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Olaf Scholz: Britische Experten stellen Kanzler vernichtendes Zeugnis aus


"Schnurstracks in die Niederlage"
Britische Experten stellen Scholz vernichtendes Zeugnis aus

Von t-online, cc

Aktualisiert am 28.02.2024Lesedauer: 4 Min.
Olaf Scholz (SPD) bei einem Besuch des SC Freiburg im Dialog mit Bürgern.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz (SPD) bei einem Besuch des SC Freiburg im Dialog mit Bürgern. (Quelle: IMAGO/Fotostand / Hettich)

Die Sozialdemokratie in Europa steht am Scheideweg. Das behaupten zwei britische Professoren. Als warnendes Beispiel haben sie den deutschen Kanzler ausgemacht.

Die Politik hat es in Zeiten der multiplen Krise nicht leicht. Während Ukraine-Krieg, Rezession und Klimawandel Europa in Atem halten, versuchen die Regierungen der Nationalstaaten mehr oder weniger erfolgreich, sich gegen die Unbill der Gegenwart zu stemmen. Ob schwächelnde Wirtschaft, soziale Unruhen oder Wladimir Putin – ist der eine Brandherd gelöscht, lodert schon der nächste, und meistens glimmen alle zugleich.

Olaf Scholz wartet angesichts dessen ab und erklärt sich, wenn er die Zeit gekommen sieht. So wie nun bei seiner Weigerung, der Ukraine dringend benötigte Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Scholz ist das Gegenteil des "Basta"-Kanzlers, ein Machtwort hat er in seiner notorisch zerstrittenen Koalition bislang kaum einmal gesprochen. "Wir streiten wie die Kesselflicker", sagte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir der "Rheinischen Post" mit Blick auf die Ampel. Und das schon seit mehr als zwei Jahren.

Dass hinter dem Regierungsstil des Sozialdemokraten Scholz nicht etwa politisches Kalkül, sondern ein Mangel an Richtlinienkompetenz stecken könnte, diese These stellen nun zwei britische Autoren auf. In einem Aufsatz für den britischen "Guardian" machen sich Tarik Abou-Chadi und Tom O'Grady Gedanken über die Zukunft der Sozialdemokratie im Allgemeinen und im Besonderen in Deutschland und England.

Scholz ein "von Natur aus vorsichtiger Technokrat"

Dort will der Labour-Vorsitzende Keir Starmer nach den kommenden Parlamentswahlen die Macht übernehmen, die Chancen dafür stehen nicht schlecht, sind die Briten nach dem Brexit, einer anhaltenden Wirtschaftskrise und dreizehn Jahren Tory-Regierung doch reichlich desillusioniert. Laut einer Umfrage waren 49 Prozent der Briten im Januar mit der Arbeit der Labour-Partei zufrieden, dagegen nur noch 27 Prozent mit der Performance der regierenden Tories von Premier Rishi Sunak.

Die Mehrheit im Land hat die Konservativen also ziemlich satt, und Starmer muss eigentlich nicht viel mehr tun, als bis Oktober keine gröberen Fehler zu machen. Doch was dann?

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Wie man es nach einem Machtwechsel von bürgerlich-konservativer zu liberal-sozialdemokratischer Regierung nicht machen sollte, zeigen Abou-Chadi und O'Grady am Beispiel der deutschen Ampel. "Wer wissen will, wie Großbritanniens Zukunft unter Starmer aussieht, sollte nach Deutschland schauen – die Aussichten sind nicht rosig", lautet der Titel ihres Essays frei übersetzt. Der Regierung in Berlin stellen sie darin ein vernichtendes Zeugnis aus, allen voran dem Bundeskanzler.

Scholz zeichnen sie als von "Natur aus vorsichtigen Technokraten", der sich plötzlich in einem Land wiedergefunden habe, das vom Weg abgekommen sei. Als einen Politiker, der seine politischen Ziele über Bord wirft, nur um die schwarze Null zu gewährleisten, also den ausgeglichenen Staatshaushalt. "Mehr als zwei Jahre nach seinem Amtsantritt wirkt die Regierung, als sei sie ohne Orientierung, ohne jegliche Vision für die Zukunft", so die Autoren. In diese Lücke stoße nun immer stärker die politische Rechte. Die Sozialdemokratie hingegen renne "schnurstracks in die Niederlage".

Überfällige Reformen würden verschleppt

Abou-Chadi und O'Grady arbeiten als Professoren für Politikwissenschaft an der Eliteuniversität Oxford und am elitären University College of London (UCL). Aus ihrer Sympathie für Mitte-links-Parteien machen sie keinen Hehl. Er mache sich Sorgen um "die verändernde Kraft der politischen Linken" und um den zunehmenden gesellschaftlichen Einfluss rechter Parteien, schreibt Abou-Chadi bei X.

Um diese Entwicklung aufzuhalten, brauche es starke politische Programme und durchsetzungsfähige Akteure. All das sehen er und O'Grady jedoch weder bei Scholz noch bei seinem britischen Counterpart Keir Starmer. Auch der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück attestierte Scholz zuletzt einen gewissen "Mangel an Führung und Orientierung".

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Die beiden britischen Professoren halten dem Kanzler zwar bisweilen große Ambitionen zugute. Seit er im Amt sei, wisse Scholz aber nicht mehr, was er mit der Macht anfangen solle. Er stecke in einem "fiskalpolitischen Zwangskorsett", das Reformen verunmögliche. Dabei brauche Deutschland gerade jetzt Führung, zumal ein Gutteil der Wähler zunehmend frustriert von der Politik sei.

Aber ausgerechnet in dieser schwierigen Situation seien es die Mahner in der Partei, die auf den Kanzler den größten Einfluss hätten. "Ist die Wahl erst mal gewonnen, bekommen die Hasenfüße die Oberhand", so die beiden Politikexperten. Der dringend benötigte Wandel werde durch allzu große Vorsicht verwässert.

Bei Starmer sei gleichfalls nicht zu erkennen, wie er Großbritannien den nötigen Reformen unterziehen wolle. Dabei seien diese überfällig. Programmatische Schwäche in Kombination mit politischer Führungsschwäche biete radikalen Parteien ein ideales Einfallstor, um ihre kleingeistigen Narrative zu verbreiten und die etablierten Parteien vor sich herzutreiben. Abou-Chadi und O'Grady ziehen ein ernüchterndes Fazit. Die Mitte-links-Parteien in Großbritannien und Europa stünden längst am Scheideweg, es fehle ihnen eine Idee, wie eine zukunftsfeste Politik für das 21. Jahrhundert aussehen könnte.

Weder Starmer und seine Labour-Partei noch Scholz und die SPD hätten die passenden Rezepte für die Herausforderungen der Gegenwart: "Mit dem Unterschied, dass Starmer noch Zeit hat, das Ruder herumzureißen."

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