Kanzler-Gespräch in Magdeburg Wie die AfD Pöbel-Proteste gegen Scholz organisiert
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Olaf Scholz will in Magdeburg Gründe und Folgen der Sanktionen gegen Russland erklären. Viele Zaungäste dürften an seinen Argumenten kein Interesse haben.
In Magdeburg hat am Mittwoch der Präsident der örtlichen Industrie- und Handelskammer einen düsteren Ausblick gegeben: "Die schlechteste Stimmung seit Beginn der Aufzeichnungen", fasste Präsident Klaus Olbricht das aktuelle Konjunkturbarometer zusammen. An diesem Donnerstag kommt Olaf Scholz in die Stadt, und der Kanzler, dessen Beliebtheit aktuell im Keller ist, dürfte auf den Unmut von Menschen treffen, die Sorgen haben. Doch wird der Kanzler auch niedergeschrien werden? Und wenn ja, von wem? Die AfD jedenfalls will den Besuch unvergesslich für ihn machen.
Es nennt sich "Kanzler-Gespräch", es ist Teil einer vom Bundespresseamt organisierten Tour durch alle Bundesländer und Magdeburg ist die zweite Station nach dem Auftakt in Lübeck. Dort hatten etwa 60 lautstarke Demonstranten versucht, über trennendes Wasser hinweg dem auf einem Kai unter Palmen plaudernden Kanzler zu erklären, dass er ein "Kriegstreiber" sei. Der Protest störte kaum. "Gegenseitiges Zuhören", eines der von Scholz erklärten Ziele, war dem Kanzler und den ausgelosten Teilnehmern des Gesprächs gut möglich.
In Neuruppin wurde es ungemütlich
In der vergangenen Woche in Neuruppin war das anders: "Von der rüpelhaftesten Seite" habe sich die Stadt gezeigt, schrieb die lokale "Märkische Allgemeine" nach einem Bürgerdialog dort. Scholz hatte Mühe, sich im "Volksverräter" und "Hau ab"-Geschrei verständlich zu machen. Auch jugendliche Fragesteller wurden unbarmherzig ausgepfiffen. 200 angemeldete Zuhörer waren zur Veranstaltung zugelassen worden, rund 300 lautstarke Störer standen am Rande. Sie kamen zum großen Teil von einer benachbarten Demo der AfD, aber auch "Fridays for Future" hatte zu Protest aufgerufen.
In Magdeburg knüpft die AfD an ihr Vorgehen in Neuruppin an. Wenn der Kanzler um 18 Uhr mit Bürgern sprechen will und einen Termin an der Universität hinter sich gebracht hat, ist auch eine von 16 bis 18 Uhr angemeldete AfD-Demo offiziell vorüber. Der langjährige Geschäftsführer der Fraktion* im Landtag, Ronny Kumpf, versteigt sich zu der Formulierung, die Demonstranten sollten sich gegen die "Amokpolitik" der Ampel "laut machen". "Bringt auch gerne Trillerpfeifen mit."
Die Polizei Magdeburg als Versammlungsbehörde hat keine Auflagen gemacht, bestimmte Krachmacher nicht mitzubringen. Es gilt nur: Ein eingesetztes Megafon darf in fünf Metern Abstand nicht lauter als 85 Dezibel sein. Und die Demonstranten haben nach dem Versammlungsrecht auch Anspruch, dass ihr Protest wahrnehmbar ist, wie die Polizei erklärt: "Die Lage der Versammlungsflächen gewährleistet die Möglichkeit der gegenseitigen Kommunikation bzw. Wahrnehmbarkeit des Gegenprotestes." Die Krachmacher verschaffen sich auf jeden Fall in den eigenen Reihen Wahrnehmbarkeit: Ein örtlicher YouTube- und Telegram-Kanal, der bislang fast nur von Corona-Demos berichtete, will auf allen Wegen live von der Demo berichten.
Inhalte gibt es auf Phoenix
Die inhaltlichen Antworten des Kanzlers zu Fragen wie Inflation oder Energiepreisen wird man in einem abgesperrten Bereich vor der Festung Mark oder in der Übertragung im öffentlich-rechtlichen Phoenix sehen können. Von einer Sprecherin der Festung heißt es, die Gegner werde man "wohl hören, wenn die laut sind. Das wird aber nicht so laut sein, dass man von der Veranstaltung kaum noch etwas versteht." In zwei Himmelsrichtungen ist die Fläche von Gebäuden abgeschirmt, in einer Richtung durch eine hohe Mauer. Auf der offenen Seite wird ein Parkplatz teilweise abgesperrt, dahinter kann dann protestiert werden.
