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Annalena Baerbock (Grüne): Ist sie in der Lage, ihre Partei zu bändigen?


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Annalena Baerbock
Das darf jetzt nicht schiefgehen


Aktualisiert am 11.06.2021Lesedauer: 5 Min.
Annalena Baerbock: Am Wochenende zählt es für die Grünen-Kanzlerkandidatin. Schafft sie die Trendwende?Vergrößern des Bildes
Annalena Baerbock: Am Wochenende zählt es für die Grünen-Kanzlerkandidatin. Schafft sie die Trendwende? (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)

Am Wochenende muss es laufen für Annalena Baerbock: Die strauchelnde Kanzlerkandidatin muss auf dem Grünen-Parteitag zeigen, dass sie kämpfen kann – und in der Lage ist, ihre Partei zu bändigen.

Bei den Grünen denken dieser Tage manche an den Anfang zurück, dem tatsächlich ein besonderer Zauber innewohnte.

Am 27. Januar 2018 steht in Hannover eine Frau auf der Bühne, Kleid in dunkelrosa, schwarze Lederjacke. Sie beginnt ihre Rede laut und steigert sich dann einfach immer weiter. Sie hat damals noch keinen wichtigen Posten in der Partei, war vor langer Zeit mal Landeschefin in Brandenburg, und ist einfache Abgeordnete im Bundestag.

Aber diese Frau sagt damals einen Satz, von dem sie in der Partei heute noch reden. Einen Satz, der von einem Selbstbewusstsein zeugt, das sie sich nun auch wieder von ihr wünschen, das sie sich von ihr erhoffen, jetzt, da diese Frau rund dreieinhalb Jahre später als Kanzlerkandidatin mitten im Sturm steht.

Annalena Baerbock, damals noch eine der Bewerberinnen für den Parteivorsitz neben dem sehr viel bekannteren Robert Habeck, ruft ihren Parteifreunden in Hannover zu: "Wir wählen hier heute nicht nur die Frau an Roberts Seite, sondern die neue Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen!"

Hinter ihr an der Wand prangt das Motto des Parteitags: "... und das ist erst der Anfang". Im Januar 2018 konnte Annalena Baerbock bestenfalls eine leise Ahnung davon haben, was das für sie wirklich bedeuten würde.

Sie muss kämpfen

An diesem Wochenende wird Baerbock wieder auf einem Parteitag reden, und ihre Rede wird für sie und die Grünen noch wichtiger sein als damals. In den Umfragen sind die Grünen nach einem Hoch wieder deutlich hinter die Union gerutscht, fünf bis acht Prozentpunkte trennen sie nun. Nur noch 28 Prozent der Deutschen halten Baerbock laut ZDF-"Politbarometer" geeignet fürs Kanzleramt, vor einem Monat waren es noch 43 Prozent. Armin Laschet und Olaf Scholz, diese krawattentragenden Männer, die schon lange im Geschäft sind, sind ihr enteilt. Im ARD-"Deutschlandtrend" ist das Bild ähnlich.

Es ist der Absturz nach dem Höhenflug.


Baerbock muss nun zeigen, dass sie nach einer selbstverschuldeten Pannenserie, nach mal mehr und mal weniger redlichen Attacken der politischen Gegner und zuletzt immer gehemmteren Auftritten auch noch kämpfen kann, noch kämpfen will. Und sie muss auch zeigen, dass sich die Partei noch immer hinter ihrem radikal-pragmatischen Kurs versammelt.

Der Parteitag – er ist nichts weniger als eine Reifeprüfung.

Nur die halbe Wahrheit

Noch vor wenigen Tagen versuchte Co-Chef Robert Habeck ein wenig Druck rauszunehmen. "Wir sind exakt in der Situation, in der wir gehofft haben zu sein", sagte er da und meinte: Die Grünen im Duell mit der Union um Platz eins bei der Bundestagswahl. Doch auch Habeck weiß natürlich, dass das höchstens die halbe Wahrheit ist.

Denn gerade geht es eben bergab für die Partei. Und das ist nun mal die falsche Richtung.

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Dass die Heldenverehrung nach der Nominierung Baerbocks nicht anhalten würde, sei klar gewesen, sagen gerade viele Grüne hinter vorgehaltener Hand. Wahrscheinlich seien die jetzigen Umfragewerte ohnehin die realistischeren, glauben einige.

Doch es ist eben gerade mehr als das: Die Debatten um nicht angezeigte Nebeneinkünfte und Falschangaben in Baerbocks Lebenslauf seien zwar kleinlich, sagen wohlmeinende Grüne, aber eben doch klare Fehler, die nicht passieren dürften, schon gar nicht reihenweise wie jetzt.

Hinzu kamen Ukraine- und Benzinpreisdebatte, in denen die Grünen sich mehr verteidigen mussten, als ihnen lieb war, und ein enttäuschendes Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt.

Gröbere Schnitzer, die dürfe man sich jetzt einfach nicht mehr erlauben. Denn noch viel weiter bergab darf es nicht mehr gehen, sonst war es das eben irgendwann endgültig mit dem Duell um Platz eins. Der Parteitag am Wochenende, der müsse jetzt laufen.

