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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Das steht in Stuckrad-Barres Buch Rasanter Aufstieg, riskante Nähe
Mit Spannung hat nicht nur die deutsche Medienlandschaft auf das neue Buch des bekannten Autors gewartet. Verrät es mehr über die Zustände im Axel Springer Verlag?
An diesem Mittwoch endete die Sperrfrist für den mit Spannung erwarteten Roman "Noch wach?" von Benjamin von Stuckrad-Barre. Selten zuvor hat ein Verlag so ein Geheimnis um den Inhalt eines Buches gemacht. Das liegt am Thema. In dem Roman schreibt Stuckrad-Barre über Machtmissbrauch in der Medienbranche. Vorher war spekuliert worden, ob es sich dabei um die Skandale im Axel Springer Verlag handelt, einem der größten deutschen Medienhäuser.
Worum geht es in dem Buch?
Die Geschichte besteht grob aus zwei Handlungssträngen: Auf der einen Seite spielt die Erzählung bei einem großen deutschen Fernsehsender in Berlin. Eine junge Mitarbeiterin macht dort schnell Karriere, auch weil sie sich sehr gut mit dem Chefredakteur versteht und sich beide auch jenseits der Arbeit näherkommen.
Gleichzeitig lernt der Ich-Erzähler in Los Angeles Rose McGowan kennen: Die Schauspielerin gehörte zu den ersten Frauen, die dem bekannten Filmproduzenten Harvey Weinstein sexuellen Missbrauch vorwarfen – und zwar nicht nur im Roman, sondern auch im wahren Leben. Die Anschuldigungen, denen sich 2017 weitere Frauen anschlossen, sorgten für den sogenannten #MeToo-Skandal.
Die Begegnung mit McGowan bringt den Ich-Erzähler zum Nachdenken – auch über die Zustände in dem Fernsehsender, über die der Ich-Erzähler mehr erfährt, als er von Los Angeles nach Berlin zurückkehrt. Der Ich-Erzähler ist zudem eng befreundet mit dem Chef des Medienunternehmens, zu dem der TV-Sender gehört.
Warum sorgte es schon vorher für so viel Aufsehen?
Die Gerüchteküche über das Buch brodelte schon seit Monaten, dabei waren die ersten Informationen über "Noch wach?" sehr dürftig: Der Verlag Kiepenheuer & Witsch teilte zunächst nur mit, dass ein neuer Roman von Benjamin von Stuckrad-Barre in Planung sei, Inhalt, Titel oder das Buchcover wurden jedoch nicht enthüllt.
Mitte Februar berichtete dann erstmals das "Manager Magazin", warum sich der Verlag wohl so bedeckt hielt: Bei dem Buch handele es sich um einen Schlüsselroman, in dem eine der Hauptfiguren angeblich nach dem Vorbild des Vorstandschefs des Axel Springer Verlags, Mathias Döpfner, gestaltet sei. Viel mehr als das drang nicht nach draußen, abgesehen von dem Titel und dem Cover und wenigen Zeilen zum Inhalt. Vermutet wird, dass die defensive Kommunikation vor allem mit rechtlichen Fragen zusammenhängt.
Beruht die Handlung auf wahren Begebenheiten?
Wie das Buch zu verstehen sei, stellt Stuckrad-Barre auf den ersten Seiten klar: Der Roman sei "in Teilen inspiriert von verschiedenen realen Ereignissen, er ist jedoch eine hiervon losgelöste und unabhängige fiktionale Geschichte". Man erhebe keinen Anspruch darauf, Geschehnisse oder Personen authentisch wiederzugeben. "Vielmehr hat der Autor ein völlig eigenständiges Werk geschaffen."
Dieses Vorgehen ist für den Autor nicht unüblich. Schon in seinen früheren Büchern verschmelzen mitunter Realität und Fiktion: Die Liebe zu Los Angeles und vor allem zu dem berühmten Hotel Chateau Marmont, das auch in "Noch wach?" eine Rolle spielt, machte Stuckrad-Barre schon in seinem halbautobiografischen Buch "Panikherz" öffentlich. Auch, dass er jahrelang als Autor bei Axel Springer angestellt war und im Impressum der Zeitung "Welt" genannt wurde, ist kein Geheimnis.
