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Klimakrise: Schon bei Hitzetipps des Ministeriums gibt es Streit


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Hitze-Sommer als Verschwörungstheorie
"Teil der Bevölkerung ist nicht zu erreichen"

  • Lars Wienand
InterviewVon Lars Wienand

Aktualisiert am 20.07.2023Lesedauer: 6 Min.
Hitze: Mit hohen Temperaturen wird oft die Frage nach der Klimakrise verknüpft. Es ist kein Zufall, dass die Debatten heftiger werden.Vergrößern des Bildes
Was tun bei großer Hitze? Nicht nur über die Verhaltenstipps des Gesundheitsministeriums wird im Netz gestritten. Auch die Debatte um den Klimawandel scheint viele zu provozieren. (Quelle: Christoph Soeder/dpa)
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Im Internet wird derzeit heftig über Klimathemen und das Wetter debattiert. Welche Strategien dahinterstecken und was das mit Corona zu tun hat, erklärt die Sozialpsychologin Pia Lamberty.

Pia Lamberty beobachtet und analysiert Diskussionen im Netz. Aktuell wird um die Themen Wetter und Klima derart hitzig gestritten, dass die Sozialpsychologin darin einen neuen Trend sieht. Lamberty ist Geschäftsführerin beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie gGmbH (CeMAS), einer gemeinnützigen Organisation, deren Mitarbeiter zu Desinformation und Verschwörungsideologien im Internet forschen. Ihr Interview mit t-online über Gewitterstimmung im Netz ist der letzte dienstliche Termin an dem Tag: Sie will das nicht ganz so heiße Wetter an diesem Tag noch draußen nutzen.

t-online: Jedes Jahr gibt das Gesundheitsministerium Tipps zum Verhalten bei Hitze. Doch diesmal hat das in sozialen Netzwerken heftige Kritik ausgelöst, das sei "Entmündigung" und "Bevormundung". Klingt abwegig, oder?

Pia Lamberty: Man kann das abwegig finden, und das ist es auch. Aber es folgt einer Strategie: Alles wird politisiert. Jahrzehntelang war eine Maske eine Maske, um sich zu schützen. In der Pandemie wurde sie zum Symbol der Unterdrückung erklärt. Jetzt wird auch so etwas Unschuldiges wie Hitzetipps zum Politikum.

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Aber die Hitzetipps gab es schon immer. Wieso regt das gerade jetzt Menschen auf?

Wir haben in der Pandemie erlebt, dass die Betonung individueller Freiheit ein Mittel ist, um Menschen emotional zu erreichen. Dazu kam das Gefühl, dass der Staat mit dem Impfen übergriffig wird. Daran knüpft das jetzt an. Und wenn oft genug wiederholt wird, dass der Staat den Menschen mit Hitzetipps Freiheiten nehmen will, wird aus einer absurden Aussage irgendwann eine eigene Form der Wahrheit. Die Wissenschaft nennt das "illusorischen Wahrheitseffekt".

Und wozu?

Es geht dabei darum, die Hemmschwelle zu erhöhen, über das Thema Klimakrise und die Folgen zu sprechen. Wenn es jetzt schon zum Problem gemacht wird, alten Menschen bei Hitze zum Trinken zu raten, was macht das mit Beiträgen zu weiterreichenden Schritten? Es steckt eine Strategie dahinter.

Wie funktioniert die?

Es sind viele Nadelstiche, die in Diskussionen dann zu spüren sind und die journalistische Berichterstattung, Forschung und öffentliche Debatten ändern können. Es wächst die Angst davor, als alarmistisch und verzerrt wahrgenommen zu werden. Experten trauen sich weniger, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Vieles erinnert an Corona.

Klima ist das neue Corona. Es gibt viele Kontinuitäten. In der Corona-Zeit haben die Akteure ja schon angekündigt: "Danach geht es mit Klima weiter." Das ist für diese Leute das neue Betätigungsfeld, und sie haben gute Strategien entwickelt, sie erprobt und verfeinert. Die große Gefahr ist, dass jede Krise dazu führt, dass Herausforderungen noch schlechter bewältigt werden können. Vergangene Woche hatten wir auch noch einen anderen Moment, der mich sehr an Corona erinnert hat. Es ging um die Frage von Boden- und Lufttemperaturen ...

Da ging es in der Berichterstattung in Medien durcheinander. Die Europäische Weltraumorganisation Esa hatte eine Mitteilung verschickt, es würden bis zu 48 Grad in Italien erwartet, und informierte zugleich über noch höhere gemessene Oberflächentemperaturen.

Ja, aber bei den 48 Grad ging es tatsächlich um die Lufttemperatur. Doch manche Medien haben sich durch wütende Rückmeldungen sehr verunsichern lassen und fast panisch Texte geändert und verschlimmbessert und dann geschrieben, die 48 Grad seien Bodentemperatur.

Und wieso hat Sie das an Corona erinnert?

Es könnte so etwas wie das neue "an oder mit Corona gestorben" werden. Eine berechtigte Frage. Heute wissen wir, dass rund 85 Prozent tatsächlich "an" gestorben sind. Aber die Frage wurde immer wieder gestellt, um zu diskreditieren und die Debatte zu verschieben und nicht, um wirkliche Erkenntnisse zu gewinnen. Es war der Moment, in dem das verschwörungsideologische Milieu voll eingestiegen ist. Daran musste ich bei der Diskussion über Boden- oder Oberflächen- und Lufttemperatur denken: Es ist ein Einfallstor, die grundsätzliche Botschaft infrage zu stellen.

Aber wieso kann man bei Hitze überhaupt verschiedener Meinung sein? Bei einem Virus, das man nicht sieht und das bei manchen vielleicht nicht mal Schnupfen auslöst, ist es ja nachvollziehbar, wenn Menschen das abtun. Aber Hitze spürt doch jeder.

Wenn Hitze als Problem diskutiert wird, konfrontiert mich das mit möglicher Schwäche. Wer sich schützt, ist schwach. Ich denke, das hat auch etwas mit Selbstverständnis vor allem mancher Männer zu tun. Ich kann mir vorstellen, dass sich Männer insgesamt auch weniger eincremen als Frauen.

Man kann aber auch das Gefühl haben, vom Thema verfolgt zu werden: Die grundsätzliche Botschaft hagelt täglich auf die Menschen ein. Wir hören und lesen ständig von Klimawandel und Klimakrise.

Gegen Wiederholung von Fakten ist ja auch gar nichts zu sagen, zumal es ja um neue Belege und neue Erkenntnisse geht. Problematisch wird es, wenn Dinge instrumentalisiert werden, die nicht zusammenhängen, wenn jedes Unwetter mit dem Klimawandel verbunden wird, obwohl es Unwetter immer gab. Nach meinem Eindruck tun das die seriösen Experten aber auch nicht. Das ist wichtig, weil es eine Strategie ist, mit nachweisbaren Fehlern zu diskreditieren. Und man muss sich bewusst sein, dass auf jeden Fehler begierig gewartet wird. Medien sollten da nach sehr hohen Standards arbeiten.

Und dann antworten Leser auf Beiträge zur Hitze dennoch, dass sie jetzt erst mal in der Mittagshitze joggen gehen.

Aus den USA wissen wir aus der Forschung, dass Warnungen insbesondere bei einem Teil der Konservativen zu mehr Reaktanz führen – zu eigentlich unsinnigen Trotzreaktionen. Man sieht eine Warnung als nicht gerechtfertigt und als Eingriff in die Freiheit an, und tut es dann erst recht. Personen, die eher rechts eingestellt sind, reagieren eher so.

Achtung, jetzt wird es heißen, dass jeder, der Hitze nicht schlimm findet, gleich ein "Rechter" ist.

