GroKo-Debatte bei "Maybrit Illner" Kurs auf Schwarz-Rot – Merkels letzte Chance?
Jamaika ist so weit weg wie der Sommer 2017 und in Berlin macht sich der gefühlte Schneematsch der Großen Koalition breit. Selbst Maybrit Illner wirft da das Handtuch und ruft nach der Vertretung.
Die Gäste
- Peter Altmaier (CDU), Kanzleramtschef und amtierender Bundesfinanzminister
- Olaf Scholz (SPD), stellv. SPD-Bundesvorsitzender, Erster Bürgermeister von Hamburg
- Hajo Schumacher, Journalist und Autor
- Andrea Römmele, Politikwissenschaftlerin, Hertie School of Governance
- Dorothea Siems, Wirtschaftsjournalistin "Die Welt"
Das Thema
Die Große Koalition. Was sonst. CDU und SPD hatten große Namen geschickt, die aber nicht gerade als Aufrührer verschrien sind. Vom Glyphosat-Querulanten Christian Schmidt und der CSU war keine Spur. Da sprach Altmaier versehentlich sogar kurz von "den zwei Parteien", die sich jetzt einigen müssten und korrigierte die Zahl schnell auf drei. Der Titel der Sendung am Donnerstagabend lautete "Kurs auf Schwarz-Rot – Merkels letzte Hoffnung?" Tatsächlich geriet die Runde fast zum Wettbewerb: Welche Partei hat die kraft- und saftloseste Spitze?
Scholz war bemüht, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angesichts der gescheiterten Jamaika-Sondierungen ein ums andere Mal Führungsschwäche zu attestieren. Er stellte die "Frage, ob die Kraft noch reicht, Einigung und Konsense hinzukriegen". Altmaier seinerseits unterließ Angriffe auf Martin Schulz. Das übernahmen die anderen Teilnehmer. "Alle fragen sich: Wohin mit Martin?", beschrieb Schumacher seine Deutung der Lage innerhalb der SPD. Schulz sei angeschlagen und schwäche damit die Position der Sozialdemokraten in möglichen Koalitionsverhandlungen: "Martin Schulz hat alles vergeigt, was man vergeigen konnte."
Scholz, der immer wieder als potenzieller Schulz-Nachfolger gehandelt wird, war nicht angetan, sich jetzt als Umstürzler zu versuchen. Kann und soll Martin Schulz auf dem anstehenden Parteitag wiedergewählt werden? "Er wird wieder zum Parteivorsitzenden gewählt werden. Er ist der einzige Kandidat und er wird ein gutes Ergebnis auf dem Parteitag kriegen", sagte Scholz. Kein Gegenkandidat? Schumacher konnte da nur ein "Es ist so tragisch!" einwerfen. Es folgte Applaus.
Die Fronten
Hamburgs Erster Bürgermeister bemühte sich, die Fortsetzung der Großen Koalition nicht als unvermeidliche Selbstverständlichkeit erscheinen zu lassen. Die SPD werde "mit großer Gelassenheit und großer Klarheit“ die Lage sondieren. Bei den Forderungen sei noch gar nichts in Stein gemeißelt. "Die SPD hat überhaupt keine Liste geschrieben", beteuerte er. Eigene Versäumnisse wollte Scholz nicht eingestehen. "Das war kein Fehler, dass wir nach der Wahl so entschieden haben", meinte er zum schnell verkündeten Rückzug in die Opposition. Lieber keilte er noch mal gegen Schmidt aus: "Das war ein Dummerjungenstreich. Das war ganz peinlich. Das machen 16-Jährige, aber nicht ausgewachsene Bundeslandwirtschaftsminister."
