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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Anne Will" Habeck überrascht mit "ehrlicher, brutaler Antwort"
Was ist beim Heizgesetz schiefgelaufen? Dieser Frage musste sich Vizekanzler Robert Habeck bei "Anne Will" stellen. Dabei gab er sich durchaus selbstkritisch.
"Heizungsstreit und Ampel-Frust – Ist die Regierung noch handlungsfähig?" lautet der Titel der Sendung am Sonntagabend, bei der Habeck durchaus Fehler in eigener Sache einräumt. Gleich zu Beginn der Sendung möchte Gastgeberin Anne Will von Habeck wissen, was sein größter Fehler gewesen sei. Seine Antwort: "Dass ich mir den Moment, einmal kurz innezuhalten, nicht genommen habe".
Die Gäste:
- Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz
- Veronika Grimm, Wirtschaftswissenschaftlerin, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
- Wolfgang Merkel, Politikwissenschaftler und Demokratieforscher
Habeck spricht beim alten Heizungsgesetzentwurf von einem schlechten Timing und von missglückter Kommunikation. Das Gesetz in seiner ursprünglich geplanten Form, so der Vizekanzler, sei in einer Zeit entstanden, in der die Gaskrise zu eskalieren drohte. Man habe dringenden Handlungsbedarf gesehen und unter Zugzwang gestanden. Als das Gesetz aber an die Öffentlichkeit kam, habe sich die Lage bereits wieder einigermaßen beruhigt, erklärt er: "Die Speicher waren voll, die Krise war scheinbar abgewendet. Die Leute haben das Gefühl gehabt, dass sie nicht noch ein Gesetz wollen. Diese veränderte Erwartungshaltung habe ich nicht gespürt."
In diesen Momenten wirkt der Vizekanzler beinahe desillusioniert
Deutschland sei damals wider Erwarten gut durch den Winter gekommen – und die Bevölkerung habe keine weiteren Einschnitte gewollt. Den "Tropfen zu viel an Gesetzgebung", nennt Habeck das – und ergänzt: "Deswegen ist mir die Kommunikation nicht so gelungen, wie ich mir das vorgestellt habe – und das Gesetz natürlich auch nicht".
Es gibt aber auch Momente an diesem Abend, in denen er beinahe desillusioniert wirkt. "Deutschland schafft im Moment seine Klimaziele sowieso nicht", erklärt er etwa. Dies sei dem Verkehrssektor geschuldet. Man habe die Klimalücke zwar um 70 bis 80 Prozent schließen können – aber das seien eben keine hundert Prozent.
"Wenn Ihre Frage ist: Reißen wir jetzt die Klimaziele – dann ist meine ehrliche, brutale Antwort: Wir reißen sie sowieso", meint er zu Will. Später formuliert er etwas anders: "Ich bin nicht sicher, ob die Verlangsamung so drastisch ist. Aber es wird nicht schneller gehen. Dadurch wird es durch das Gebäudeenergiegesetz erst mal unwahrscheinlicher, dass wir die Klimaziele einhalten".
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Und noch einmal lässt Habeck mit einer Kritik an der eigenen Sache aufhorchen. Als die Moderatorin betont, dass laut einer Umfrage nur 20 Prozent aller Deutschen mit der Bundesregierung zufrieden seien, gesteht Habeck: "Ich bin auch nicht zufrieden mit der Bundesregierung." Worauf er das bezieht? Nicht auf die generelle Leistungsbilanz der Koalition, die findet er nämlich durchaus lobenswert: "Wir haben Deutschland sicher durch den Winter geführt. Wir haben eine Gasmangellage vermieden, wir haben die Strompreise und die Gaspreise runtergekriegt. Die Inflation hat ihren Höhepunkt im letzten Herbst gehabt, die geht jetzt deutlich runter. Energie- und Lebensmittelpreise gehen deutlich runter. Das ist gemessen an den Indikatoren gut. Selbst die CO2-Emissionen gehen runter."
Klimaschutz gehe nicht mit der Excel-Tabelle, meint der Grüne
Woran es dann seiner Meinung nach gehapert habe? An der Kür, am Erscheinungsbild, sagt er. Damit habe man nicht geglänzt, damit könne man nicht zufrieden sein.
Habeck, der an diesem Abend oft in die Defensive geht, weiß: Für den Klimaschutz braucht es Mehrheiten. "Wenn die Menschen es nicht wollen, wird Klimaschutz abgewählt. In der Demokratie musst du für jedes Projekt eine Mehrheit schaffen – und die, das haben Sie mir gerade in die Wunde gerieben – war erkennbar nicht da." Klimaschutz gehe eben nicht, wie die Wissenschaft es vorrechnet, nach einer Excel-Tabelle vor, sagt er – und summiert: "Eine gesellschaftliche Mehrheit ist keine Excel-Tabelle".
Dass das Gesetz nun abgeändert kommen soll, sieht Habeck pragmatisch – es sei wichtig, dass es überhaupt komme, erklärt er. Und auch die Lage in der Regierung sieht er nicht so schwarzmalerisch wie viele seiner Kritiker: "Wir haben uns in den drei Wochen ganz schön ausgebuddelt aus dem Loch, in dem wir drinstecken."
Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen getroffen
Auch über den Vetternwirtschaft-Skandal um seinen mittlerweile entlassenen Staatssekretär Patrick Graichen befragt ihn Anne Will an diesem Abend. Graichen, so Habeck, habe zwei Fehler gemacht: "Einen durchaus schwerwiegenden, den ich aber bereit war, ihm wegen seiner Gesamtleistung zu verzeihen, nämlich die Besetzung des Vorsitzes der dena-Geschäftsführung mit seinem Trauzeugen. Und dann eben den weiteren Fehler", so der Vizekanzler.
Habeck relativiert die Causa aber auch etwas: "Wenn alle Menschen wegen eines so kleinen Fehlers aus dem Dienst entlassen würden, würde das sehr weitreichend sein". Er habe seine Entscheidung damals nach bestem Wissen und Gewissen getroffen, zunächst sei die Faktenlage noch entlastend für Graichen gewesen, dies habe sich dann aber geändert.
Am Ende der Sendung holt Anne Will Politikwissenschaftler und Demokratieforscher Wolfgang Merkel sowie Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm ins Gespräch, die beide ihre Einschätzung zu Habecks Versäumnissen geben. "Die Politik muss in einer Zeit, in der erst mal das Wachstum nicht mehr sprudelt, den Menschen klarmachen, dass es Einschnitte geben muss", attestiert Grimm.
Geht es nach Merkel, hätte Habeck in Zeiten einer polarisierten Gesellschaft mehr auf die Bürger eingehen sollen. Merkel nennt Politiker "Verantwortungseliten für den sozialen Zusammenhang". Habeck habe indes verabsäumt, aus Betroffenen Beteiligte zu machen. "Ich glaube, dass es für zukünftige Reformprojekte jetzt sehr viel schwieriger wird, das verlorene Vertrauen wieder einzuholen, und ohne Vertrauen lassen sich solche Reformen in einer Demokratie nicht umsetzen."
In einem Punkt widerspricht Habeck dem Politikwissenschaftler: "Es ging in erster Linie darum, eine Gaskrise abzuwenden. Das Gesetz ist ein gemeinsames Gesetz, kein grünes Gesetz."
- TV-Sendung "Anne WiIl" vom 18. Juni 2023