Konflikte in der SPD Schafft er das?
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Daten zeigen: Die Vorstellungen von jungen und alten SPD-Wählern gehen inhaltlich in einigen Punkten auseinander. Nun muss die Partei einen Spagat leisten – sonst könnte ihr Hoch schnell vorbei sein.
Die SPD konnte bei Wählern über 60 Jahren überdurchschnittlich punkten. Bei jenen, die gerade die Beständigkeit der "Merkel-Jahre" in der Person Scholz fortgesetzt sehen wollten.
Auf der anderen Seite besteht die neue SPD-Bundestagsfraktion aber auch knapp zu einem Viertel aus Abgeordneten im Juso-Alter. Sie sind geprägt durch die "No Groko"-Kampagne von 2017. Und sie haben stark dabei mitgeholfen, Scholz als Parteivorsitzenden zu verhindern.
Werden mögliche Gegensätze zwischen Jüngeren und Älteren innerhalb der SPD den Erfolg der Partei belasten? Diese Situation ist für sie Chance und Risiko zugleich.
Daten des "Wahl-Kompasses" geben Hinweise darauf, wie schwer es für Scholz werden könnte, die Strömungen innerhalb der SPD auszugleichen. Das Onlinetool der Uni Münster bot Wählern zur Bundestagswahl die Möglichkeit, ihre eigene Position in Relation zu den Parteien festzustellen.
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Parallel dazu ermöglicht der "Polit-Kompass", sich selbst im politischen Raum auch unabhängig von bevorstehenden Wahlen einzuschätzen. Die Auswertung der Daten von sozialdemokratischen Sympathisanten in den Altersgruppen der unter 30-Jährigen und der über 60-Jährigen aus dem "Wahl-Kompass" macht die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen diesen Gruppen deutlich.
CO2-Preis als gemeinsamer Fokus
Jüngere und Ältere stimmen bei klassischen sozialdemokratischen Gerechtigkeitsfragen grundsätzlich überein. Besonderen Wert legen beide Altersgruppen auf die soziale Abfederung eines steigenden CO2-Preises. Auch die Frage der Umverteilung von Reichtum von oben nach unten eint beide Generationen.
Die Forderung nach einer gemeinsamen Krankenversicherung für alle oder höheren Steuern für Besserverdienende hegen ebenso beide Altersgruppen in deutlichem Maße. Diese Ideen stoßen aber mit den Liberalen als zukünftigem Koalitionspartner bereits an ihre Grenzen, bevor die Ampel ihre Arbeit überhaupt aufnehmen kann. Sie werden somit vorerst sozialdemokratische Wunschträume bleiben.
Wohnungspolitik birgt Spannungen
Die Gegensätze zwischen den beiden untersuchten Gruppen sozialdemokratischer Wähler beginnen dort, wo sich jeweils unterschiedliche Lebenswirklichkeiten und Alltagserfahrungen bemerkbar machen. Dass Bafög unabhängig vom Einkommen der Eltern gezahlt werden soll, befürworten deutlich mehr junge Wähler als ältere.
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Ältere sozialdemokratische Wähler sind eher der Ansicht als jüngere, dass private Vermieter die Höhe ihrer Miete allein festlegen sollen. Jüngere sehen das anders, sind sie doch häufiger in der Position, noch geringere Einkommen zu haben und eher eine Wohnung zu mieten als zu besitzen. Gerade mit Blick auf die gegenwärtig vieldiskutierte Wohnungspolitik birgt dieser Themenpunkt innerparteiliche Spannungen.
Herausfordernder Generationsunterschied
Unterschiede in den politischen Positionen werden auch anhand der längerfristigen Prägungen von Generationen deutlich erkennbar. SPD-Wähler über 60 sind vehement gegen eine Verschlankung des Programms des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Denn während die Älteren noch mit drei Parteien und drei TV-Sendern aufgewachsen sind, werden die Jüngeren schon seit Eintritt in ihr Erwachsenenalter von medialer Pluralität begleitet.
Veränderte Vorstellungen zwischen den Generationen zeigen sich auch in Fragen von zukünftiger Mobilität. Kostenloser öffentlicher Nahverkehr als Ausdruck klimafreundlicher, nicht Auto-basierter Raumüberwindung findet deutlich mehr Anklang bei Jüngeren als bei Älteren. Das wird die SPD in den aktuell zentralen gesellschaftlichen Fragen der Verkehrspolitik noch vor Herausforderungen stellen.
Meinungsverschiedenheit bei Innenpolitik
Die Gemeinsamkeiten werden noch geringer, wenn es um innenpolitische Themen geht. Dass nationale Sicherheit wichtiger als Datenschutz ist, sehen fast zwei Drittel der älteren Wähler so. Bei den jüngeren stimmen dem nur 40 Prozent zu – sind doch für jüngere Menschen soziale Medien im Alltag weitaus wichtiger.
Auch im Umgang mit Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zeigen sich Unterschiede. Bei den älteren SPD-Sympathisanten sind 70 Prozent für eine Ausweitung der öffentlichen Videoüberwachung, während bei den jüngeren nur 40 Prozent dieser Forderung zustimmen. Das ist bemerkenswert, da auch die Jüngeren in den vergangenen Jahren mit Terrorbedrohungen aufgewachsen sind und dennoch diese Auffassung vertreten.
Bei zukünftigen migrationspolitischen Debatten droht nicht nur in der Ampelkoalition eine Polarisierung zwischen Grünen und FDP, sondern auch innerhalb der SPD. Denn ältere sozialdemokratische Wähler verlangen viel stärker, dass Zugewanderte sich an die "Kultur und Werte in Deutschland anpassen", als dies die jüngeren für richtig halten. Auch wenn es um die Beschränkung von Zuwanderung geht, sprechen sich ältere SPD-Anhänger deutlicher für eine restriktive Politik aus.
Transnationale Strukturen versus Nationalstaat
Diese Positionierungen lassen erkennen, dass ältere SPD-Sympathisanten vor allem in gesellschaftspolitischen Fragen konservativere Einstellungen haben als die jüngeren. Dies kann als Ausdruck des steigenden Sicherheitsbedürfnisses bei vielen Menschen zunehmenden Alters interpretiert werden. Die jüngeren Wähler der SPD hingegen entstammen einer Generation, der es stärker um eine individualisierte Lebensführung geht und die sich erkennbar eher an transnationalen Strukturen als am Nationalstaat orientiert.
Die ältere Wählergruppe liegt damit näher an den Vorstellungen von Unions-Wählern. Die jüngeren SPD-Wähler stehen auf diesem Gebiet Positionen von FDP und Grünen näher.
Brücken für Ampelkoalition
Diese gesellschaftspolitischen Fragen könnten auf der einen Seite über die junge Generation Brücken bilden, über welche die Ampelkoalition stabilisiert werden könnte. Die Positionen der älteren sozialdemokratischen Wähler könnten der SPD auf der anderen Seite eine Chance bieten, Anschluss an konservativere Schichten der gesellschaftlichen Mitte zu suchen.
So muss die SPD-Parteiführung einerseits die Erwartungen der vielen eigenen älteren Wähler bedienen und sie innerhalb der Koalition besonders gegenüber FDP und Grünen betonen. Dies erhöht jedoch umso mehr den Druck auf die jungen SPD-Abgeordneten, die jüngeren SPD-Wähler ebenfalls zu berücksichtigen und sie nicht an die Grünen oder die Linken zu verlieren.
Wenn der SPD dieser Interessensausgleich gelingt, wäre das eine große gesellschaftliche Integrationsleistung, die nebenbei auch wieder an den blasser gewordenen Volksparteigedanken anknüpfen könnte. Wenn er jedoch scheitert, wäre die Revitalisierung der SPD nur von kurzer Dauer.
Hier finden Sie den Polit-Kompass der Uni Münster.
- Daten des "Wahl-Kompasses" der Universität Münster