Wer die Parallelen zur Realität sehen will, der wird sie also finden: Das Gebäude des Fernsehsenders, der sich in einem Berliner Hochhaus mit einer Reklame an der Spitze befindet, ähnelt verdächtig der Springer-Zentrale. Es geht um einen Chefredakteur, der mit untergebenen Frauen anbandelt. Genau das war dem früheren "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt vorgeworfen worden, weshalb er schließlich auch seinen Job verlor. Und die Freundschaft zwischen dem Besitzer des Senders und dem Ich-Erzähler erinnert an die zwischen Döpfner und Stuckrad-Barre.
Die Namen Döpfner oder Reichelt werden allerdings an keiner Stelle in dem Buch erwähnt. Auch der Autor selbst will keine Parallelen zu realen Personen ziehen: "Ich würde niemals ein Buch über diesen Mann schreiben", sagte Stuckrad-Barre dem "Spiegel" am Erscheinungstag des Romans auf die Frage, ob das Buch von Julian Reichelt handele.
"Ich interessiere mich nicht für diesen Typen, sondern für einen bestimmten Typus Mensch. Von dem erzähle ich in meinem Roman." Zur Vorbereitung habe er sich mit vielen "Tyrannentypen" befasst und nennt als Beispiele den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump oder den Ex-Bundeskanzler von Österreich, Sebastian Kurz. Zu Döpfner habe er mittlerweile keinen Kontakt mehr: "Ich habe ihn blockiert und muss sagen, ich komme damit klar."
Welche Verbindung hat Benjamin von Stuckrad-Barre zu Axel Springer?
Der Autor und Journalist Stuckrad-Barre hatte mit mehreren seiner Werke großen Erfolg in Deutschland: Gleich sein erstes Buch "Soloalbum" prägte 1998 die neue deutsche Popliteratur und wurde später mit Matthias Schweighöfer und Nora Tschirner in den Hauptrollen verfilmt.
Stuckrad-Barre kämpfte gleichzeitig jahrelang gegen Drogenkonsum und Essstörungen an. Sein Leben zwischen Erfolg und Drogensucht arbeitete er 2016 mit dem Buch "Panikherz" auf. Gleichzeitig blieb er viele Jahre dem Axel-Springer-Verlag verbunden: Er sei fasziniert vom Lebenswerk dreier Männer, von denen er nicht genug bekommen könne, sagte der Autor einst in einer Rede zum Axel-Springer-Preis: des Autors Walter Kempowski, des Musikers Udo Lindenberg und eben des Verlegers Axel Springer.
Seine Faszination drückte er auch in seinen eigenen Werken aus: 2012 schrieb Stuckrad-Barre anlässlich des 100. Geburtstages des Verlagsgründers ein Theaterstück über den Medienboss. 2018 stellte er sich in einem Text vor, wie der 1985 verstorbene Verlagsgründer in der Jetztzeit die Medienwelt aufmischen würde.
Der Bruch mit dem Springer-Verlag soll dann allerdings während der sogenannten Reichelt-Affäre erfolgt sein: Es sei etwa laut Berichten des Portals "Medieninsider" Stuckrad-Barre gewesen, der sich über das mutmaßliche Fehlverhalten von Julian Reichelt bei der Konzernleitung beschwert haben soll.
- Eigene Recherche
- von Stuckrad-Barre, Benjamin: "Noch wach?",Kiepenheuer & Witsch, 2023
- von Stuckrad-Barre, Benjamin: "Ich glaub mir gehts nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen", Kiepenheuer & Witsch, 2018
- youtube.com: "Benjamin von Stuckrad-Barres Rede beim Axel-Springer-Preis für junge Journalisten" (Axel Springer SE)
- medieninsider.de: ""Jetzt mal auf die harte Tour": Stuckrad-Barres besondere Rolle im Compliance-Verfahren um Bild-Chef Julian Reichelt" (kostenpflichtig)
- manager-magazin.de: "Der große Plan des sprunghaften Mathias Döpfner" (kostenpflichtig)
- spiegel.de: "Da gibt es nichts mehr zu duzen" (kostenpflichtig)