Gute Rede – und pragmatisches Wahlprogramm

Laufen, das würde der Parteitag Grünen zufolge einerseits mit einer starken Rede von Annalena Baerbock. Einer Rede so ähnlich wie 2018 in Hannover. Einem klaren Zeichen. Baerbock wird am Samstagnachmittag sprechen, nachdem der Parteitag sie zur Kanzlerkandidatin und gemeinsam mit Robert Habeck zum Spitzenduo gewählt hat.

Sie werde sich akribisch vorbereiten, glauben sie in der Partei, weil sie das immer tue und weil sie wisse, dass es jetzt darauf ankomme. Volle Konzentration also, was sich auch an ihrem Kalender zeigt: Baerbock nahm diese Woche nur wenige öffentliche Termine wahr.

Aber laufen, das heißt für diesen Parteitag eben auch, dass die grüne Basis das Wahlprogramm gegen den Willen des Bundesvorstandes nicht so sehr verschärfen darf, dass Baerbock gleich nächste Woche schon wieder in die Defensive gerät. Weil die Verschärfungen ihre Wahlkampferzählung der pragmatischen Grünen mit einer Politik für die Breite der Gesellschaft konterkarieren.

Und dafür gäbe es genügend Gelegenheiten, obwohl der Bundesvorstand und die sogenannte Antragskommission in den vergangenen Wochen angeblich fast pausenlos telefoniert haben, um die krassesten Forderungen unter den 3.280 Änderungsanträgen am Programm schon vor dem Parteitag abzumoderieren. Auch in diesen Stunden wird noch weiterverhandelt.

Wie viel Klimaschutz darf es sein?

Am größten ist das Potenzial für Verschärfungen, die dem Bundesvorstand eher unangenehm wären, wohl beim Klimaschutzkapitel des Wahlprogramms. Es wird schon an diesem Freitag verhandelt.

Ein Antrag sieht dort vor, den CO2-Preis schon für das Jahr 2022 auf 80 Euro anzuheben statt erst 2023 auf 60 Euro, wie von der Parteispitze vorgeschlagen. Und ihn dann auch mindestens um 15 Euro pro Jahr anzuheben, statt den Anstiegspfad erst einmal offen zu lassen.

Das ist zwar weniger als die Maximalforderungen von bis zu 160 Euro, die von der Parteispitze offenbar erfolgreich wegverhandelt wurden. Doch die nächste Benzinpreisdebatte wäre wohl trotzdem programmiert – selbst wenn die Grünen betonen werden, das Geld aus dem CO2-Preis komplett an die Bürger zurückzahlen zu wollen.

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Ein anderer Antrag sieht vor, statt eines Tempolimits von 130 km/h auf Autobahnen nur noch 100 zu erlauben – und auf Landstraßen nur noch 70. Ein weiterer will, dass schon ab 2025 nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden dürfen, statt dieses Verbrenner-Aus erst ab 2030 festzuschreiben, wie von der Parteispitze vorgeschlagen.

Mehr Mindestlohn, mehr Hartz IV, mehr Spitzensteuersatz

Doch auch andernorts könnte es Verschärfungen geben, die das Programm weiter aus der gesellschaftlichen Mitte herausrücken, in der es die Grünen-Chefs Baerbock und Habeck gerne hätten. Zumindest in der Außenwirkung.

Statt 12 Euro Mindestlohn könnten nach diesem Parteitag 13 Euro im Programm stehen. Statt einer schrittweisen Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes ohne feste Zielsumme könnten 600 Euro drinstehen; derzeit gibt es nur 446 Euro. Statt eines Steuersatzes von 45 Prozent auf Single-Einkommen ab 100.000 Euro könnte dann 48 Prozent drinstehen. Und statt eines Spitzensteuersatzes von 48 Prozent ab 250.000 Euro für Singles wären es dann 52 Prozent.

Über all das wird am Samstag debattiert. Und am Sonntag wird es dann noch um bewaffnete Drohnen gehen und darum, ob der Titel des Wahlprogramms "Deutschland. Alles ist drin" lauten soll oder man doch lieber das "Deutschland" weglässt. Eine sehr grüne Symboldebatte, die aber schon vor Wochen ein großes mediales Echo fand.

Damit es für sie "läuft", müssen sich Annalena Baerbock und der Bundesvorstand natürlich nicht in jeder Frage gegen die Wünsche der Basis durchsetzen. Aber sie dürfen eben auch nicht eine Abstimmung nach der anderen verlieren, heißt es aus der Partei. Und vor allem darf kein Quatsch ins Programm kommen, wie es jemand formuliert. Also zu viel Radikalität, die sich in einer Regierung eh nicht durchsetzen ließe.

Denn das würde bei den Reizthemen nicht nur zu neuen Angriffen der politischen Gegner führen. Sondern es würde eben auch bedeuten, dass die Partei Baerbock und Habeck auf dem Weg in die Mitte nicht mehr so folgt, wie sie das seit 2018 in erstaunlicher Weise getan hat.

Es wäre das Gegenteil eines geschlossenen Aufbruchs in den Wahlkampf. Und dieses Signal könnte Annalena Baerbock gerade so überhaupt nicht gebrauchen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Gespräche
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