Das ist eine bekannte Dynamik, die immer auftaucht: Es wird dann behauptet: Jeder, der xy kritisiert, wird zum Rechten gemacht. Wer mit Hitze gut klarkommt oder sich um den Klimawandel wenig sorgt, wird aber maximal von ein paar Twitterern zu einem Rechten erklärt. Das ist vor allem eine selbst initiierte Zuschreibung, die Abgrenzungsprozesse fördert, sie spaltet. Das funktioniert aber nur bei Menschen, die eine gewisse Veranlagung mitbringen.

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Es geht aber doch nicht nur ums Joggen, sondern zum Beispiel auch um wirtschaftliche Fragen. Menschen sehen steigende Energiekosten und rechnen, was sie eine neue Heizung kosten wird. Das löst Ängste und Abwehrreaktionen aus.

Ein sehr wichtiger Punkt, zumal viele Menschen mit Folgen von Pandemie und russischem Angriffskrieg zu kämpfen haben. Das zeigt aber auch, dass man soziale Gerechtigkeit unbedingt als Faktor einbeziehen muss. Je besser man das tut, umso besser kann man Menschen mitnehmen und umso besser kommt man durch die Krise. Da ist es fatal, wenn in Teilen der Öffentlichkeit überhaupt kein Interesse besteht, eine Diskussion über Lösungswege zu führen, sondern die nur dagegen sind.

Wer sind denn "die"?

Wir haben da nicht nur rechtsextreme Verschwörungsideologen im Hintergrund. Ein Staat wie Russland, der bisher schon mit Desinformation destabilisieren wollte, hat auch großes Interesse daran, dass dort weiter fossile Energien gekauft werden. Und in diesem Fall kommen noch Lobbygruppen aus der Wirtschaft hinzu, die jede Veränderung blockieren wollen. Und dabei brauchen wir ja tatsächlich massive Restrukturierungen auf globaler Ebene.

Und was heißt das für die Gesellschaft?

Es wäre wichtig, Menschen resilienter zu machen, also widerstandsfähiger gegen Verunsicherungen. Das geht langfristig, es gibt aber auch kurzfristige Möglichkeiten. Schweden hat da viel getan: An jeden Haushalt ging eine Broschüre, wie man Falschinformationen und Manipulationsversuche besser erkennt. Es darf natürlich kein Wahrheitsministerium geben, das entscheidet, was richtig ist. Aber dem einzelnen Menschen Instrumente an die Hand zu geben, kann sehr viel erreichen.

Und Broschüren helfen?

Die größte Wirkung kann im direkten Miteinander der Menschen erzielt werden, nicht durch Werbung oder Nachrichten. Der Einfluss des nahen Umfelds gegen Angriffe auf unsere liberale Demokratie wird viel zu wenig wahrgenommen und gefördert, etwa die Lokalpolitik wird auch viel zu wenig unterstützt.

Und was kann der Einzelne tun, wenn plötzlich jemand Hitzetipps als Bevormundung durch den Staat wahrnimmt?

Es ist schwierig, weil ein Gespräch sehr oft in Wut entgleiten kann, wenn es auf populistischen Darstellungen gründet. Es hilft, selbst ruhig zu bleiben und sich seine Kämpfe auszusuchen, wo man etwas erreichen kann. Es ist oft schwer, zu irgendeiner Darstellung, die spontan vielleicht überzeugend wirkt, sofort Gegenbeweise zu liefern. Da hilft es, nicht dagegen zu argumentieren, sondern nachzufragen, wie jemand zu der Position kommt, was ihn so sicher macht und was er damit meint. Das kann dann oft zeigen, dass es nur von Enttäuschung oder Verunsicherung getriebene Parolen sind. Wir müssen uns aber auch bewusst sein, dass ein Anteil der Bevölkerung gar nicht zu erreichen ist.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Pia Lamberty
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