Rolle rückwärts SPD könnte Merkel als Kanzlerin tolerieren
Die etwas voreilige Ansage der SPD-Spitze, nach dem Jamaika-Aus eher in Richtung Neuwahlen zu marschieren, hält keine 48 Stunden. Nun würden die Genossen eine Merkel-Minderheitsregierung tolerieren, um die Kanzlerin leiden zu lassen. Aber kann die SPD dem Groko-Druck widerstehen?
Die SPD-Spitze rückt nach dem Platzen der Jamaika-Sondierungen von Neuwahlen ab und bringt die Unterstützung einer Unions-geführten Minderheitsregierung ins Spiel. "Neuwahlen wären ein Armutszeugnis", sagt SPD-Vize Ralf Stegner. Andere Parteigrößen stoßen ins selbe Horn.
Bewertet Schulz die Lage neu?
Die SPD hatte vor acht Wochen am Abend der Bundestagswahl nach dem Absturz auf ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis entschieden, in die Opposition zu gehen. Nach der Jamaika-Pleite nimmt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier alle Parteien mit politischen Schnittmengen allerdings noch einmal ins Gebet. Am Donnerstag trifft er sich mit SPD-Chef Martin Schulz.
Zu Wochenbeginn hatte die SPD-Spitze auf Vorschlag von Parteichef Martin Schulz einstimmig den Beschluss gefasst: "Wir halten es für wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger die Lage neu bewerten können. Wir scheuen Neuwahlen unverändert nicht." Doch auch Schulz scheint die Lage neu zu bewerten.
SPD sieht "keine Basis" für Große Koalition
Am Dienstagabend versicherte er dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron seine Unterstützung für dessen Vorschläge zur Erneuerung Europas. Er zeigte sich besorgt, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) keinen Finger krumm mache, um Macron bei EU-Reformen zu unterstützen. Deutschland drohe in der Europapolitik absehbar auszufallen.
Deswegen hält nun SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel eine Minderheitsregierung für denkbar. "Das ist eine Frage, die in Gesprächen auch erörtert werden muss", sagte der hessische SPD-Landesvorsitzende im ZDF. Eine Neuauflage der großen Koalition lehne seine Partei derzeit ab. "Wir wollen keine österreichischen Verhältnisse." Dort hätten die ständigen schwarz-roten Bündnisse zu einer Stärkung der politischen Ränder geführt. Auch aus inhaltlichen Gründen sehe die SPD "momentan keine Basis" für eine große Koalition.
Kritik: SPD könne jetzt jeden Preis fordern
Auch Stegner sieht das unverändert so: "Eine Friss-oder-stirb-Haltung wird die SPD nicht einnehmen." Ein Abrücken vom Groko-Ausschluss beschädige den Kern der sozialdemokratischen Glaubwürdigkeit.
Doch es gibt in SPD-Führungskreisen Kritik an dieser Haltung. Die SPD könne jetzt jeden Preis von Merkel fordern, heißt es. Es sei klüger, wieder mitzuregieren als in ein paar Monaten bei Neuwahlen zu riskieren, noch unter 20 Prozent abzurutschen. Sehr gut denkbar wäre bei einer Neuauflage der Groko, dass die SPD angesichts von finanziellen Spielräumen bis zu 45 Milliarden Euro das Finanzministerium beanspruchen würde.
Der Sprecher des rechten SPD-Flügels "Seeheimer Kreis", Johannes Kahrs, forderte Schulz auf, offen in das Gespräch mit Steinmeier zu gehen. "Nach dem Aus von Jamaika haben wir eine neue Situation", sagte Kahrs in der "Passauer Neuen Presse". "Wir können dem Bundespräsidenten nicht sagen: Rumms, das war's."
Das Risiko, das Mandat zu verlieren
Sachsen-Anhalts SPD-Fraktionschefin Katja Pähle erklärte, ihre Partei dürfe sich Gesprächen über eine große Koalition nicht verweigern. Dafür müsse die SPD aber klare Bedingungen formulieren. Die baden-württembergische SPD-Landeschefin Leni Breymaier sieht das ähnlich. "Ich habe es für wahrscheinlich gehalten, dass das klappen wird mit Jamaika. Daher schließe ich in diesen Tagen nichts mehr aus", sagte sie.
Hinter den Kulissen gibt es teils harsche Kritik an Schulz, der sich zu schnell auf die Option Neuwahlen festgelegt habe. Viele alte und frisch gebackene SPD-Bundestagsabgeordnete wollen nicht das Risiko eingehen, ihr Mandat sofort wieder zu verlieren.
Stegner hingegen fordert mehr Loyalität mit Schulz ein: "In diesem schwierigen Prozess braucht der Parteivorsitzende die uneingeschränkte Unterstützung der gesamten Parteiführung. Das verträgt sich nicht mit Angriffen auf den Vorsitzenden." In zwei Wochen will der gescheiterte Kanzlerkandidat Schulz bei einem Parteitag erneut für den Vorsitz kandidieren. Zu seinen schärfsten innerparteilichen Kritikern zählt Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz.