Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Staunen bei "Lanz" Geflüchteter packt aus: "Dann ist das ein Riesenskandal"
Heizt Korruption in deutschen Botschaften illegale Zuwanderung an? "Die Termine werden verkauft", berichtet ein Ex-Flüchtling". Das könnte Folgen haben.
Für den Syrer Ryyan Alshebl war es möglicherweise ein offenes Geheimnis. Was er da aber am Dienstagabend bei "Markus Lanz" fast beiläufig fallen ließ, sorgte in der Runde für ungläubiges Staunen. "Über die Korruption in der deutschen Botschaft in Beirut könnten Sie eine separate Sendung machen", sagte der ehemalige Flüchtling, der nun Bürgermeister im schwäbischen Ostelsheim ist. Er klärte auf: "Die Termine werden verkauft."
Die Gäste
- Ryyan Alshebl, aus Syrien stammender Bürgermeister
- Paul Ziemiak (CDU), Ex-Generalsekretär
- Gerald Knaus, Migrationsforscher
- Kristina Dunz, "Redaktionsnetzwerk Deutschland"
Alshebl war 2015 während der großen Flüchtlingswelle mit einem Schlauchboot über das Mittelmeer gekommen. 4.000 Dollar zahlte er dem Schleuser. Ursprünglich hatte der junge Mann aus dem Süden Syriens legal per Visum nach Deutschland reisen wollen. Hier war sein Asylantrag binnen einiger Monate auch bewilligt worden.
In Beirut aber scheiterte Alshebl nach eigener Darstellung an der Botschaft. Einem Verwandten sei es ähnlich ergangen: "Mein kleiner Bruder musste 400 Euro zahlen für einen Termin bei der deutschen Botschaft."
Geflüchteter: Termin erst nach Geldzahlung
"Die deutsche Botschaft ist korrupt? Die Mitarbeiter?", fragte Lanz nach. Auf wen genau das zutreffe, vermochte Alshebl nicht zu sagen. Es gebe aber private Büros, die Termine vermittelten – und die offiziellen Wartelisten seien auf zwei Jahre hin dicht gewesen. Sein Bruder habe nach Zahlung der 400 Euro dann tatsächlich einen Termin bekommen.
Der ehemalige CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, der mit in der Runde saß, kündigte umgehend Konsequenzen an. "Wenn es diese Fälle gibt, dass Termine gekauft worden sein sollen bei deutschen Botschaften, dann ist das ein Riesenskandal und wir werden dazu das Auswärtige Amt befragen", sagte der Bundestagsabgeordnete. "Das muss aufgearbeitet werden, dem werde ich nachgehen."
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
In seinem Fall sei das Ganze acht Jahre her, schränkte Alshebl ein. Der ehemalige Flüchtling, der im Frühjahr in der baden-württembergischen Gemeinde Ostelsheim mit absoluter Mehrheit zum Bürgermeister gewählt wurde und den deutschen Pass besitzt, betonte aber: Ein Termin beim Zahnarzt sei angenehmer als der Gang zur Botschaft. Sein Eindruck war, dass die Mitarbeiter dort alles daransetzen, um zu verhindern, dass ein Syrer ein Visum bekommt. Dieses System trage zur illegalen Migration bei, warnte Alshebl.
Problem ist der deutschen Botschaft in Beirut wohl bekannt
Zu Gast bei "Lanz" war an diesem Abend auch Kristina Dunz vom "Redaktionsnetzwerk Deutschland". Das berichtete kurz nach Ende der Ausstrahlung über weitere Details zu der mutmaßlichen Skandalbotschaft. Alshebl sagte demnach, sein Bruder habe bei dem Termin ein Visum für ein Studium in Deutschland beantragen wollen. "Tatsächlich sei es aber ein Vorsprechen für ein Schengen-Visum gewesen", hieß es. "Das Visum sei abgelehnt worden. Sein Bruder lebe weiterhin in Syrien. Seines Wissens nach sei er kein Einzelfall", zitierte der RND den Bürgermeister.
