Zahlen die Klimaaktivisten? So hoch ist der Schaden durch den BER-Protest
Anderthalb Stunden stand der Betrieb am Flughafen BER still – Tausende Passagiere waren betroffen. Müssen die Klimaaktivisten diese nun entschädigen?
Nur einige Handgriffe mit einem Bolzenschneider und schon waren sie drin: Aktivisten der Gruppe "Letzte Generation" sind am Donnerstagnachmittag auf das Gelände des Flughafens Berlin-Brandenburg (BER) eingedrungen und haben so den Flugverkehr lahmgelegt. Ihr selbst erklärtes Ziel: Aufmerksamkeit für die Klimakrise erzeugen.
Aufmerksam geworden sind auch die Sicherheitsbehörden: Das Landeskriminalamt (LKA) Brandenburg ermittelt nach eigenen Angaben gegen sechs der Aktivisten, die am Flughafen aufgegriffen wurden – fünf Männer und eine Frau im Alter von 20 bis 32 Jahren. Als Straftatbestände der Ermittlungen nennt ein Polizeisprecher gefährlichen Eingriff in den Luftverkehr, Störung öffentlicher Betriebe sowie Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung.
Aber was ist mit den Kosten, die Passagieren durch die Ausfälle entstanden sind, etwa durch eine unfreiwillige Übernachtung in Berlin? Haben Fluggäste Anspruch auf Entschädigung und landet die Rechnung am Ende womöglich bei den Klimaaktivisten? t-online klärt die wichtigsten Fragen.
Was ist passiert und wie hoch ist der Schaden?
"Insgesamt waren 20 Flüge betroffen – fünf konnten aufgrund der Aktion der Aktivisten nicht starten, 15 mussten auf Ausweichflughäfen umgeleitet werden", erklärt ein Sprecher des BER gegenüber t-online. Für etwa 90 Minuten sei der Flugverkehr am BER vollständig eingestellt worden. In dieser Zeit habe die Polizei die Aktivisten in Gewahrsam genommen, das Gelände sei nach weiteren Personen abgesucht worden und die entstandenen Löcher im Zaun gesichert.
"Abhängig von der Auslastung der Passagiermaschinen müssen wir von 3.000 bis 4.000 Personen ausgehen, die von der Aktion betroffen waren", erklärt der BER-Sprecher. Wie Reisende am BER reagierten, lesen Sie hier.
Für die Airlines könnten aus diesen Zahlen große Entschädigungssummen resultieren – theoretisch. "Eine potenzielle Ausgleichszahlung fällt entfernungsabhängig pro Fluggast an. Der Durchschnittswert liegt bei den von uns betreuten Vorgängen bei EUR 400,00 je Fluggast", sagt Florian Schaal, Rechtsanwalt und Experte für Flug- und Reiserecht. Der Schaden für die Airlines würde demnach bei 4.000 Passagieren etwa 1,6 Millionen Euro betragen.
Müssen Airlines haften?
"In diesem Fall würde ich meinen Mandanten aber davon abraten, Ansprüche gegen die Fluggesellschaft zu erheben", erklärt Schaal weiter. "Wenn außergewöhnliche Umstände, umgangssprachlich höhere Gewalt, für die Ausfälle verantwortlich sind, können die Airlines von ihrer Haftungspflicht entbunden werden." Die Unterbrechung des Flugbetriebs durch die Klimaaktivisten sei durchaus als ein solcher außergewöhnlicher Umstand zu bewerten, so der Rechtsanwalt.
Der Leiter der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V. (söp), Christof Berlin, stellt klar, dass Passagiere bei Annullierungen und großer Verspätung dennoch Ansprüche gegenüber der Airline behalten. "Dazu gehören die Wahl zwischen Ticketerstattung oder Umbuchung auf einen anderen Flug sowie die Übernahme etwaiger Übernachtungs- bzw. Verpflegungskosten. Diese Ansprüche bestehen in jedem Fall."
Die Befreiung von der Haftungspflicht betreffe nur die Entschädigungszahlungen in Höhe von 250 bis 600 Euro, so der Rechtsexperte. Wie Sie an Ihre Entschädigung kommen, lesen Sie hier.
Holen sich Airlines Geld bei Aktivisten zurück?
Holen sich die Airlines die entstandenen Kosten, etwa für Umbuchungen und Übernachtungen, also bei den Aktivisten zurück? Eurowings – bei der Airline waren nach eigenen Angaben gestern zehn Flüge betroffen – äußert sich auf Anfrage zurückhaltend. Betroffene Passagiere seien umgebucht worden, darüber hinaus behalte sich Eurowings rechtliche Schritte vor, teilt eine Sprecherin mit.
Dass Passagiere oder Airlines nun rechtlich gegen die Klimaaktivisten vorgehen könnten, um entsprechende Schadenssummen einzuklagen, hält söp-Chef Berlin dagegen für unwahrscheinlich. Rechtsanwalt Schaal pflichtet ihm bei: "Rechtlich kommt alles Mögliche in Betracht." Alle Beteiligten – Flughafenbetreiber, Passagiere und Airlines – könnten Schadensansprüche gegenüber den sogenannten Störern geltend machen. "Welche Ansprüche auch tatsächlich geltend gemacht werden, steht aber auf einem anderen Blatt", sagt Schaal.
Wenn Mandanten durch einen Flugausfall ein konkreter Schaden entstehe, etwa der Ausfall einer gebuchten Pauschalreise, könnten sie Aktivisten individuell verklagen, erklärt der Rechtsanwalt. In der Realität setze das für die Betroffenen aber einen hohen Aufwand, etwa die Ermittlung der Personalien der Beschuldigten, voraus. In den meisten Fällen lohne sich das einfach nicht, resümiert Schaal. "Die jungen Aktivisten werden sicher nicht über ein großes Vermögen verfügen." Wer die Aktionen der "Letzten Generation" finanziert, lesen Sie hier.
Was macht der Flughafen BER?
Die Flughafengesellschaft könnte dagegen durchaus noch Schadensersatzforderungen stellen. "Ein rechtliches Vorgehen gegen die Aktivisten wird geprüft", so ein Sprecher gegenüber t-online. Der Sachschaden am Flughafen, etwa durch Beschädigung der Zäune, könne aber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht genau beziffert werden.
Ob man überrascht gewesen sei, dass die Aktivisten so einfach auf das Flughafengelände vordringen konnten? "Der Flughafen Berlin-Brandenburg ist vorschriftsgemäß gegen das unbefugte Eintreten geschützt", erklärt der Sprecher. Dieser Schutz umfasse regelmäßige Streifen, Alarmanlagen und Videoüberwachung. "Bei einer Fläche von etwa 2.000 Fußballfeldern, umrandet von einer knapp 30 Kilometer langen Zaunanlage" sei eine hundertprozentige Sicherheitsgarantie aber schwierig abzugeben. "Das ist ein grundsätzliches Problem", so der BER-Sprecher.
- Telefongespräch mit Pressesprecher des Flughafen BER
- Telefongespräch mit Rechtsanwalt Florian Schaal
- Telefongespräch mit söp-Leiter Christof Berlin
- Schriftliche Anfrage an Eurowings
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa