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Sommerwetter | Büro: "Dresscodes sollten bei großer Hitze gelockert werden"


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Wegen Baby-Boomern
Arbeitsmedizinerin rechnet mit mehr Hautkrebs

InterviewVon Miriam Hollstein

21.08.2023Lesedauer: 4 Min.
Sonnenbrand (Symbolbild): Viele Menschen leiden unter den hohen Temperaturen.Vergrößern des Bildes
Sonnenbrand (Symbolbild): Viele Menschen leiden unter den hohen Temperaturen. (Quelle: Joel Carillet/getty-images-bilder)
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30 Grad im Büro, Straßenarbeiten in der Mittagshitze: Welche Rechte haben Beschäftigte bei Hitze? Die Arbeitsmedizinerin Anette Wahl-Wachendorf klärt auf.

Wie kommen Arbeitnehmer bei hohen Temperaturen gut durch den Sommer? Anette Wahl-Wachendorf ist Ärztin für Arbeitsmedizin in Berlin und Frankfurt. Sie gibt Tipps, was Beschäftigte beachten sollten, und erklärt, wozu Arbeitgeber verpflichtet sind.

t-online: Früher ließen Eltern ihre Kinder in der Mittagshitze am Strand spielen, auf dem Bau fragte niemand nach Sonnenschutz. Ist inzwischen überall angekommen, wie gefährlich UV-Strahlen sind?

Anette Wahl-Wachendorf: Aus betriebsärztlicher Sicht ist es in weiten Teilen der Bevölkerung angekommen. Das gilt sowohl für Familien im Strandurlaub als auch beim Arbeitsschutz. Auf dem Bau werden inzwischen Kopfbedeckungen getragen, und es wird kaum mehr mit freiem Oberkörper gearbeitet. Aber natürlich gibt es sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber, die dem Thema noch nicht genug Aufmerksamkeit schenken.

Woran liegt das?

Das liegt vor allem daran, dass der Schaden durch Sonne oft nicht schon am nächsten Tag spür- und sichtbar ist. Das ist beim Hautkrebs ähnlich wie beim Bluthochdruck. Umso wichtiger ist die Prävention.

Rechnen Sie mit steigenden Hautkrebserkrankungen in der Boomer-Generation, weil dort noch gar kein Bewusstsein für Gefahren durch UV-Strahlung vorhanden war?

Ja. Zum einen schon rein aus statistischen Gründen: Das sind die geburtenstärksten Jahrgänge, also werden im Schnitt in diesen auch häufiger Hautkrebserkrankungen oder Vorstufen davon auftreten. Zum anderen aus den genannten Gründen, dass das Bewusstsein in den sechziger und siebziger Jahren noch nicht sehr ausgeprägt war.

Die Arbeitsmedizinerin Anette Wahl-Wachendorf
Die Arbeitsmedizinerin Anette Wahl-Wachendorf (Quelle: GUIDO KOLLMEIER)

Die Arbeitsmedizinerin

Anette Wahl-Wachendorf ist Ärztin für Arbeitsmedizin. Seit 2019 ist sie ärztliche Direktorin des Arbeitsmedizinisch-Sicherheitstechnischen Dienstes der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft und seit 2011 Vizepräsidentin des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte.

Sollte man angesichts des Klimawandels häufiger zur Hautkrebsvorsorge gehen?

Das kann man nicht pauschal sagen, weil es individuell abhängig ist: Vom Hauttyp und von der Tätigkeit, die man ausübt. Jemand, der hellere Haut hat, ist gefährdeter als jemand mit dunklerem Teint. Wer auf dem Bau arbeitet, hat ein höheres Risiko als Büroangestellte. Auch die Einnahme von bestimmten Medikamenten kann ein höheres Risiko beinhalten. Betriebsärzte achten bei Untersuchungen darauf, ob es bei jemandem auch außerhalb der klassischen Sommerzeiten bereits Hautveränderungen gibt und veranlassen dann eine engmaschige Betreuung.

Wir erleben wieder eine Hitzewelle. Wie wirkt sich das auf die Arbeitsleistung aus?

Es ist vielfach belegt, dass die Produktivität unter Hitze leidet. Deshalb sollten Arbeitgeber ein großes Interesse daran haben, Arbeitsplätze so einzurichten, dass ihre Beschäftigten auch bei Hitze einen optimalen Schutz haben, etwa, indem sie Getränke zur Verfügung stellen oder in der besonders heißen Mittagszeit Pausen ermöglichen.

Zu was sind Arbeitgeber denn verpflichtet?

