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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Teilerfolg am Bundesgerichtshof Falscher Major gewinnt Prozess – und bleibt in der Psychiatrie
Mit seinem Smartphone und Tablet fühlte er sich mächtig: Ein falscher Major, der das Netz mit Todesurteilen flutete, hat beim Bundesgerichtshof einen Streit gewonnen.
Er trat im Netz als falscher Major auf, verhängte sogar Todesurteile und rief zum Mord auf. Trotzdem wurde ein 55-Jähriger vor einigen Monaten vom Landgericht Oldenburg freigesprochen. Die Richter ordneten aber die Unterbringung in der Psychiatrie an. Dagegen ging der falsche Major beim Bundesgerichtshof vor. Mit eher mäßigem Ergebnis: In Karlsruhe erlitt er eine krachende Niederlage, auch wenn er einen kleinen Erfolg verbuchen kann. Der Mann muss sein Leben weiterhin in der Psychiatrie verbringen, aber er darf darauf hoffen, dass sein Smartphone und Tablet sein Eigentum bleiben.
Der Mann war vor allem im Messengerdienst Telegram als "Major J., Befehlshaber des Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force" (kurz: SHAEF) aufgetreten und hatte erklärt, deutsche Gesetze würden nicht mehr gelten. Außerdem habe er in Deutschland das Sagen. Vor allem Anhänger aus der "Reichsbürger"-Szene glaubten ihm das gern. Wenn Behörden, Medien oder Politiker seinen Machtanspruch nicht anerkannten, verkündete J. Todesurteile – es gab Hunderte "Verurteilte". Über viele Monate versetzte er so mit seinen öffentlich verbreiteten Schuldsprüchen Menschen in Angst.
Das Unwesen konnte er treiben, bis ihn im Dezember 2021 ein mobiles Einsatzkommando in Unterhose im Schlaf überraschte. Was viele Beobachter vermutet hatten, bestätigte sich im Prozess beim Landgericht Oldenburg: Es gab einen Freispruch – allerdings nur wegen Schuldunfähigkeit.
Wahnerkrankung: Er glaubt an Auftrag von Trump
Denn es war eindeutig, dass auf J.s Konto versuchte Anstiftung zum Totschlag ebenso gingen wie die öffentliche Aufforderung zu Straftaten in einer Vielzahl von Fällen und das gefährdende Verbreiten personenbezogener Daten. Es liege aber eine Wahnerkrankung bei dem Mann vor, sagte ein psychiatrischer Gutachter im Prozess. Der Mann glaube wirklich, er stehe an der Spitze des sogenannten SHAEF.
Die Abkürzung steht eigentlich für das Oberkommando der Alliierten im nordwestlichen und mittleren Europa während des Zweiten Weltkriegs. Es wurde Mitte 1945 aufgelöst. In der "Reichsbürger"-Szene kam aber vor allem ab 2020 die Überzeugung auf, SHAEF-Gesetze würden wieder oder weiter gelten. Damit stürzte J. auch seine Anhänger ins Unglück: Recherchen von t-online zeigten, dass Menschen untergetaucht waren, weil sie dem Major bedingungslos gefolgt waren, keine Gesetze mehr befolgt und damit ihre Existenz verloren hatten und auch ihre Kinder verlieren sollten.
Der psychiatrische Gutachter beim Landgericht Oldenburg sagte, der Major sei überzeugt, vom früheren US-Präsidenten Donald Trump mit allen Kompetenzen zum "Commander" der US-Streitkräfte ernannt worden zu sein und deshalb über die entsprechende Befehlsgewalt zu verfügen. Der Sachverständige und das Gericht kamen zum Schluss, dass vergleichbare Taten zu erwarten seien und der Mann deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Das Gericht entschied deshalb: unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.
Der "Major" hatte das Urteil und die Unterbringung nicht akzeptieren wollen und dagegen Revision eingelegt. Doch beim BGH hatte er damit keinen Erfolg. Nach der Karlsruher Entscheidung bleibt er weiterhin auf unbestimmte Zeit in der Psychiatrie.
Allerdings erzielte er trotz der grundsätzlichen Niederlage einen kleinen Erfolg, der zunächst irritiert: Der BGH entschied, dass das Landgericht zu Unrecht beschlossen hatte, Smartphone, Tablet, Schreckschusswaffe und ein Messer einzuziehen. Bei Schreckschusswaffe und Messer sei grundsätzlich völlig offen geblieben, ob die überhaupt etwas mit den Taten des Mannes zu tun hatten.
Neue Entscheidung über Waffe und digitale Geräte nötig
Bei Smartphone und Tablet war dagegen nach t-online-Recherchen klar, dass der Mann sie genutzt hatte, um Sprachnachrichten aufzunehmen und mit Drohungen im Netz zu verbreiten. Der BGH übte aber auch hier am Oldenburger Urteil Kritik: Die Richter dort hätten nicht geprüft, ob die eingezogenen Gegenstände wirklich die Allgemeinheit gefährdeten oder die Gefahr bestehe, sie könnten für zukünftige Straftaten genutzt werden. Bei schuldlos Handelnden sei das aber Voraussetzung, so der BGH.
In Oldenburg müssen nun andere Richter also noch einmal gesondert prüfen, ob dem Telegram-Major das Smartphone und das Tablet dauerhaft entzogen werden.
Freuen kann sich der Major bis dahin nicht wirklich. Eine Sprecherin des BGH zu t-online: "Die Aufhebung der Einziehungsentscheidung führt nicht dazu, dass die Gegenstände nunmehr an den Angeklagten zurückgegeben werden müssen." Sie bleiben weiter in amtlicher Verwahrung – es sei denn, das Landgericht Oldenburg entscheidet später anders.
- Eigene Recherchen
- bundesgerichtshof.de: Pressemitteilung BGH
- bundesgerichtshof.de: Beschluss 3 StR 501/22 vom 7. Februar