen und Besucherbeschränkungen fielen, schnellten die Kosten wieder nach oben, und zwar auf rund 27,738 Millionen Euro bei einem Haushaltsansatz von 32,4 Millionen Euro. Für 2023 hatte der Bundestag darum schon im vergangenen Jahr aufgestockt: 35,7 Millionen Euro sind für die Besuchertrupps im aktuellen Haushalt angesetzt – trotz der Debatten im November 2022 um ein Mittagessen weniger. Berücksichtigt würden "inflationsbedingte Preissteigerungen in allen Segmenten". Heißt: Busunternehmen, Hotels, Restaurants.
Im kommenden Jahr sollte diese Summe jetzt eigentlich kräftig sinken. Weil an vielen Stellen nicht erst seit dem Karlsruher Urteil gespart werden muss, sollte es im kommenden Haushalt auch zu Kürzungen bei der Position 0432 531 09-011 kommen, die im Haushalt "Informationstagungen" heißt. Nach t-online-Informationen waren im ersten Entwurf der Regierung 29,7 Millionen Euro vorgesehen. Viel zu wenig, fanden die Abgeordneten aus allen Fraktionen, weshalb sie sicherstellten, dass es jetzt mehr Geld gibt. Nun sollen doch wieder zumindest 32 Millionen Euro zur Verfügung stehen.
Die Kosten fressen in manchen Jahren ein Drittel des Etats des Bundespresseamts auf. Als 2007 noch 16,4 Millionen Euro veranschlagt waren, fragte die damalige FDP-Abgeordnete Angelika Brunkhorst nach "Initiativen zur Kostendämpfung bei der Durchführung der Besucherfahrten". Gebe es natürlich, antwortete das Bundespresseamt: "Der Ansatz für den Haushaltstitel konnte deshalb bei gleichem Leistungsangebot und gleicher Anzahl von Fahrten seit 2000 konstant gehalten werden."
Von einer Kostenbeteiligung der Besucher mit Ausnahme von Härtefällen riet das Amt damals ab: "Der Besucherdienst des BPA wäre personell nicht in der Lage, die Organisation und Abrechnung eines solchen Verfahrens zu übernehmen." An der Regelung hat sich nichts geändert, an den Kosten schon.
Hauptgericht und Vorspeise oder Nachtisch
Damit einher geht in Berlin die Frage, wer mit seiner Küche an die Geldtöpfe kommt und die Bundestagsgäste bewirten darf. Denn: Eine Ausschreibung gibt es nicht. Die Auswahl der Restaurants erfolge freihändig, teilte das Presse- und Informationsamt in einer Antwort auf die Frage des AfD-Abgeordneten Thomas Dietz mit. Maßgebliche Kriterien sind die räumliche Nähe zu den jeweiligen Programmpunkten, die Anzahl der Sitzplätze und Barrierefreiheit. Beim kulinarischen Angebot werde "unter Einhaltung des Budgetrahmens auf ein abwechslungsreiches Speiseangebot geachtet", es muss Alternativen zu Schweinefleisch, vegetarische oder vegane Optionen geben.
Zur Verpflegung gehört dabei das Frühstück am Morgen im Hotel, dann mittags und abends in wechselnden Restaurants ein Hauptgericht mit Vorspeise oder Nachtisch sowie ein kleines alkoholfreies Getränk. Die Hotelunterkunft erfolgt in Doppelzimmern, wer ein Einzelzimmer haben will, muss den Aufpreis zahlen.
Auf dem Programm stehen neben einem Gespräch mit dem Abgeordneten auch der Besuch im Plenarsaal und auf der Kuppel, Stadtrundfahrt und Museumsvisiten. Weil alles mit öffentlichen Geldern bezahlt wird, ist die Teilnahme am Programm und den gemeinsamen Mahlzeiten formal verbindlich.
- Eigene Recherchen
- bundeshaushalt.de