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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Eklat im Kanzleramt "Der Antisemitismus in Deutschland explodiert"
Nach dem Antisemitismus-Eklat will Palästinenserpräsident Abbas es nicht so gemeint haben. Der Islamforscher Ahmad Mansour widerspricht – und geht hart mit Kanzler Scholz ins Gericht.
Ahmad Mansour ist ein deutsch-israelischer Islamforscher, Psychologe und Gründer der Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention. Für seinen Einsatz gegen Antisemitismus und für Integration wurde er in diesem Jahr mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
t-online: Herr Mansour, Palästinenserpräsident Abbas hat am Dienstag im Kanzleramt vor laufender Kamera den Holocaust relativiert. Tags darauf verbreitet er eine Erklärung, er habe das alles nicht so gemeint. Glauben Sie ihm?
Ahmad Mansour: Nein. Es ist nicht das erste Mal, dass Abbas einen antisemitischen Skandal provoziert. 2016 hat er im EU-Parlament antijüdische Legenden verbreitet. Bei anderer Gelegenheit hat er den Juden die Schuld am Holocaust gegeben. Abbas scheint in seinen antisemitischen Bildern unverbesserlich zu sein.
Abbas' Distanzierung von sich selbst klingt so: Er habe auf die "Verbrechen am palästinensischen Volk" aufmerksam machen wollen. Die Einzigartigkeit des Holocaust stelle er jedoch nicht infrage. Macht das irgendwas besser?
Überhaupt nicht. Er hat das Vorgehen der israelischen Armee in den Palästinensergebieten mit "50 Holocausts" verglichen. Das ist eine klassische Holocaust-Relativierung. Israel ist kein perfekter Staat, er macht auch Fehler. Aber Israels Kampf gegen den palästinensischen Terror in die Nähe der Schoah zu rücken, ist ein blödsinniger antisemitischer Vergleich. Ich will das überhaupt nicht weiter kommentieren. Auch will ich von jemandem, der zum dritten oder vierten Mal etwas Antisemitisches oder Rassistisches sagt, hinterher keine 08/15-Entschuldigung hören.
Was war sein Kalkül?
Abbas ist nicht mehr der Jüngste. Er wird von vielen "schlafender Opa" genannt. Man wartet auf das Ende seiner Amtszeit, es gibt erbitterte Kämpfe um seine Nachfolge. Eigentlich ist er von innenpolitischen Zwängen befreit und hätte das Gegenteil tun können: eine Rede halten, die uns Palästinenser und Israelis zusammenbringt. Er wurde auf der Pressekonferenz mit Scholz nach dem Münchner Attentat ...
... als eine palästinensische Terrorgruppe bei den Olympischen Spielen 1972 elf israelische Athleten als Geiseln nahm und ermordete ...
... gefragt: Statt dieser antisemitischen Tirade hätte Abbas sich entschuldigen oder Reue zeigen können für das Attentat, um damit eine Brücke zu schaffen für eine Aussöhnung mit Israel. Für Israelis war das ein Trauma, es war der erste Angriff auf Juden auf deutschem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg. Zudem sehen einige Historiker Abbas mitverantwortlich für die Finanzierung des Anschlags. Doch stattdessen provozierte Abbas einen antisemitischen Eklat.
Warum, wenn er politisch nichts mehr zu gewinnen hat?
Weil er in den palästinensischen Narrativen steckt. Die Wahrheit ist, dass viele Palästinenser so denken. In Ramallah, Nablus oder eben auch in der palästinensischen Community in Deutschland ist diese Haltung Mainstream.
Sehen Sie keine Unterschiede zwischen palästinensischen Diskursen in Deutschland und denen, die etwa im Gazastreifen unter der Herrschaft der Hamas kursieren?
Doch. Man darf auch nicht verallgemeinern: Ich kenne auch Palästinenser, die Abbas widersprechen würden und den Genozid der Deutschen an den Juden als das ansehen, was es ist: einzigartig in der Menschheitsgeschichte. Aber diese kritischen Stimmen finden Sie nicht bei den palästinensischen Organisationen und ihren offiziellen Vertretern. Was an antisemitischer Hetze bei den einschlägigen pro-palästinensischen Demos deutschlandweit stattfindet, ist unsäglich und wird von den Organisationen mitgetragen. Es sind 24 Stunden vergangen seit Abbas' antisemitischer Hetze. Haben Sie einen palästinensischen Vertreter gehört, der protestierte? Ich auch nicht.
War es falsch, einen unverbesserlichen Antisemiten wie Abbas überhaupt ins Kanzleramt einzuladen?
Nein, besser wäre gewesen, Scholz hätte sofort eingegriffen. Denn was bedeutet die viel bemühte historische Verantwortung für die Naziverbrechen, wenn im Kanzleramt unwidersprochen der Holocaust relativiert wird? Scholz hätte Vorbild sein und zeigen können, wie man offenem Antisemitismus in Deutschland begegnet: durch sofortigen, energischen Widerspruch. Doch die diplomatische Kulisse war ihm wichtiger. Er hat die Chance vertan.
Wird Abbas für lange Zeit der letzte Palästinenserpräsident im Kanzleramt sein?
