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Deutsche Tradition: Selbst auf Weihnachtsmärkten treibt Putin sein Unwesen


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Deutsche Tradition
Putin treibt sein Unwesen selbst auf Weihnachtsmärkten

MeinungVon Wladimir Kaminer

04.12.2022Lesedauer: 4 Min.
Wladimir Putin (Archivbild): Vom Weihnachtsmann, oder auf Russisch "Väterchen Frost", hat der russische Präsident nichts Gutes zu erwarten, meint Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin (Archivbild): Vom Weihnachtsmann, oder auf Russisch "Väterchen Frost", hat der russische Präsident nichts Gutes zu erwarten, meint Wladimir Kaminer. (Quelle: ITAR-TASS/imago-images-bilder)
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Ein Besuch auf dem Weihnachtsmarkt kann eine besinnliche Sache sein. Muss es aber nicht, wenn Kremlchef Putin dort Thema ist. Meint Wladimir Kaminer.

Der Schnee kam recht unerwartet Mitte November, quasi über Nacht, und hat die Menschen als unwillkommener Gast überrascht. In der Regel warten die Berliner lange auf Schnee, fragen einander, wo der Schnee denn bleibe und ob wir schon wieder ein schneeloses Weihnachtsfest feiern sollen.

Wenn aber der Schnee dann kommt, ist Weihnachten in der Regel längst vorbei – der Schnee schämt sich also entsprechend und löst sich vor lauter Scham gleich wieder auf. Dieses Jahr aber hatten wir gar nicht an den Schnee gedacht, wir saßen noch draußen in der Sonne, und plötzlich wurden die Straßen weiß. Die Kraniche, die Vögel des Glücks, die bis zuletzt noch am Grübeln waren, ob sie in den Süden fliegen oder doch bleiben sollen, weil der Norden schon Süden ist, sind dann doch in einer beängstigenden Unordnung und sehr tief über unsere Köpfe hinweg in den Süden geflogen.

(Quelle: Frank May)

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Kürzlich erschien sein neues Buch "Wie sage ich es meiner Mutter. Die neue Welt erklärt: von Gendersternchen bis Bio-Siegel".

Wobei ihnen andere Kraniche entgegenkamen, was zu Kranich-Kollisionen führte. Die einen wollten wahrscheinlich so wie immer fliegen, die anderen hatten Zweifel, ob man nicht eine andere Route wählen sollte. Auch bei den Menschen kommt alles durcheinander, auf einmal haben wir sozusagen Weihnachten, Fußball-WM und noch mehr, alles gleichzeitig.

Das gab es noch nie. Mit meinen russischen Freunden, vor der Mobilisierung geflüchteten und aus dem Land verbannten politischen Aktivisten, wollte ich zum Weihnachtsmarkt gehen, ihnen diese deutsche Sehenswürdigkeit zeigen. Die Attraktionen sind dort meistens flüssig und gut über den Markt verteilt, der Weihnachtsmarktbesuch beginnt traditionell mit einem Bier und geht vom Glühwein dann zum Schnaps über und von da zurück zum Bier.

Der Weihnachtsmarkt des Horrors

Da schließt sich der Kreis, die Bürger fahren auf diesem alkoholischen Teufelsrad, ohne abzuheben, irgendwann wird ihnen trotzdem schwindlig. Nur, zu welchem Weihnachtsmarkt sollten wir gehen? In Berlin ist die Anzahl der Weihnachtsmärkte – oder zumindest war sie das vor Corona – schier unübersichtlich: Es gibt unter anderem einen Kunstweihnachtsmarkt, auf dem handgeschnitzte Christkinder in der Krippe verkauft werden, und einen mittelalterlichen Weihnachtsmarkt, wo die Wurst- und Getränkeverkäufer bei jedem Wetter in Sandalen rumlaufen.

Damit nicht genug: Auch ein proletarischer Weihnachtsmarkt ist vorhanden mit lauter Schlagermusik und bunten Kotzpfützen, es existiert sogar ein japanischer Weihnachtsmarkt, auf dem Sushi und Sake statt Wurst und Glühwein serviert werden. Eigentlich sollten diese Märkte als Orte der stillen Freude über die Geburt Jesu alle Menschen zu Besinnlichkeit und zum Nachdenken animieren. Stattdessen sorgen sie Jahr für Jahr für Horrorschlagzeilen, davon kann Halloween nur albträumen.

Der große Weihnachtsmarkt hinterm Alexanderplatz kommt seit Jahren nicht aus den Schlagzeilen und ist fast nur noch als Skandalereignis gebrandmarkt. Vor allem das herausragende Riesenrad zog Perverse und Selbstmörder an. Einmal stand ein Exhibitionist unten – und machte jedes Mal, wenn eine Kabine vorbeifuhr, seinen Mantel auf, sodass die Mädchen kreischten. Ein Jahr später sprang ein Lebensmüder von oben runter. Er hatte sich extra eine Kabine mit einem frisch verliebten Pärchen ausgesucht, das ununterbrochen schmuste.

Der Mann hat sie sehr freundlich angesprochen, ihnen zu ihrer Liebe gratuliert und ein langes, glückliches Zusammensein gewünscht. "Für mich aber ist es Zeit zu gehen", sagte er, als die Kabine ganz oben angekommen war. Er stand auf und sprang aus der Gondel. Das Pärchen stand eine Weile unter Schock und musste vom Weihnachtsmarkt-Psychiater betreut werden.

"Fünfjahresplan in drei Tagen!"

Später hatten wir den Giftmischer, der jedem auf dem Markt anbot, aus seinem Fläschchen zu trinken. Mit dem Satz "Meine Frau hat ein Kind auf die Welt gebracht, ich bin Vater geworden, wollen Sie nicht mit mir meine Freude teilen?" Viele Menschen tranken aus seinem Fläschchen und bekamen schlimmen Durchfall. Angetrunkene Menschen haben wiederum die "Geister" im Horrorkabinett, die dort für einen Mindestlohn die Menschen erschrecken, angegriffen und mit Steinen beworfen.

Dieses Jahr war die Berliner Bürgermeisterin auf Zack: Sie legte eine erstaunliche Geschwindigkeit bei der Eröffnung der Weihnachtsmärkte hin und eröffnete an einem Montag fünf Weihnachtsmärkte in vier Stunden, was mich an die alte Parole meiner Heimat erinnerte: "Fünfjahresplan in vier Jahren!"

Damals konnten die Russen noch gut über sich lachen, sie machten Witze darüber: "Ein Meteorit fällt auf die Erde, die Menschheit hat nur noch drei Tage. Was tun? Die Franzosen feiern Partys und jagen den Röcken hinterher, versuchen in der Kürze der Zeit, mit allen Frauen anzubandeln, die Amerikaner haben alle ihre Whiskey-Vorräte hervorgeholt und üben sich im schnellen Austrinken – und die Russen tauschen die Plakate aus: Fünfjahresplan in drei Tagen!"

Ich ging mit meinen russischen Freunden zum Skandal-Weihnachtsmarkt auf dem Alexanderplatz, an einem endlosen Regal mit Nüssen und Süßigkeiten konnte sich dann jeder eine Tüte auseinanderfalten und füllen. Die ganze Zeit lief uns eine Verrückte hinterher, die uns auf Englisch aufforderte, alle Nüsse wieder zurückzulegen, "Put it in", schrie sie oder so ähnlich. Ich war verwirrt und wusste nicht, warum sie uns verfolgte, bis wir verstanden, was sie von uns wollte. Wir sollten nicht die Nüsse zurückschütten, sondern Putin etwas klarmachen. "Make it clear with Putin", wiederholte die Frau. Wir sollten Putin etwas klarmachen, okay, aber nur wie?

Hinweis: Falls Sie viel über den eigenen Tod nachdenken oder sich um einen Mitmenschen sorgen, finden Sie hier sofort und anonym Hilfe.

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