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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Hart aber fair" zur Wohnkrise Auf eine Frage reagiert die Ministerin erstaunlich offen
Immer höhere Standards treiben die Baupreise in unbezahlbare Sphären. Bauministerin Klara Geywitz will die Teuerungsspirale brechen – und räumt Fehler ein.
Können Millionen von Häuslebauern und Bauunternehmern wenigstens ein bisschen aufatmen? Immer höhere Standards machen die Baupreise in Deutschland zunehmend unbezahlbar. Auch für Menschen mit Mittelklasse-Wünschen gelte: "Sie kriegen immer einen Ferrari geliefert", kritisierte Journalist Gerhard Matzig bei "Hart aber fair". Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) räumte in der Sendung am Montag eine Fehlentwicklung ein – und stellte eine Umkehr in Aussicht.
Die Gäste
- Klara Geywitz (SPD), Bundesbauministerin
- Caren Lay (Die Linke), Bundestagsabgeordnete
- Dirk Salewski, Bauunternehmer
- Gerhard Matzig, "Süddeutsche Zeitung"
- Erdal Balci, Familienvater
"Lieber keine Wohnung als eine schlecht gedämmte Wohnung?", hatte Moderator Louis Klamroth provokant gefragt. Geywitz verteidigte zunächst den Standard Effizienzhaus 55 (EH55), der Anfang 2023 in Kraft getreten ist. Die Dämmung sei durch die Einsparungen beim Heizen laut Fachleuten noch rentabel. EH55 ist aber nur die Übergangslösung zum strengeren Standard EH40. Hier meldete die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen selbst Zweifel an – und das, obwohl erst kürzlich die staatlichen Kredite für EH40 vorgestellt wurden.
Geywitz rudert zurück
Geywitz räumte bei "Hart aber fair" ein, dass die nach EH40 sehr stark gedämmten Neubauten dann passiv belüftet werden müssten, weil ansonsten Probleme mit dem Raumklima drohen. Es sei "eine sehr technische Lösung" gewählt worden. "Das heißt, Sie wollen das gar nicht?", hakte Klamroth nach. Geywitz bestätigte erstaunlich offen: "EH40, so wie es jetzt ist, soll es nicht werden. Sondern wir müssen uns ehrlich machen und uns fragen: Was ist eigentlich ein klimafreundliches Gebäude?"
"Ich glaube, dass wir zu kurz springen, wenn wir einfach nur gucken, was das Gebäude an Energie verbraucht", sagte die Sozialdemokratin selbstkritisch. Es müsse ebenso der Energiebedarf durch zusätzliche Dämmstoffe und Bauteile für Belüftung einberechnet werden. "Mein Wunsch ist, dass es weniger technisch ist, sondern dass wir auch mehr mit nachhaltigen, recycelten Materialien arbeiten", forderte Geywitz. "Das wird dann auch preiswerter." Nach den bisherigen Plänen der Ampelkoalition soll das Gebäudeenergiegesetz zum 1. Januar 2025 an die EH40-Standards angeglichen werden.
Von einer Verschiebung der Wärmepumpen-Regelung von 2024 auf 2025 hält Geywitz hingegen nichts, wie sie bei "Hart aber fair" klarstellte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Politik den Schritt dann "traue", sei dann nicht viel größer. Deshalb brauche es jetzt den nötigen Willen zu schwierigen Veränderungen, appellierte die Bauministerin vermutlich auch an Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen). Der hatte bei dem Termin "Pragmatismus" signalisiert. Sie stellte fest: "Wir sind bei den harten Debatten angekommen."
Geywitz verlangte zudem Bewegung von der Bauindustrie. Die meisten Normen seien keine Gesetze, sondern würden von der Branche als DIN-Normen aufgestellt. Hier sei lange Zeit Perfektion vor der Frage gekommen, was das eigentlich koste. "Geht es vielleicht auch 10 Prozent weniger perfekt, wenn wir dafür 30 Prozent Kosten einsparen?", fragte sie.