Vermutlich. Sein Verhalten hat das Misstrauen zwischen Deutschen und Palästinensern vertieft. Jedenfalls sind die beiden Völker mit dem gestrigen Tag nicht näher zusammengewachsen. Aber es kann ein Weckruf sein: Deutschland muss Klartext zu den Palästinensern sprechen und darf sich nicht diplomatisch wegducken, weil es die Auseinandersetzung scheut.
Klartext worüber?
Die Bundesregierung sollte das als Anlass nehmen, das Thema Antisemitismus auch auf politischer Ebene deutlich anzusprechen. Das fängt bei palästinensischen Schulbüchern an, die vor Antisemitismus nur so triefen, und hört bei den Terror-Renten auf, die Hinterbliebene von islamistischen Attentätern bekommen. Teilweise finanziert von den Hilfsgeldern der EU und Deutschlands. Das ist ein unerträglicher Zustand. Der frühere US-Präsident Trump ist ein rechtsradikaler Idiot, aber er hat etwas erkannt, als er den Palästinensern die Hilfszahlungen gestrichen hatte.
Sollte Scholz Trumps Beispiel folgen?
Zumindest spürbar umdenken. Die Bundesregierung sollte jeden Euro und Cent an die Palästinenser prüfen, ob das Geld in die Infrastruktur oder demokratische Bildung investiert wird. Oder ob es in dunkle Kanäle verschwindet und zum Beispiel für "Märtyrer-Renten" eingesetzt wird. Aber Deutschland scheut die Debatte. Deswegen hat Scholz auf der Pressekonferenz auch geschwiegen, als Abbas seine Hetze verbreitete. Scholz hat es gehört, wollte aber das ganz große Fass nicht aufmachen. Damit muss nun Schluss ein.
Wie stark belastet der grassierende Antisemitismus in großen Teilen der palästinensischen Gesellschaft das Verhältnis zu Israel?
Es ist ein großes Hindernis für einen Frieden. Vor Kurzem erst hatte der neue israelische Premier mit Abbas telefoniert. Nach Jahren der Funkstille war das ein Funken Hoffnung. Der ist nun wieder erloschen.
Premier Jair Lapid hat Abbas' Aussagen in Berlin als "moralische Schande und ungeheuerliche Lüge" bezeichnet.
Lapid hatte sich mit seiner Geste des guten Willens angreifbar gemacht. Die israelische Rechte hatte ihn dafür heftig kritisiert. Deren Argument lautet: Israel hat keine Partner auf palästinensischer Seite. Daher braucht man auch mit niemandem zu telefonieren. Abbas' jüngste Ausfälle geben diesen Kräften recht.
Die Äußerungen im Kanzleramt haben auch den inner-israelischen Streit um den richtigen Umgang mit den Palästinensern neu angefacht?
Richtig. Die Rechten können jetzt sagen: Schaut her, die Regierung will mit einem Holocaust-Relativierer zusammenarbeiten. Ich glaube nicht, dass Lapid ein nächstes Telefonat führen wird.
Sie sprachen von einem Weckruf im Kampf gegen Antisemitismus: Doch wie wahrscheinlich wird das Folgen haben? Der letzte Antisemitismus-Skandal fand gerade erst statt, auf der documenta in Kassel.
Die immer noch läuft und wo noch längst nicht alles aufgearbeitet wurde. Ob der Weckruf als solcher verstanden wird – da bin ich pessimistisch. Wir erleben eher das Gegenteil: Der Antisemitismus in Deutschland explodiert. Nicht nur in der palästinensischen Community, auch an deutschen Universitäten, unter Rechten und Verschwörungstheoretikern.
Inwiefern an den Universitäten?
In der linken, postkolonialen "Theorie" gibt es eine Debatte, die Israel als einen Apartheid-Staat begreift. Der Holocaust wird verstanden als eines von vielen Kolonialverbrechen. Israel ist in dieser Sichtweise die letzte Kolonie auf Erden. Der Widerstand der Palästinenser gegen die israelischen Kolonialherren erscheint damit als gerechter Kampf. Vieles davon ist nicht mal postkoloniale Theorie, eher Ideologie. In großen Weltentwürfen wird der globale Süden gegen den globalen Norden ausgespielt und die Palästinenser sind die armen Opfer der Weltmächte.
Wie stark sind solche Ansätze in deutschen Unis verankert?
Das Gerede vom Apartheid-Staat verbreitet sich immer mehr. Es wird verstärkt durch die sozialen Netzwerke, die wiederum die Diskussionskultur an den Unis prägen: Immer mehr Wissenschaftler publizieren für die eigene Bubble. Die Fakultäten werden homogener, man ist weniger bemüht, Stellen mit Forschern zu besetzen, die Gegenpositionen vertreten. Statt wissenschaftlichem Streit – im positiven Sinn – verengen sich die Diskursräume, gerade auch in der israelisch-palästinensischen Frage. Es ist besorgniserregend, wie sich die Fronten verhärten.
Herr Mansour, vielen Dank für das Gespräch.
- Interview mit Ahmad Mansour am 17. August 2022.