Altmaier, dessen ruhender Gesichtsausdruck dieser Tage das leichte Schmunzeln zu sein scheint, drängte da schon deutlicher auf eine historische Fortsetzung der Großen Koalition. Die SPD müsse sich fragen, ob sie die Erfolge der vergangenen Jahre aufgeben wolle und die auch außenpolitische Verantwortung für eine "Stabilität made in Germany" von sich weise. Es war deutlich: Eine Minderheitsregierung, in der die Union wie ein "Kleidersammler" bei jedem Thema nach Stimmen sucht, ist nicht nach dem Geschmack Altmaiers. An einem Punkt nahm er gar seinen "möglicherweise vielleicht künftigen Koalitionspartner in Schutz", was in der Runde endlich für etwas Bewegung sorgte. Der CDU-Politiker stellte angesichts möglicher Maximalforderungen der SPD für sich und Merkel aber auch klar: "Wir haben vielleicht vieles, aber keine Angst."
Aufreger des Abends
Fehlanzeige. Die Energie für die große Aufregung ist in den vergangenen Wochen nach und nach verpufft. Alle Beteiligten wirkten wahlweise ermattet, schicksalsergeben oder nur noch reflexhaft agitiert. Über große Würfe bei Umweltschutz oder Digitalisierung wurde nicht konkret gesprochen. Als Scholz am Ende die Zukunftsängste von "Truckern" hinsichtlich selbstfahrender Autos ansprach, war das Ende der thematischen Fahnenstange auch schon erreicht.
Moderatoren-Momente
Ein wenig geschwächt von der ganzen Aufregung der vergangenen Wochen ist womöglich auch Maybrit Illner. Die Moderatorin zog jedenfalls im Kampf gegen Erkältungsviren den Kürzeren und brauchte eine Vertretung. Die wurde äußerst kompetent von Bettina Schausten übernommen. "Ich schlage vor, wir strengen uns alle an, damit wir der Frau Illner alle Ehre machen", gab sie zu Beginn als Losung aus und nahm die sich selbst zu Herzen. Die Leiterin des ZDF-Hauptstadtbüros fragte angenehm bodenständig nach. "Wir sind in einer ganz schwierigen Situation. Die bisherige Bundesregierung hat eine erhebliche Wahlniederlage erlitten", klagte Scholz, da wollte Schausten mal wissen: Hatte die SPD denn tatsächlich keinerlei Strategie für den Fall, dass Jamaika nichts wird? Gute Frage.
Scholz hätte übrigens nach eigenem Bekunden "fast jede Wette angenommen", dass sich Union, FDP und Grüne einigen. Auch bei der einsamen Parteivorsitzkandidatur von Schulz hakte Schausten nach. Tatsächlich kein Gegenkandidat? Hat Scholz selbst nicht mal darüber nachgedacht? Der zog sich windend mit "Ich bin schon sehr lange als stellvertretender SPD-Vorsitzender nominiert" aus der Schusslinie.
Und noch ein drittes Mal wollte es die Moderatorin von dem SPD-Politiker ganz genau wissen. Immer wieder war zu hören gewesen, den Jamaika-Sondierungen habe eine große, alles zusammenhaltende Überschrift gefehlt. Ob wohl Scholz eine solche große Überschrift für die Gespräche mit der Union habe? "Nein, ich beschäftige mich damit noch nicht", erwiderte der Sozialdemokrat. "Noch nicht", wiederholte Schausten und meinte damit womöglich: Wird ja mal langsam Zeit, nicht wahr?
Was von der Sendung übrig bleibt
Wer kann das schon sagen. Momentan sind Talkshows wenige Minuten nach Sendungsende gern schon überholt – so wie Anne Wills Sendung an jenem Sonntag, als Jamaika den Bach runterging. Nach neun Sendeminuten konnte Schausten schon mal verkünden, dass die Gespräche von Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und Schulz bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach mehr als zwei Stunden beendet wurden. Über den Inhalt der Beratungen hatten alle Seiten Stillschweigen vereinbart. Aktuell in Berlin wohl nicht die schlechtesten Nachrichten.