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Grüne und FDP in einer Regierung? Für diese Ehe braucht es eiserne Nerven


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Grüne und FDP in einer Regierung?
Für diese Ehe braucht es eiserne Nerven

Von Michael Freckmann

Aktualisiert am 01.09.2021Lesedauer: 4 Min.
Christian Lindner und Annalena Baerbock (Archivfoto): Für ihre Wähler ist die Zusammenarbeit ein Graus.Vergrößern des Bildes
Christian Lindner und Annalena Baerbock (Archivfoto): Für ihre Wähler ist die Zusammenarbeit ein Graus. (Quelle: Gregor Fischer/dpa)

FDP und Grüne können sich nicht leiden, werden aber wohl die Königsmacher dieser Wahl sein. Von ihnen hängt ab, ob es zur Ampel- oder Jamaika-Koalition kommt. Überwiegt der Wille zu regieren oder die Ablehnung?

Lange waren die Anhänger von Grünen und FDP einander spinnefeind. Die einen galten als "Moralprediger" und "Ökospinner", die anderen wirkten auf ihre Konkurrenten als Partei der sozialen Kälte. Doch in den letzten Jahren, so scheint es, hat sich das Klima zwischen beiden gewandelt. Genug für eine Zusammenarbeit in der Bundesregierung? Das wird eine der großen Fragen der kommenden Wochen und Monate.

Einige Gründe dafür gibt es: Die Generationen Westerwelle und Trittin, die die FDP beziehungsweise den linken Flügel der Grünen so sehr geprägt haben, sind mittlerweile durch Jüngere abgelöst worden. Bundestagsabgeordnete beider Fraktionen treffen sich regelmäßig. Und in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein regieren beide in Ampel und Jamaika zusammen.

Die FDP beschäftigt sich mit Fragen des Klimaschutzes und machte sich in letzter Zeit wieder mehr für Bürgerrechte und bildungspolitische Anliegen stark. Robert Habeck hat vor Kurzem versucht, seine Klimapolitik über den eigentlich urliberalen Begriff der Freiheit zu definieren. Nicht zuletzt sind die Grünen als Koalitionspartner der CDU in einigen Bundesländern in Teile der gutsituierten bürgerlichen Wählerschaft vorgestoßen. Und da Dreierkoalitionen immer mehr zur Regel werden, sind beide Konkurrenten regelrecht gezwungen, sich füreinander zu öffnen, wenn sie mitregieren wollen.

Die gegenseitige Ablehnung bleibt groß

Doch bei aller Annäherung zeigt sich: Es gibt nach wie vor große gegenseitige Ablehnung. Christian Lindner hat sich dagegen ausgesprochen, dass die FDP Annalena Baerbock zur Kanzlerin wählen würde. Vor allem aber existieren handfeste programmatische Gegensätze. Und dies ist mehr als nur Wahlkampfgetöse. Ob in der Klimapolitik der Markt oder der Staat die wichtigere Rolle spielen soll, ist zwischen beiden Parteien heftig umstritten. Ob Politik eher im Modus von Regulierungen oder durch Anreize gestaltet werden soll ebenso.

Während es in der Justiz- und Bildungspolitik noch den wenigsten Streit gibt, wird es besonders in der Steuer- und Finanzpolitik problematisch. Die FDP schließt im Vorfeld der Wahl jede Steuererhöhung aus und will an der Schuldenbremse festhalten. Die Grünen sehen das anders, besonders in Bezug zur Vermögenssteuer, zum Spitzensteuersatz und zur staatlichen Investitionstätigkeit. So sehr große Teile der eigenen Wählerklientel beider Parteien aus der besserverdienenden Mitte stammen, so stark unterscheiden sie sich doch nach wie vor in ihren Gerechtigkeitsvorstellungen.

Wirtschaft vs. Umwelt – hier drohen Konflikte

Robert Habeck und Wolfgang Kubicki, die in Kiel die Jamaika-Koalition mit zustande gebracht haben, weisen immer wieder darauf hin, dass es darum gehe, allen Partnern in Koalitionen ihre Räume zur Profilierung zu lassen. Doch selbst wenn sich beide Parteien hinsichtlich der Besetzung des Wirtschaftsministeriums und des Umweltressorts schnell einigen könnten, werden die ersten Auseinandersetzungen um das Verhältnis zwischen Umweltschutz und dem Erhalt des wirtschaftlichen Wohlstands nicht lange auf sich warten lassen.