Der Vorsitzende des vom offiziell aufgelösten Flügels dominierten AfD-Landesverbands, Martin Reichardt, fordert, "dass wir versuchen, dass Scholz Magdeburg in Erinnerung bleibt", schließlich vergesse der Kanzler "ja sonst alles". Es ist eine Anspielung auf die lückenhaften Aussagen von Scholz in der Cum-Ex-Affäre. Der Protest solle aber friedlich sein.
100 Teilnehmer bei AfD-Demo angekündigt
Von der AfD wurden nur 100 Teilnehmer angemeldet. Wenig angesichts der Resonanz auf die Demo-Aufrufe "Olaf Scholz – Wir haben genug" der AfD. Sie sind mehrere Tausend Mal quer durch die Republik geteilt worden. Auf Telegram wurde ein Aufruf des winzigen Kanals "Grüne – Nein Danke" mit knapp 60 Abonnenten rund 40.000 Mal gesehen. Er wurde unter anderem vom Kanal des Verschwörungsideologen Oliver Janich weitergeleitet, der gerade auf den Philippinen wegen Gewaltaufrufen auf Telegram festgenommen worden ist.
Während der Scholz-Besuch also durch rechte Kanäle rauscht, findet sich auf den Seiten der SPD in Magdeburg: nichts. Auch im öffentlichen Terminkalender ist der Besuch nicht vermerkt. Außerhalb der Veranstaltungsfläche an der Festung werden SPD-Vertreter nicht Flagge und Unterstützung zeigen.
Teilnehmer laut Bundespresseamt ausgelost
Man stelle sich durchaus Debatten und konstruktivem Dialog, sagt René Wölfer, Pressesprecher der Sachsen-Anhalt-SPD. "Aber wenn man sich die Aufrufe anschaut, dann sind die ganz sicher nicht auf konstruktiven Austausch ausgelegt. Und auf Trillerpfeifen mit noch mehr Trillerpfeifen zu antworten, ist nicht zielführend und gegenüber den Veranstaltern nicht angemessen."
Den berechtigten Sorgen und Ängsten der Menschen müsse mit Lösungen und Hilfen begegnet werden. "Das kann aber nur gemeinschaftlich und nicht auf der Straße passieren", so Wölfer.
Schreikonzerte gegen Regierungsmitglieder sind auch insbesondere im Osten nichts Neues. Scholz musste aber bei einer Mai-Kundgebung beim DGB in Düsseldorf feststellen, dass es ihm auch im Westen passieren kann, nur schwer gegen Sprechchöre durchzudringen. Auch dort war zuvor vermehrt mobilisiert worden.
SPD-Mitglieder beim Gespräch
Ganz untätig war vor dem Scholz-Besuch aber auch die Kanzler-Partei SPD in Magdeburg nicht. Nach dem Aufruf in der "Volksstimme" hatte der Landesverband in Instagram-Storys und über seinen internen Mailverteiler mit 3.400 Empfänger auf die Möglichkeit hingewiesen, sich um eine Teilnahme zu bewerben. "Es werden deshalb einige Genossinnen und Genossen präsent sein", sagt Pressesprecher Wölfer.
Die hatten Losglück, heißt es aus Berlin: Weder Presse- und Informationsamt der Bundesregierung noch Bundeskanzleramt seien an der Auswahl der Teilnehmenden beteiligt gewesen. Eine Regierungssprecherin sagt dazu: "Da es mehr Anmeldungen als verfügbare Plätze gab, hat die Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg ein neutrales Losverfahren durchgeführt." Per Zufallsgenerator seien 150 Teilnehmer und 93 Nachrücker benannt worden. 155 Teilnehmer werden erwartet.
Und die Protestierenden außerhalb des abgesperrten Bereichs.
*Wir hatten an dieser Stelle zunächst "Fraktionsführer" geschrieben. Kumpf ist nicht Fraktionsführer, Vorsitzende der Fraktion sind Oliver Kirchner und Ulrich Siegmund.
- Eigene Recherchen
- volksstimme.de: "Sachsen-Anhalter dürfen den Bundeskanzler befragen"
- facebook.de: Posting Ronny Kumpf
- maz-online: "Kommentar zum Besuch von Olaf Scholz in Neuruppin: Das gehört sich nicht"
- ln-online.de: "Olaf Scholz besucht Lübeck: So sorgte die Polizei für Sicherheit" (Abo-Inhalt)
- ovgu.de: "Bundeskanzler Olaf Scholz besucht Universität Magdeburg"