"Es wird nicht mehr gebaut"
"Es wird nicht mehr gebaut. Die private Nachfrage ist quasi auf null gefallen", stellte der Bauunternehmer Dirk Salewski bei "Hart aber fair" fest. Er beklagte hohe Zinsen, ein föderales Kuddelmuddel aus Bauordnungen und eine verfehlte Politik. "Wir bauen im Moment für Bedürftige und für Millionäre. Und alles, was dazwischen liegt, bleibt links und rechts des Weges liegen", kritisierte Salewski unter Applaus des Studiopublikums.
Der Präsident des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen rettet sein Unternehmen nach eigenen Angaben derzeit mit dem sozialen Wohnungsbau. "Damit verdient man kein Geld", wollte er klarstellen. "Damit verhindert man, dass die Firma in die Insolvenz geht. Ich will meine guten Leute nicht verlieren."
Bei Erdal Balci hielt sich das Mitleid für den Unternehmer Salewski in Grenzen. Die Branche habe jahrelang blendend verdient, monierte der Familienvater, der sechs Jahre lang erfolglos nach einem Haus bei Hannover oder Bremen suchte. Die Suche sei nun aber beendet, meinte der Industriekaufmann. "Erfolgreich?", wollte Klamroth wissen. Leider nein. "Es ist nicht mehr machbar", antwortete der Gast und verwies auf die gestiegenen Bauzinsen.
Mittlerweile ist Balci sogar froh, kein Haus gefunden zu haben. Ein Kollege wolle sein abbezahltes Eigenheim aus Furcht vor anstehenden Ausgaben für Wärmepumpe und Wärmedämmung verkaufen, um seinen Kindern nicht die Kosten zu vererben. Der deutsche Traum vom Eigenheim sei vorerst ausgeträumt, stellte Matzig von der "Süddeutschen Zeitung" fest. Sein Lösungsvorschlag: "Wir müssen die kranken Wucherungen des Wohnungsbaus rabiat wegschneiden. Aber da warte ich seit Jahrzehnten drauf. Ich habe es zu oft gehört."
SPD kontra FDP
Desillusioniert zeigte sich der Architekturkenner ebenso angesichts der alten Forderung, Kommunen bei Grundstücken und Immobilien ein Vorkaufsrecht einzuräumen, notfalls auch das Recht zur Enteignung. Ein Gesetzentwurf zum kommunalen Vorkaufsrecht sei vorgelegt worden, merkte Geywitz dazu an. "Da ist leider der Kollege (Marco) Buschmann noch nicht überzeugt, dass wir das brauchen", sagte die SPD-Politikerin unter Verweis auf den FDP-Justizminister.
Die SPD verstecke sich immer gern hinter dem "breiten Kreuz" der FDP, kritisierte an dieser Stelle die Linken-Politikerin Caren Lay. Sie warf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor, als Bundesfinanzminister den Topf für den sozialen Wohnungsbau gekürzt zu haben. Zudem habe die Ampelkoalition seit anderthalb Jahren keine großen Bemühungen erkennen lassen, der Wohnkrise Einhalt zu gebieten.
Lay sah Immobilienspekulationen börsennotierter Konzerne wie Vonovia als das Hauptproblem für extrem gestiegene Preise für Mieten und Grundstücke an. Solche Unternehmen hätten auf dem Immobilienmarkt nichts verloren: "Wohnungen sind zum Wohnen da und nicht zum Spekulieren."
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Die Linken-Politikerin forderte, dass staatlich geförderte Sozialwohnungen nicht mehr aus dieser Bindung herausfallen dürfen. "Einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung – sonst ist das rausgeworfenes Geld", mahnte Lay.
Sie plädierte ferner für ein Recht für Mieter, Wohnungen zu den bisherigen Konditionen untereinander tauschen zu dürfen. Auf diese Weise könnten beispielsweise Rentner ihre große Wohnung an eine junge Familie abtreten und für weniger Miete in deren kleinere Bleibe ziehen.
- "Hart aber fair" vom 8. Mai 2023
- bmwsb.bund.de: Pläne der Bundesregierung zum EH40-Standard und Mitteilung zur Kreditförderung für EH40-Bauten