Durch das Landwirtschaftsministerium und das Verkehrsministerium würden die Konfliktlinien sogar quer hindurch laufen. Verfechter der ökologischen Landwirtschaft treffen auf solche, die die Landwirte vor zu vielen Umweltschutzverordnungen bewahren wollen. Auch wird die Frage zentral werden, welchen Stellenwert das Auto mit Verbrennungsmotor zukünftig in der Verkehrspolitik einnehmen soll.

Da alle zentralen Projekte der Regierung immer den Einspruch des Finanzministers fürchten müssen, stellt dieses Ministerium eine Schlüsselposition dar. Lindner und Habeck spekulieren beide auf dieses Amt, um so für die eigene Partei eine zentrale Rolle in einer zukünftigen Koalition spielen zu können.

Die Anhänger beider Parteien sind sich fremd

Selbst wenn die Parteispitzen sich einigen können, müssen beide Parteien auch ihre Anhänger von einer Zusammenarbeit überzeugen. Doch die eint offenbar nach wie vor wenig. Noch immer wirkt nach, wie sich Vertreter beider Parteien jahrelang in Wahlkämpfen, Talkshows und Parlamentsreden aneinander abarbeiteten. Gerade einmal 25 Prozent der FDP-Anhänger finden die Grünen sympathisch. Lediglich 13 Prozent der Grünen-Wähler können für die FDP Sympathien aufbringen.

Wenn es um alternative Wahlabsichten geht, ist die Stimmung nicht viel freundlicher. 11 Prozent der FDP-Anhänger wären offen dafür, alternativ die Grünen zu wählen. Grünen-Wähler, die sich auch vorstellen können, die Liberalen zu wählen, muss man geradezu mit der Lupe suchen – es sind nur 4 Prozent.

Vor diesem Hintergrund müssen sich die Parteien in kommenden Koalitionsverhandlungen vor allem gegenüber ihren Mitgliedern und Wählern profilieren. So müssen beide darauf achten, dass sie nicht als Anhängsel gesehen werden: in Jamaika die Grünen von Schwarz-Gelb und in einer Ampel die FDP von Rot-Grün. So sehen 45 Prozent der FDP-Anhänger eine Ampel unter einem SPD-Kanzler kritisch. Eine solche Koalition unter Führung der Grünen würde wohl bei Liberalen noch weniger Zustimmung hervorrufen. Auf der anderen Seite lehnen 70 Prozent der Grünen-Sympathisanten eine Jamaika-Koalition ab.

Zum Regieren verdammt

Andererseits bedeutet das für die Koalitionsverhandlungen aber auch, dass die Partei, die den weitesten Weg zu den anderen beiden zurücklegen muss, sich am teuersten einkaufen lassen könnte, um so inhaltlich am meisten zu realisieren. Dies alles erfordert eiserne Nerven, viel Verhandlungsgeschick und eine gute Kommunikationsstrategie ins eigene Lager hinein. Die Jamaika-Sondierungen von 2017 dürften im Vergleich dazu nur eine Aufwärmübung gewesen sein.

Dies gilt vor allem, weil beide nicht viel Spielraum haben. Die FDP, weil sie nicht noch einmal von sich aus die Regierungsteilnahme verweigern dürfte. Die Grünen aber genauso wenig. Da sie im Wahlkampf von drängender Handlungsnotwendigkeit gegenüber dem Klimawandel sprechen, können sie nicht auf die Umsetzung ihrer Vorstellungen verzichten, nur weil sie inhaltlich Abstriche machen müssten. So sind beide zum Regieren verdammt. Und gerade dies raubt ihnen das Druckmittel, auch freiwillig in die Opposition gehen zu können.

So sehr sich Grüne und FDP am 26. September wohl über ein gutes Wahlergebnis freuen können, so wenig wird am Wahlabend die kommende Koalition bereits feststehen. Die wirklich harten Auseinandersetzungen zwischen FDP und Grünen werden dieses Mal wohl weniger vor als nach dem Wahltag stattfinden.

Verwendete Quellen
  • Daten von Adenauer-Stiftung und Forschungsgruppe Wahlen
  • Eigene Recherche
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