Deutschland und ein möglicher Trump-Sieg Auch das noch
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kamala Harris und Donald Trump liefern sich bei der US-Präsidentschaftswahl ein enges Rennen. Sollte der Republikaner gewinnen, drohen turbulente Zeiten für Deutschland. Doch auch bei einem Sieg der Demokraten wird vieles anders werden.
Es war für viele Menschen in Deutschland ein Wechselbad der Gefühle. Ende 2020 gewann der aktuelle US-Präsident Joe Biden die Präsidentschaftswahl gegen Donald Trump. Daraufhin stürmte im Januar ein wütender Mob von Trump-Anhängern das Kapitol in Washington, bevor Biden bei seiner Amtseinführung den US-Verbündeten versprach, dass die Vereinigten Staaten international nun wieder ein verlässlicher Partner werden würden. Erleichterung, ein Schreckensmoment und dann das große Aufatmen.
Er – Donald Trump – war weg und sicherlich dachten nicht wenige in der deutschen Politik, dass nun wieder alles so werde, wie es vor dem Republikaner war. Eintracht, gegenseitiges Vertrauen. Unvergessen sind bis heute Trumps Anfeindungen gegenüber Deutschland, sein Protektionismus, sein Handelskrieg gegen Europa und das Infragestellen von westlichen Bündnissen wie der Nato.
Dementsprechend atmeten nach Trumps Wahlniederlage nicht wenige auf. Wer hätte gedacht, dass der ehemalige US-Präsident bei der kommenden Präsidentschaftswahl am 5. November 2024 erneut antreten wird und er tatsächlich gute Chancen hat, die aktuelle Vizepräsidentin Kamala Harris zu schlagen? In den Vereinigten Staaten gab es vielleicht viele Republikaner, die daran geglaubt haben, in Deutschland und Europa dagegen kaum jemand.
Die Wahl in den USA am Dienstag ist für Deutschland enorm wichtig. Langsam wächst auch in der Bundesrepublik die Panik vor einer Trump-Rückkehr, denn sollte dieser politische Albtraum wahr werden, ist die deutsche Politik darauf schlecht vorbereitet. Im Gegenteil: Es regiert das Prinzip Hoffnung, dass der Trump-Sturm noch einmal vorbeizieht – und Deutschland verschont bleibt.
Merkel und Obama fürchteten Trump
Es gibt dieser Tage im politischen Berlin Anekdoten, die man sich mit Blick auf die bevorstehende US-Wahl öfter erzählt. Eine davon behandelt ein Abendessen des damaligen US-Präsidenten Barack Obama mit Angela Merkel im November 2016. Trump hatte gerade die US-Präsidentschaftswahl gegen Hillary Clinton gewonnen, und Obama kam noch einmal nach Berlin, um mit der damaligen Bundeskanzlerin im schicken Hotel Adlon zu essen.
Auch Trumps Wahl soll Merkel dazu bewogen haben, 2017 noch einmal bei der Bundestagswahl anzutreten. Das zumindest schreibt der Obama-Vertraute Ben Rhodes in seinem Buch "Die Welt, wie sie ist". Darin geht es um Obamas Jahre im Weißen Haus und um den Schock, den die Wahl Trumps international auslöste. Laut Rhodes wollte sich Merkel noch einmal im Amt bestätigen lassen, um die liberale internationale Ordnung zu verteidigen. Als die damalige Bundeskanzlerin und Obama sich das letzte Mal im Amt in Berlin sahen, soll Merkel eine einzelne Träne im Auge gehabt haben. Obama soll zu seinem Vertrauten gesagt haben: "Sie ist ganz allein."
Embed
Ohne Zweifel verstanden Merkel und Obama sich ausgesprochen gut, eine Freundschaft, die bis heute anhält. Und in der Tat fand sich Merkel eben in dieser Rolle wieder, das westliche Bündnis vor Trump zu schützen, vor allem die europäischen Staaten politisch zusammenzuhalten und mit demonstrativer Gelassenheit auf Trumps Angriffe auf den Multilateralismus zu reagieren.
Einfach war es nicht: Trump beschimpfte die Kanzlerin laut CNN wegen Deutschlands Beziehungen zu Russland als "dumm" und laut dem ehemaligen Sicherheitsberater von Trump, John Bolton, drückte der damalige Präsident Merkel beim G7-Gipfel in Kanada 2018 ein Hustenbonbon mit den Worten in die Hand: "Hier, Angela. Sag nicht noch einmal, ich würde dir nichts geben."
Die gegenseitige Antipathie und Trumps Vorbehalte gegenüber Deutschland waren klar erkennbar. Seine Amtszeit war ein ständiger Kampf, der die transatlantischen Beziehungen extrem beschädigte.
Der Ton Macht die Musik
Im Jahr 2024 ist die Lage zumindest in Teilen vergleichbar. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der aktuelle US-Präsident Joe Biden haben eine gute Beziehung, stimmen sich politisch in vielen Fragen ab. Beide brachten Vertrauen zurück in die deutsch-amerikanischen Beziehungen, obwohl Biden am protektionistischen Wirtschaftskurs von Trump teilweise festhielt. Aber in der Diplomatie macht auch der Ton die Musik. Und der hat sich seit Bidens Amtsübernahme komplett verändert. Er ist freundschaftlich und eben nicht durch Beschimpfungen aus dem Weißen Haus über die sozialen Medien geprägt.
Doch wer schützt nun die liberale internationale Ordnung, sollte Trump erneut am 5. November gewählt werden?