Das Problem ist der deutschen Botschaft in Beirut bekannt. "Achtung: Unseriöse Visa-Agenturen!", warnt sie auf ihrer Internetseite unter dem Menüpunkt "Visum beantragen und Einreise". Die Botschaft stellt klar, sie arbeite nicht mit Vermittlern oder Agenturen zusammen. "Insbesondere haben diese keinen besonderen Zugang zu unserer Terminvergabe", hieß es. Die Terminbuchung sei kostenlos.
Die deutsche Botschaft in Deutschland hat laut ihrer Internetseite seit September 2023 einen designierten Botschafter, Kurt Georg Stoeckl-Stillfried. Er kennt sich bestens mit juristischen Fragen aus. Er war in Berlin Beauftragter für den Rechts- und Konsularbereich sowie Inspekteur des Auswärtigen Amts. Der Diplomat leitete zudem von 2010 bis 2014 das Rechts- und Konsularreferat der Botschaft in Kiew. Er ist bereits der fünfte deutsche Botschafter in Beirut seit 2015.
Wohnungen beschlagnahmt für Flüchtlinge
Auf Erstaunen und Befremden stieß bei "Lanz" am Dienstagabend noch eine andere beiläufige Aussage, dieses Mal von Paul Ziemiak. Der Generalsekretär der CDU Nordrhein-Westfalen warnte auch mit Blick auf seinen Wahlkreis in der Flüchtlingskrise: "Wir sind da am Ende der Kapazität." Um für Geflüchtete Wohnraum zu finden, würden Wohnungen beschlagnahmt.
"Die stehen leer?", fragte Lanz nach. Ziemiak bestätigte dies. Noch sei in seinem Wahlkreis das Engagement für Geflüchtete groß. Die Stimmung drohe aber zu kippen. "Deshalb müssen wir handeln", verlangte der Christdemokrat und forderte unter anderem ein Verteilzentrum in der Türkei. Aus dem sollten anerkannte Asylbewerber kontrolliert auf verschiedene europäische Länder verteilt werden.
"Wir beschlagnahmen noch keine Wohnungen. Aber das ist ein Szenario, auf das man sich vorbereiten muss", meinte auch Alshebl. Er lächelte, als Dunz sich an ihren Eindruck von der Willkommenskultur 2015 erinnerte: "Ich war so stolz auf dieses Land."
Kaum Anreize, arbeiten zu gehen?
Die Journalistin versteht laut eigener Aussage aber, warum die Stimmung so extrem umgeschlagen ist. Dunz schilderte, dass sie privat Ukrainerinnen bei Anträgen auf staatliche Unterstützung geholfen hat. Die zwei Frauen würden inklusive Bürgergeld, Wohngeld und anderen Zuschlägen für die drei Kinder am Ende rund 2600 bis 2800 Euro netto bekommen.
Dafür müsse ein Maurer hart arbeiten, zeigte Dunz Verständnis für wachsende Ressentiments in der Bevölkerung. Und dann sei die Kinderbetreuung noch nicht mal geregelt, warf Lanz ein. Die Journalistin gab weiterhin zu bedenken: Eine Geflüchtete ohne gute Sprachkenntnisse komme in Jobs gar nicht auf so ein Einkommen. Entsprechend niedrig sei der Anreiz, arbeiten zu gehen.
Dunz plädierte für eine verbindliche Gegenleistung, mit denen sich Bezieher von Bürgergeld bei Staat und Gesellschaft revanchieren sollten. Alshebl, der selbst anderthalb Jahre Hartz IV bezogen hatte, unterstützte diesen Vorschlag. Er sprach sich nach drei oder vier Jahren Bürgergeld für ein verpflichtendes soziales Jahr aus, beispielsweise im Pflegebereich. "Für alle, egal, welcher Herkunft", stellte der Lokalpolitiker klar.
- ZDF: "Sendung 'Markus Lanz' vom 24. Oktober 2023"
- rnd.de: "Aus Syrien stammender Bürgermeister: Korruption bei deutscher Botschaft"
- beirut.diplo.de: "Wichtige Informationen"
- Eigene Recherche.