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Geheime NSU-Akten des hessischen Verfassungsschutzes veröffentlicht


Geheime Dokumente des Verfassungsschutzes
Böhmermann leakt NSU-Akten aus Hessen

Von t-online, dpa, sje

Aktualisiert am 29.10.2022Lesedauer: 4 Min.
Böhmermann veröffentlicht angebliche hessische NSU-AktenVergrößern des Bildes
Jan Böhmermann: In seiner Sendung "ZDF Magazin Royale" veröffentlichte er erste Auszüge aus den NSU-Akten. (Quelle: Christophe Gateau/dpa/dpa)
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Das "ZDF Magazin Royale" und Frag den Staat haben nach eigenen Angaben NSU-Akten aus Hessen veröffentlicht. Die Dokumente sollten ursprünglich bis 2134 geheim bleiben.

Die streng geheimen NSU-Akten des hessischen Verfassungsschutzes sind jetzt öffentlich. Das "ZDF Magazin Royale" und das Portal Frag den Staat haben die Dokumente am Freitagabend geleakt, wie der Moderator Jan Böhmermann bekannt gab. Ursprünglich hatten die Behörden eine langjährige Sperrfrist auf die Akten gelegt: Zunächst waren es 120 Jahre gewesen, dann wurde die Frist auf 30 Jahre reduziert.

Der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) hat zwischen 2000 und 2007 in ganz Deutschland zehn Menschen ermordet. Dass hinter den Taten Neonazis steckten, kam erst heraus, als mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zwei Täter 2011 Selbstmord begingen und Bekennervideos hinterließen. Die Ermittler waren zuvor nicht davon ausgegangen, dass es Verbindungen in die rechtsextreme Szene gegeben hatte. Das Behördenversagen hatte eine Krise der deutschen Sicherheitspolitik zur Folge.

120 Jahre Geheimhaltung für 250-seitigen Bericht

Der damalige Innenminister und heutige Ministerpräsident von Hessen, Boris Rhein (CDU), ordnete daher 2012 die Aufarbeitung an. 2014 legte der Verfassungsschutz dann dem hessischen Innenministerium einen rund 250 Seiten starken Bericht vor. Darin: eine Auswertung, was die Geheimdienstler von 1992 bis 2012 an Hinweisen zur extremen Rechten erhalten hatten und wie sie damit umgegangen waren.

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Die Akten wurden mit der höchsten Fallklasse belegt, die es in Hessen gibt: 120 Jahre Sperrfrist. Später wurde diese auf 30 Jahre abgesenkt. Dass der Bericht überhaupt existiert, stellten Abgeordnete der Linken erst 2017 fest. Sie forderten schon damals die Veröffentlichung. Eine Petition zur Freigabe der Dokumente fand mehr als 130.000 Unterzeichner.

Informationen ja, Konsequenzen nein

Die jetzt öffentlichen NSU-Akten aus Hessen scheinen nun zu belegen, dass der Verfassungsschutz zwar jahrelang Informationen sammelte. Die Behörde "hatte dabei aber weder den Überblick über seinen Bestand noch folgten aus den gesammelten Informationen stets Konsequenzen", schreiben das "ZDF Magazin Royale" und Frag den Staat auf einer eigens eingerichteten Website. Sie vermuten einen Eigenschutz der Behörde hinter der Geheimhaltung: "Viele sehen in der ursprünglich verhängten 120-jährigen Sperrfrist den Beleg dafür, dass der hessische Verfassungsschutz noch viel schlimmere Fehler gemacht haben muss, als er bisher zugegeben hat", heißt es auf der Webseite.

Dem Verfassungsschutz sollen etwa Hinweise auf eine Bewaffnung von Neonazis vorgelegen haben – die allerdings nicht weiter verfolgt wurden. 2014, als der Bericht erstellt wurde, seien zudem mehr als 500 Dokumente vermisst worden. Mittlerweile sollen es nur noch rund 200 sein.

Kaum Hinweise zum NSU – aber zum Mörder von Walter Lübke

Zum NSU selbst gab es dem Bericht zufolge kaum Informationen – wenn auch die Namen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe mehrfach vorkommen. Zu möglichen Aufenthaltsorten oder Taten gebe es in den Akten jedoch keine Hinweise, heißt es auf der Website. Ein abschließendes Urteil könne sich daraus jedoch nicht ableiten lassen. Dazu fehlten schlicht zu viele Dokumente.

Allerdings finden sich in den NSU-Akten auch Informationen zu Stephan Ernst – dem späteren Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke. Der Verfassungsschutz habe demnach bereits 2009 festgestellt, er sei "als aggressiv und gewalttätig einzuschätzen". Auch frühere Bewaffnungen seien aufgefallen.

Dass die Akten überhaupt geheim gehalten wurden, sollte dem Schutz der Arbeit des Verfassungsschutzes und seiner V-Leute dienen. Die heutige Innenministerin Nancy Faeser forderte jedoch schon 2018, als sie noch Abgeordnete im hessischen Landtag war: "Die Gesellschaft muss nicht damit leben, dass Behördenakten für vier Menschengenerationen als geheim eingestuft und damit der Öffentlichkeit entzogen werden."

Linke: Akten entsprechen dem Original

Nach Einschätzung der Linken entsprechen die Akten offenkundig dem Original. "Sie scheinen vollständig und inhaltsgleich transkribiert worden zu sein", sagte der innenpolitische Sprecher der Linken im hessischen Landtag, Torsten Felstehausen, am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. Man habe die Texte nebeneinander gelegt und verglichen. Die Abgeordneten hätten im Landtags-Untersuchungsausschuss Zugang zu den Originalakten gehabt.

Eine offizielle Bestätigung der Authentizität stand am Samstagmittag aber noch aus: Landesinnenministerium, Landeskriminalamt und Landesverfassungsschutz in Hessen äußerten sich zunächst nicht zu dem Vorgang.

"Versagen des Landesamtes für Verfassungsschutz"

Die Linksfraktion begrüßte die Veröffentlichung. Aus Sicht der Opferfamilien sei das eine langjährige Forderung gewesen, sagte Felstehausen. "Endlich kann die Öffentlichkeit sich ein eigenes Bild davon machen, wie der sogenannte Verfassungsschutz über Jahre mit Hinweisen auf rechten Terror umgegangen ist."

Es sei beschämend für die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen, dass sie nicht der Petition von mehr als 130.000 Menschen auf Aktenfreigabe gefolgt sei, sondern dass es dafür Leaks durch Investigativ-Journalistinnen und -Journalistinnen gebraucht habe, sagte er. Die Linksfraktion habe lange für die Veröffentlichung gekämpft.

"Es steht vor allem das Versagen des Landesamtes für Verfassungsschutz drin – dass sie viele Informationen hatten und offensichtlich nicht in der Lage waren, daraus ein Bild zusammenzusetzen." Es handele sich um einen verheerenden Umgang mit Hinweisen auf rechten Terror, so die Linksfraktion.

König-Preuss: Akten an Archiv übergeben

Die Linke-Fraktion im Thüringer Landtag hat gefordert, die den Geheimdiensten vorliegenden Akten zur rechtsextremen Terrorgruppe NSU zu entziehen. Es sei notwendig, die Akten, die zur Aufklärung des NSU-Komplexes beitragen könnten, einem Archiv zu übergeben, um die Aufarbeitung voranzutreiben, erklärte die Linke-Abgeordnete Katharina König-Preuss am Samstag. Sie reagierte damit auf die Veröffentlichung der NSU-Akten.

Nach Einschätzung von König-Preuss offenbaren die Unterlagen, "dass der Geheimdienst eine Vielzahl von Informationen über Bewaffnung von Personen der rechten Szene hatte, aber diese nicht nutzte, um frühzeitig rechte Straftäter aus dem Verkehr zu ziehen".

Die hessischen Dokumente enthielten zudem eine Vielzahl von Informationen zu Thüringer Neonazis, sagte König-Preuss laut Mitteilung. Dass diese den Untersuchungsausschüssen der Länder nicht übergeben worden seien, zeige deutlich die Blockade des parlamentarischen Aufarbeitungswillens durch den Geheimdienst, so die Abgeordnete, die den beiden NSU-Ausschüssen des Thüringer Landtags angehörte.

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