Die Welt befindet sich in einer empfindlichen Umbruchphase auf dem Weg zu einer neuen internationalen Ordnung. Chaos, diverse große Kriege und Krisen bestimmen das Weltgeschehen. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, der Nahostkonflikt oder Chinas Drohungen gegenüber Taiwan. Es scheint in der aktuellen Zeit fast unmöglich, dass jemand anderes als der US-Präsident das westliche Bündnis führen könnte. Und das würde auch in der Tat äußerst schwierig werden.
Scholz ist in einer anderen Situation als Merkel Anfang 2017 bei Trumps Amtseinführung. Sie war damals schon mehr als zwölf Jahre im Amt, hatte eine große internationale Reputation und genoss in den meisten westlichen Ländern großes Vertrauen. Für Scholz dagegen würde eine Wiederwahl Trumps ein immenser außenpolitischer Kraftakt werden.
Hat Scholz die politische Kraft?
Dabei befindet sich die aktuelle Bundesregierung in einer völlig anderen Situation als die Vorgängerregierung. Die Große Koalition unter Merkel war zwar gegen Ende nicht mehr wirklich beliebt, aber die Ampelregierung von Scholz steht schon länger kurz vor dem Kollaps. Außerdem konnte Merkel, trotz politischer Differenzen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, auf die deutsch-französische Achse bauen. Aktuell ist auch Macron innenpolitisch nach der Wahlniederlage seiner Partei bei den Parlamentswahlen im Sommer angeschlagen, und die Beziehung von Macron zu Scholz ist laut Insidern noch angespannter als die zu Merkel.
Die Folge aus all dem: Scholz scheint momentan weder innen- noch außenpolitisch die Kraft zu haben, um Trump wirklich wirksam entgegentreten zu können. Dabei ist Deutschland neben Frankreich die führende Mittelmacht in der Europäischen Union.
Schuld daran haben aber nicht nur innen- und außenpolitische Krisen. Denn Deutschland hat es sich im politischen Fahrwasser unter Biden erneut gemütlich gemacht und die Experten ignoriert, die schon bei der Wahlniederlage von Trump warnten, dass sich in den Vereinigten Staaten etwas mit Blick auf Europa grundlegend verändert hat und dass auch Biden oder später Harris daran nichts mehr ändern würden können.
Sie meinten damit vor allem den Unwillen der Amerikaner, weiterhin Weltpolizist spielen und die Sicherheit Europas mitfinanzieren zu wollen. Aber auch Biden subventionierte die US-Wirtschaft massiv, zum Schaden seiner europäischen Partner. Der ehemalige Vizekanzler und heutiger Chef der Atlantik-Brücke drückte es im Interview mit t-online kürzlich so aus: "Deutschland und Europa sind schlecht vorbereitet – und das nicht nur in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Militärisch sind wir weit davon entfernt, annähernd die Fähigkeiten der Vereinigten Staaten zu haben. Aber wir sind auch ökonomisch nicht vorbereitet."
Der ehemalige SPD-Chef weiter: "Wenn es für Deutschland und für Europa im Handel mit den USA und letztlich auch mit China schwieriger wird, dann wäre es ja sinnvoll, nach Alternativen zu suchen. Aber auch da tut sich wenig bis gar nichts."
Deutschland ist schlecht vorbereitet
Der Befund von Gabriel ist richtig, aber es tut sich etwas, wenngleich nur sehr langsam. Deutschland versucht, seine Wirtschaft breiter aufzustellen, um sich etwa von China und vielleicht auch den USA unabhängiger zu machen. Dazu intensiviert die Bundesregierung ihre Beziehungen zu Indien oder anderen bevölkerungsreichen Ländern in Südostasien. Gleichzeitig liegen aber mögliche Freihandelsabkommen mit südamerikanischen Ländern seit zwei Jahrzehnten auf Eis.
Sicherheitspolitisch würde es ohne die Amerikaner für Deutschland noch düsterer aussehen. Denn auch hier verkündete Scholz zwar die Zeitenwende, aber die Rüstungsproduktion läuft selbst nach über zwei Jahren Ukraine-Krieg noch schleppend und die Bundeswehr ist laut gängiger Meinung von Militärexperten weit davon entfernt, verteidigungsfähig zu sein. Hinzu kommt, dass Kiews Truppen die Verteidigung gegen Russland nur weiterführen können, wenn die ukrainische Armee weiterhin Ausrüstung aus den USA bekommt. Und Trump sieht den Krieg als europäisches Problem.
Außenpolitisch wäre für Deutschland ein Sieg des Republikaners katastrophal, weil sich der Westen in dieser Krisenzeit eigentlich keine Schwächephase erlauben kann. Aber es muss irgendwie weitergehen. Somit dürfte für die Bundesregierung in diesem Fall vor allem ein schwerer Aushandlungsprozess beginnen. Ohne die USA geht es für Deutschland und Europa in vielen zentralen Fragen nicht, und Trump wäre auch nur vier Jahre im Amt, wenngleich sich diese eine lange Zeit ziehen können. Aber auch Merkel und Trump haben bei all den Uneinigkeiten Wege gefunden, um in wichtigen Fragen zu verhandeln – und das wäre dann auch die Aufgabe eines Bundeskanzlers in den kommenden Jahren.
Einfacher wird es nicht, denn Trump ist in seinen Haltungen durchaus noch radikaler geworden. Doch bis zu einer möglichen Amtseinführung im Januar sind es zwei Monate und bis dahin könnte es noch einmal intensivere Gespräche geben. Zwischen Deutschland, Frankreich oder Großbritannien. Deutschland tut gut darin, die eigenen Reihen in Europa zu schließen. Schotten dicht, bevor der Sturm kommt.
- spiegel.de: Merkel weinte, als Obama ging
- Gespräch mit Sigmar Gabriel
- Eigene Recherche