Die Arbeitsschutzverordnung schreibt vor, dass der Arbeitgeber bei Veränderungen des Arbeitsplatzes eine Gefährdungsbeurteilung erstellt und dann entsprechende Maßnahmen treffen muss. Ein Beispiel: Wenn jemand über eine längere Zeit bei 30 Grad oder mehr arbeiten muss, muss der Arbeitgeber dokumentieren, was er dagegen tut.

Was kann ich tun, wenn sich mein Arbeitgeber nicht darum schert?

Ich würde immer empfehlen, als Allererstes mit dem Chef zu sprechen. Man kann nach einer Gefährdungsbeurteilung fragen und danach, welche Gegenmaßnahmen geplant sind. Man kann auch selbst Vorschläge machen, wie Abhilfe geschaffen werden kann. Meine Erfahrung ist, dass die meisten Arbeitgeber offen dafür sind. Unterstützung findet man sonst auch beim Betriebsrat und beim Betriebsarzt.

Was empfehlen Sie gegen die Hitze?

Dresscodes sollten bei zu großer Hitze gelockert werden, damit luftige Kleidung getragen werden kann statt enger. Außerdem sollten Beschäftigte viel trinken. Und zwar Wasser, keine gesüßten Getränke. Verzichtet werden sollte auf schweres fettiges Essen, das belastet den Körper zusätzlich. Weil sich Büros nicht alle auf die Schnelle gegen Hitze optimieren lassen, kann ein nasser Waschlappen als Kühlungsmittel vorübergehend helfen. Manche nutzen auch Kühlwesten. Und immer wieder Pausen einlegen.

Sie sind speziell für den Bau zuständig. Was müssen Arbeitnehmer beachten, die bei ihrer Tätigkeit der Sonne nicht völlig entgehen können?

Kritische Arbeiten sollten in Zeiten mit möglichst wenig Sonne verlegt werden. Das passiert auch schon viel. Die Pausenzeiten sollten im Schatten verbracht werden, etwa durch aufgestellte Beschattungsmöglichkeiten. Auch hier sollte viel getrunken werden. Manchmal wird darauf verzichtet, weil sich etwa auf Baustellen die Toilette weiter weg befindet. Das sollte man aber auf keinen Fall tun. Ganz wichtig ist auch, nicht mit freiem Oberkörper zu arbeiten und eine Kopfbedeckung zu tragen.

Was tun, wenn es trotzdem mal zu einem Hitzschlag kommt?

Das Wichtigste bei einem Hitzekollaps: Sofort raus aus der Sonne! Ansonsten gelten die üblichen Erste-Hilfe-Maßnahmen: Notruf absetzen, flach lagern, stabile Seitenlage, Zustand beobachten.

Spielt der Klimawandel in Ihrer Arbeit praktisch eine Rolle?

Ja. Gerade in der Bauwirtschaft bekommt man deutlich zu spüren, dass es mehr heiße Tage gibt, und das belastet die Bauarbeiter natürlich auch mehr. Deshalb wird viel darüber beraten, wie man die Situation noch verbessern kann. Eine psychische Belastung wie Zukunftsängste angesichts des Klimawandels stelle ich bei meiner Klientel eher nicht fest.

Brauchen alle Unternehmen ein Hitzeschutzprogramm?

Ja, schon allein, weil der Klimawandel medial so ein großes Thema ist und viele Ängste auslöst. Deshalb ist es wichtig, dass Unternehmen ein Angebot machen, am besten im Austausch mit den Arbeitnehmern. Das würde ich jedem Unternehmen empfehlen.

Im Juni hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach einen nationalen Hitzeschutzplan vorgestellt. Was halten Sie davon?

Ich finde es richtig, dass er sich angesichts des Klimawandels um solche Fragen kümmert. Das geschieht im Übrigen nicht nur auf Bundesebene, es gibt auch Kommunen, die sich Gedanken machen. Zum Beispiel, ob man statt Kunst am Bau eher einen Springbrunnen installiert, bei dem sich an heißen Tagen alle bedienen können.

In den sozialen Netzwerken wurde Lauterbach dafür scharf kritisiert. Er schüre eine "Klimahysterie". Gegen Hitze gebe es einfache Tipps, für die es keinen Regierungsplan brauche.

Ich glaube, diese Reaktionen haben etwas damit zu tun, dass sich Menschen überreguliert fühlen. Gerade bei Energie- und Klimathemen ist deshalb eine sensible Kommunikation wichtig. Bei dem Thema Hitze können alle an einem Strang ziehen – die Politik kann über die Einbeziehung verschiedener stake holders wie zum Beispiel uns Ärzten ihr ernsthaftes Bemühen um die Gesundheit der Bürger verdeutlichen und wird breite Unterstützung sowie Beteiligung erfahren.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Dr. Wahl-Wachendorf
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