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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wagenknecht bei Lanz "Undenkbar, dass Laschet Kanzler wird"
Wer hält bei der Union nicht dicht? Bei "Markus Lanz" wurden Namen genannt. Peer Steinbrück riet Laschet zum Rückzug aus "Selbstwertgefühl". Und auch Sahra Wagenknecht teilte aus.
Die Gäste
- Sahra Wagenknecht, Die Linke
- Peer Steinbrück, Ex-SPD-Kanzlerkandidat
- Cerstin Gammelin, Hauptstadtjournalistin der "Süddeutschen Zeitung"
- Juli Zeh, Juristin und Schriftstellerin
Nicht mal dichthalten kann die Union. Während die Sondierungsgespräche zwischen SPD, Grünen und FDP vertraulich bleiben, werden Informationen aus den Runden um Kanzlerkandidat Armin Laschet sofort an bestimmte Medien durchgestochen. Liebe Union, das nervt!, haben Grüne und FDP die CDU/CSU öffentlich angezählt. Selbst aus den eigenen Reihen kommen ungewohnt harsche Töne.
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"Wer jetzt die Vertraulichkeit bricht, handelt vorsätzlich verantwortungslos und verliert jede Legitimation, für die CDU zu sprechen", twitterte Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien. Wer ist das von der Union, der durchsticht?, wollte Markus Lanz am Dienstagabend von der Journalistin Cerstin Gammelin wissen. Die nannte Namen.
"Von der CDU hat man ja so übliche Verdächtige", versuchte sich die stellvertretende Leiterin des Parlamentsbüros der "Süddeutschen Zeitung" aus der Affäre zu ziehen. "An wen denken Sie da?", hakte Lanz nach. Da gab Gammelin die vornehme Zurückhaltung auf: "Na ja, Jens Spahn, Michael Kretschmer."
Zwar wollte sie den Bundesgesundheitsminister und Sachsens Ministerpräsident nicht direkt als Schuldige benennen. Die politische Beobachterin schien sich ihrer Sache jedoch ziemlich sicher zu sein: "Wir wissen gar nichts, wir können aber eine Indizienkette legen."
"Kanzler Laschet ist undenkbar"
Sollten die ebenso gut informierten wie indiskreten Unionsvertreter hoffen, mit den Medienberichten Laschet zu stärken, geht das nach Ansicht von Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht nach hinten los beziehungsweise ist vergebene Liebesmüh. "Ich halte es für undenkbar, dass Armin Laschet Kanzler wird", sagte sie.
Dafür habe er einfach zu wenig Rückhalt in den eigenen Reihen. Ob Wagenknecht ihrerseits den zunehmenden Zuspruch aus der Linkspartei nach deren Wahldebakel nutzen wird, um wie von einigen Parteifreunden gefordert in die Fraktionsführung aufzusteigen, fragte Lanz leider nicht.
Auch Ex-SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ging davon aus, dass die Union Laschet selbst bei einer Jamaika-Koalition nicht als Kanzler aufstellen wird. "Er ist die personifizierte Niederlage der Union", urteilte der einstige Bundesfinanzminister und Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens. Dabei werde sein Amtsnachfolger allerdings auch zum Sündenbock für die Versäumnisse der Union gemacht.
Das Aus ist für Steinbrück da nur noch eine Frage der Zeit. "Es bleibt der Zeitpunkt abzuwarten, wenn Laschet jemand sagt: Das war es." Seiner Ansicht nach sollte diese Rolle Wolfgang Schäuble zufallen, gerade weil dieser Laschet als Nachfolger Angela Merkels empfohlen habe. Steinbrück rat dem CDU-Chef, sich dann vollständig aus der Politik zurückzuziehen: "Man muss eine Art von Selbstwertgefühl haben."
Steinbrück selbst hatte sich nach der Wahlniederlage 2013 aus der Politik verabschiedet. Er war damals mit dem Ergebnis von 25,7 Prozent für die SPD gescheitert. Das exakt selbe Resultat wird jetzt Olaf Scholz vermutlich zum Bundeskanzler machen. Der ehemalige Kanzlerkandidat verriet, dass er "mindestens sechs Monate" vor der Wahl bereits wusste, dass er aller Voraussicht nach verlieren würde.
Dieses Mal habe die SPD geschlossen hinter Scholz gestanden. Der sei aber eher trotz statt wegen seiner Partei gewählt worden. Die SPD von der Prägung Kevin Kühnerts und Saskia Eskens hätte nach Einschätzung Steinbrücks ohne den Spitzenkandidaten "nicht mal die 20 Prozent erreicht". Scholz' Erfolgsrezept sah laut Steinbrück so aus: "Seine Umgebung ist in der Lage gewesen, alle, die ihm Knüppel zwischen die Beine hätten werfen können, zu vergattern, um den Preis einer Exkommunikation. Das hat sehr gut geklappt."
"Das kann man schon Enteignung nennen"
Die Schriftstellerin Juli Zeh, ihrerseits SPD-Mitglied, zog vor der Regierungsbildung eine positive Zwischenbilanz. "Diese Wahl hatte eher was Versöhnliches", meinte Zeh. In der vergangenen Zeit sei häufig fast hysterisch behauptet worden, wie gespalten das Land doch sei. Das habe sich an den Wahlurnen nicht bestätigt, die Ränder seien nicht gestärkt worden, sagte sie mit Blick auch auf die AfD. Allerdings haben Zeh im Wahlkampf viele wichtige Themen gefehlt. Zum Beispiel die Boden- und Immobilienspekulationen ominöser Investoren aus dem Ausland.
Wagenknecht kritisierte hier, dass im Gegenzug Menschen mit kleinem Einkommen in Zeiten von vier Prozent Inflation und Nullzins keine Möglichkeit hätten, ihre Kaufkraft zu erhalten. "Das kann man schon Enteignung nennen", griff sie ein Stichwort des Gastgebers auf. "Irgendwann wird das so nicht mehr funktionieren."
Alle Lanz-Gäste waren sich einig, dass die neue Bundesregierung noch intensiver die Europäische Union stärken müsse. "Europa ist nicht das Problem – Europa ist die Lösung", bekräftigte Steinbrück. Abgesehen vom gemeinsamen Wertekanon werde selbst eine Wirtschaftsmacht wie Deutschland Probleme wie Klimapolitik, Steuerhinterziehung, den Umgang mit Internetriesen oder der Corona-Pandemie nur mit den Nachbarn angehen können. Er warnte dabei vor falschem Geiz: "Jeden Euro, den Deutschland nach Europa zahlt, haben wir mehrfach zurückgekriegt."
Weniger optimistisch ist derzeit nach Ansicht von Gammelin der Blick der EU auf Deutschland. "Es gibt jetzt eine Art Schreckgespenst in Europa mit dem Namen Christian Lindner", sagte die SZ-Journalistin. Schließlich habe die FDP während der Finanzkrise Kredithilfen für Griechenland widersprochen. Sollten die Liberalen das Finanzministerium übernehmen, bestehe die Befürchtung, dass "Herr Lindner nach Europa kommt und sagt: Ne, machen wir nicht".
- "Markus Lanz" vom 5. Oktober 2021