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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutschland und ein Trump-Sieg Auch das noch
Donald Trump hat gute Chancen, das Rennen um die US-Präsidentschaft für sich zu entscheiden. Deutschland drohen turbulente Zeiten.
Es war für viele Menschen in Deutschland ein Wechselbad der Gefühle. Ende 2020 gewann der aktuelle US-Präsident Joe Biden die Präsidentschaftswahl gegen Donald Trump. Daraufhin stürmte im Januar 2021 ein wütender Mob von Trump-Anhängern das Kapitol in Washington, bevor Biden bei seiner Amtseinführung den US-Verbündeten versprach, dass die Vereinigten Staaten international nun wieder ein verlässlicher Partner werden würden. Erleichterung, ein Schreckensmoment und dann das große Aufatmen.
Er – Donald Trump – war weg und sicherlich dachten nicht wenige in der deutschen Politik, dass nun wieder alles so werde, wie es vor dem Republikaner war. Eintracht, gegenseitiges Vertrauen. Unvergessen sind bis heute Trumps Anfeindungen gegenüber Deutschland, sein Protektionismus, sein Handelskrieg gegen Europa und das Infragestellen von westlichen Bündnissen wie der Nato.
Dementsprechend atmeten nach Trumps Wahlniederlage nicht wenige auf. Wer hätte gedacht, dass der ehemalige US-Präsident dann bei der Präsidentschaftswahl 2024 erneut antreten und tatsächlich kurz davor stehen würde, die aktuelle Vizepräsidentin Kamala Harris zu schlagen? In den Vereinigten Staaten gab es vielleicht viele Republikaner, die daran geglaubt haben, in Deutschland und Europa dagegen kaum jemanden.
Der Ausgang dieser Wahl ist für Deutschland enorm wichtig. In den vergangenen Wochen war auch in der Bundesrepublik die Sorge vor einer Trump-Rückkehr gewachsen – und damit auch die Erkenntnis, dass die deutsche Politik darauf nur schlecht vorbereitet ist. Im Gegenteil: Es regierte das Prinzip Hoffnung, dass der Trump-Sturm noch einmal vorbeizieht – und Deutschland verschont bleibt.
Merkel und Obama fürchteten Trump
Es gibt dieser Tage im politischen Berlin Anekdoten, die man sich im Kontext der US-Wahl öfter erzählt. Eine davon behandelt ein Abendessen des damaligen US-Präsidenten Barack Obama mit Angela Merkel im November 2016. Trump hatte gerade die US-Präsidentschaftswahl gegen Hillary Clinton gewonnen, und Obama kam noch einmal nach Berlin, um mit der damaligen Bundeskanzlerin im schicken Hotel Adlon zu essen.
Auch Trumps Wahl soll Merkel dazu bewogen haben, 2017 noch einmal bei der Bundestagswahl anzutreten. Das zumindest schreibt der Obama-Vertraute Ben Rhodes in seinem Buch "Die Welt, wie sie ist". Darin geht es um Obamas Jahre im Weißen Haus und um den Schock, den die Wahl Trumps international auslöste. Laut Rhodes wollte sich Merkel noch einmal im Amt bestätigen lassen, um die liberale internationale Ordnung zu verteidigen. Als die damalige Bundeskanzlerin und Obama sich das letzte Mal im Amt in Berlin sahen, soll Merkel eine einzelne Träne im Auge gehabt haben. Obama soll zu seinem Vertrauten gesagt haben: "Sie ist ganz allein."
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Ohne Zweifel verstanden Merkel und Obama sich ausgesprochen gut, eine Freundschaft, die bis heute anhält. Und in der Tat wurde Merkel die Aufgabe zuteil, das westliche Bündnis vor Trump zu schützen, die europäischen Staaten politisch zusammenzuhalten und mit demonstrativer Gelassenheit auf Trumps Angriffe auf den Multilateralismus zu reagieren.
Einfach war es nicht: Trump beschimpfte die Kanzlerin laut CNN wegen Deutschlands Beziehungen zu Russland als "dumm", und laut dem ehemaligen Sicherheitsberater von Trump, John Bolton, drückte der damalige Präsident Merkel beim G7-Gipfel in Kanada 2018 ein Hustenbonbon mit den Worten in die Hand: "Hier, Angela. Sag nicht noch einmal, ich würde dir nichts geben."
Die gegenseitige Antipathie und Trumps Vorbehalte gegenüber Deutschland waren klar erkennbar. Seine Amtszeit war ein ständiger Kampf, der die transatlantischen Beziehungen extrem beschädigte.
Der Ton Macht die Musik
Im Jahr 2024 ist die Lage zumindest in Teilen vergleichbar. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der aktuelle US-Präsident Joe Biden pflegen eine gute Beziehung, stimmen sich politisch in vielen Fragen ab. Beide brachten Vertrauen zurück in die deutsch-amerikanischen Beziehungen, obwohl Biden an Teilen des protektionistischen Wirtschaftskurses von Trump festhielt. Aber in der Diplomatie macht auch der Ton die Musik. Und der hat sich seit Bidens Amtsübernahme komplett verändert. Er ist nun freundschaftlich anstatt durch Beschimpfungen aus dem Weißen Haus über die sozialen Medien geprägt.
Doch wer schützt die liberale internationale Ordnung, wenn Trump nun wiedergewählt wird?
Die Welt befindet sich in einer empfindlichen Umbruchphase auf dem Weg zu einer neuen internationalen Ordnung. Chaos, große Kriege und Krisen bestimmen das Weltgeschehen: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, der Nahostkonflikt, Chinas Drohungen gegenüber Taiwan. Es scheint in der aktuellen Zeit fast unmöglich, dass jemand anderes als der US-Präsident das westliche Bündnis führen könnte. Und das würde auch in der Tat äußerst schwierig werden.
Scholz ist in einer anderen Ausgangslage als Merkel Anfang 2017 bei Trumps Amtseinführung. Sie war damals schon mehr als zwölf Jahre im Amt, hatte eine große internationale Reputation und genoss in den meisten westlichen Ländern großes Vertrauen. Für Scholz dagegen bedeutet eine Wiederwahl Trumps einen immensen außenpolitischen Kraftakt.
Hat Scholz die politische Kraft?
Die aktuelle Bundesregierung befindet sich in einer völlig anderen Situation als die Vorgängerregierung. Die Große Koalition unter Merkel war zwar gegen Ende nicht mehr wirklich beliebt, aber die Ampelregierung von Scholz steht kurz vor dem Kollaps. Außerdem konnte Merkel, trotz politischer Differenzen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, auf die deutsch-französische Achse bauen. Aktuell ist auch Macron nach der Wahlniederlage seiner Partei bei den Parlamentswahlen im Sommer innenpolitisch angeschlagen, und seine Beziehung zu Scholz ist laut Insidern noch angespannter, als es die zu Merkel damals war.
Die Folge von alledem: Scholz scheint momentan weder innen- noch außenpolitisch die Kraft zu haben, um Trump wirksam entgegentreten zu können. Dabei ist Deutschland neben Frankreich die führende Mittelmacht in der Europäischen Union.
Schuld daran haben aber nicht nur innen- und außenpolitische Krisen. Denn Deutschland hat es sich im politischen Fahrwasser unter Biden erneut gemütlich gemacht und die Experten ignoriert, die schon bei der Wahlniederlage von Trump warnten, dass sich in den Vereinigten Staaten etwas mit Blick auf Europa grundlegend verändert hat. Und dass daran auch Biden oder später Harris nichts mehr ändern können.
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Sie meinten damit vor allem den Unwillen der Amerikaner, weiterhin Weltpolizist spielen und die Sicherheit Europas mitfinanzieren zu wollen. Biden subventionierte auch die US-Wirtschaft massiv, zum Schaden seiner europäischen Partner. Der ehemalige Vizekanzler und heutige Chef der Atlantik-Brücke, Sigmar Gabriel, drückte es im Interview mit t-online kürzlich so aus: "Deutschland und Europa sind schlecht vorbereitet – und das nicht nur in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Militärisch sind wir weit davon entfernt, annähernd die Fähigkeiten der Vereinigten Staaten zu haben. Aber wir sind auch ökonomisch nicht vorbereitet."
Der ehemalige SPD-Chef sagte weiter: "Wenn es für Deutschland und für Europa im Handel mit den USA und letztlich auch mit China schwieriger wird, dann wäre es ja sinnvoll, nach Alternativen zu suchen. Aber auch da tut sich wenig bis gar nichts."
Deutschland ist schlecht vorbereitet
Der Befund von Gabriel ist richtig, aber es tut sich etwas, wenngleich nur sehr langsam. Deutschland versucht, seine Wirtschaft breiter aufzustellen, um sich etwa von China und vielleicht auch den USA unabhängiger zu machen. Dazu intensiviert die Bundesregierung ihre Beziehungen zu Indien oder anderen bevölkerungsreichen Ländern in Südostasien. Gleichzeitig liegen aber mögliche Freihandelsabkommen mit südamerikanischen Ländern seit zwei Jahrzehnten auf Eis.
Sicherheitspolitisch würde es ohne die Amerikaner für Deutschland noch düsterer aussehen. Denn auch hier verkündete Scholz zwar die Zeitenwende, aber die Rüstungsproduktion läuft selbst nach über zwei Jahren Ukraine-Krieg noch schleppend und die Bundeswehr ist laut gängiger Meinung von Militärexperten weit davon entfernt, verteidigungsfähig zu sein. Hinzu kommt, dass Kiews Truppen die Verteidigung gegen Russland nur weiterführen können, wenn die ukrainische Armee weiterhin Ausrüstung aus den USA bekommt. Und Trump sieht den Krieg als europäisches Problem.
Außenpolitisch wäre für Deutschland ein Sieg des Republikaners katastrophal, weil sich der Westen in dieser Krisenzeit eigentlich keine Schwächephase erlauben kann. Aber es muss irgendwie weitergehen. Somit dürfte für die Bundesregierung ein schwerer Aushandlungsprozess beginnen. Denn ohne die USA geht es für Deutschland und Europa in vielen zentralen Fragen nicht, und Trump wäre auch nicht für immer im Amt, selbst wenn vier Jahre eine lange Zeit sind.
Doch Merkel und Trump haben bei all den Uneinigkeiten Wege gefunden, um in wichtigen Fragen zu verhandeln – das wäre auch die Aufgabe des Bundeskanzlers in den kommenden Jahren. Einfacher als bei Merkel wird es allerdings nicht. Denn Trump ist in seinen Haltungen noch radikaler geworden. Doch bis zu einer möglichen Amtseinführung im Januar sind es zwei Monate und bis dahin könnte es noch einmal intensivere Gespräche geben. Zwischen Deutschland, Frankreich oder Großbritannien.
Deutschland tut gut darin, die eigenen Reihen in Europa zu schließen. Schotten dicht, bevor der Sturm kommt.
- spiegel.de: Merkel weinte, als Obama ging
- Gespräch mit Sigmar Gabriel
- Eigene Recherche