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Harris, Scholz oder Trump: Joe Bidens große Ukraine-Übergabe


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Die USA, Deutschland und der Krieg
Biden bereitet die Übergabe der Ukraine vor


Aktualisiert am 27.09.2024Lesedauer: 8 Min.
Zeit für eine schwere Übergabe an Olaf Scholz? Joe Biden muss seine Ukraine-Verantwortung bald abgeben.Vergrößern des Bildes
Zeit für eine schwere Übergabe an Olaf Scholz? Joe Biden muss seine Ukraine-Verantwortung bald abgeben. (Quelle: IMAGO/VANNICELLI/GRILLOTTI)
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Nicht nur für die Amerikaner ist die Wahl im November eine Zäsur. Für die Ukraine und auch für Deutschland könnte mit Trump eine neue Zeitrechnung beginnen. Wie sich Washington, Kiew und Berlin auf einen Wechsel vorbereiten.

Bastian Brauns berichtet aus Washington
Patrick Diekmann berichtet aus New York
Sara Sievert berichtet aus Berlin

Während die Menschen in der Ukraine in ihren inzwischen dritten Kriegswinter gehen müssen, könnte sich die politische Lage in der Welt womöglich schon bald schwerwiegend verändern. Das Ergebnis der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen am 5. November würde sich bei einem Sieg Donald Trumps sehr wahrscheinlich auf den laufenden Konflikt mit Russland auswirken. Das hätte Folgen auch hinsichtlich der Rollen der wichtigsten Verbündeten der Ukraine: nämlich den Vereinigten Staaten und Deutschland.

In Washington und Berlin laufen darum schon lange die Vorbereitungen für einen etwaigen "Wachwechsel". Der diesjährige Jubiläums-Gipfel der Nato in Washington war dafür schon ein wichtiger Termin. Dort wurde sichergestellt, dass die große Allianz vollkommen geschlossen hinter ihrer Unterstützung für die Ukraine steht.

Die bange Frage dabei war immer: Was passiert mit der Ukraine, wenn die Biden-Regierung, seit Putins Einmarsch das Bollwerk hinter der Abwehrschlacht, möglicherweise die Macht wieder an Trump abgeben muss? Wer übernimmt dann die Hauptverantwortung? Oder zerbricht dann das Bündnis?

Biden bereitet die Ukraine-Übergabe vor

Das intensive Engagement von US-Präsident Joe Biden gegen Putins Angriffskrieg gehört trotz Zögerlichkeiten zu seinem wohl größten sicherheits- und außenpolitischen Vermächtnis. Dank ihm und seinem geschmiedeten Bündnis ist Kiew geschunden, aber noch immer frei. Dass Biden diese Aufgabe jetzt als gewissermaßen letzte Amtshandlung aber weitergeben will, zeigt seine Ankündigung von diesem Donnerstag.

Der US-Präsident möchte eine bedeutende Ukraine-Konferenz in Deutschland abhalten. "Ich werde im nächsten Monat ein Führungstreffen der 'Ukraine Defense Contact Group' in Deutschland einberufen, um die Bemühungen der mehr als 50 Länder zu koordinieren, die die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen die russische Aggression unterstützen", teilte Biden in Washington mit.

Zwar sind die regelmäßigen Treffen der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe in Deutschland seit bald drei Jahren ohnehin eine wichtige Plattform für die strategischen Diskussionen zu Militärhilfen, humanitäre Unterstützung und für die übergeordnete Richtung der internationalen Reaktion auf den Krieg. Angesichts des ersten Präsidentschaftsbesuchs von Joe Biden in Berlin bekommt der Termin nun aber vor dem Ende seiner Amtszeit eine ganz besondere Bedeutung.

Will Joe Biden womöglich ausgerechnet dem deutschen Bundeskanzler die Bürde der Führung übergeben? Im Rahmen der Vollversammlung bei den Vereinten Nationen in New York trafen sich Olaf Scholz und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bereits bilateral und besprachen zumindest die nun vor ihnen liegenden nächsten Schritte.

Deutschlands Rolle: Das Dilemma von Bundeskanzler Scholz

In diesen Tagen werden Erinnerungen wach an den politischen Abgang von Barack Obama. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel avancierte angesichts der Präsidentschaft Trumps zur verbliebenen "Anführerin der freien Welt". Sie kandidierte erneut und wurde wohl gegen ihren ursprünglichen Plan zum vierten Mal zur deutschen Kanzlerin gewählt. Nur war damals Wladimir Putin nicht in der ganzen Ukraine eingefallen. Für Olaf Scholz wäre diese Rolle heute ungleich schwerer auszufüllen.

Klar ist: Sollte Trump die Militär- und Finanzhilfen einstellen oder gar ein Kriegsende direkt mit Putin über die Ukraine hinweg verhandeln wollen, könnte Deutschland das Fehlen der USA niemals wettmachen. Auch nicht im Verbund mit den anderen mehr als 50 Staaten. Zumal der andauernde Krieg nicht nur die USA, sondern auch die deutsche Politik zunehmend polarisiert hat. Putins Krieg und seine Folgen haben den weiteren fruchtbaren Boden für populistische Parteien wie die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bereitet. Ähnlich sieht es in anderen Ländern Europas aus.

Trotzdem: Dieses Erstarken der Extreme, die Schwäche der Regierungskoalition aus SPD, FDP und Grünen und eine drohende Wiederwahl von Trump könnten eine entscheidende Motivation sein, eine andere Art von deutscher Führung anzustreben. Womöglich könnte endlich verhandelt werden. Für Scholz könnte ein rechtzeitiger Friedensschluss, zumindest aber das Bemühen darum zu einem Schlüsselmoment der eigenen Kanzlerschaft und einer erneuten Kandidatur werden. Ein "Friedenskanzler" Scholz könnte nicht nur die eigene Partei überzeugen, sondern womöglich auch die derzeitigen Erfolge von BSW und AfD wieder eindampfen.

Telefonat mit Putin, wenn es "sinnvoll" ist

Olaf Scholz hat nie ausgeschlossen, wieder mit Wladimir Putin zu reden. Sein Sprecher wiederholte erst jüngst, der Kanzler habe "keinerlei Scheu, ein Telefonat mit dem russischen Präsidenten darüber zu führen", wenn er denn den Zeitpunkt für "sinnvoll" erachte. Die Frage ist: Ob dieser Zeitpunkt womöglich jetzt gekommen sein könnte. Scholz strebt ohnehin eine Friedenskonferenz an, an der auch Russland teilnehmen soll. Für den Bundeskanzler gibt es nur eine Einschränkung: Das gehe nicht, "wenn derjenige, der da sitzen soll, gleichzeitig sagt 'Ich greife aber immer weiter an'", sagte Scholz vor zwei Wochen bei einer Parteiveranstaltung.

Ob aber ausgerechnet der Kanzler in der Lage ist, Friedensverhandlungen zu initiieren, ist fraglich. Olaf Scholz trat in der Vergangenheit zwar immer weniger scharf gegenüber Russland auf als etwa seine grüne Außenministerin Annalena Baerbock. Das könnte ihm also einerseits Dialogmöglichkeiten mit Putin eröffnen. Andererseits ist Deutschland aus russischer Sicht fester denn je im westlichen Bündnis und an der Seite der USA verankert und keineswegs eine neutrale Verhandlungsmacht.

Doch auch der Vorschlag des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, den er dem US-Präsidenten am Donnerstag in Washington als "Siegesplan" für einen Frieden vorgestellt hat, zeigt, dass sich ein Zeitfenster für diplomatische Bewegungen womöglich bald öffnet.

Selenskyjs "Siegesplan" zielt darauf ab, die Position der Ukraine vor möglichen Verhandlungen mit Russland zu stärken, sprich Verhandlungsmasse zu erzeugen, die nicht in Gebietsabtretungen münden. Zu den Schlüsselaspekten dieses Plans gehören unter anderem:

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  • Beschleunigte Nato-Mitgliedschaft. Die Ukraine strebt an, ihren Beitritt zur Nato zu beschleunigen, um Sicherheitsgarantien angesichts der laufenden Bedrohungen zu erhalten.
  • Westliche Militärhilfe: Selenskyj fordert mehr und weniger restriktive militärische Unterstützung, insbesondere für Langstreckenraketen, die es der Ukraine ermöglichen würden, tiefer in russisches Gebiet vorzustoßen.
  • Jüngste Eroberungen als Hebel: Die militärischen Eroberungen auf russischem Boden sollen den Kreml zu Verhandlungen über die besetzten Gebiete auf ukrainischem Boden bewegen.

Der weitere Weg könnte dann im Oktober über Deutschland und das dortige hochrangige Treffen mit Joe Biden, Olaf Scholz und weiteren Staats- und Regierungschefs führen. Das Signal dabei ist klar: Der Fokus der Führung soll künftig stärker auf Europa selbst liegen, mit oder ohne Trump als nächsten US-Präsidenten.

In Wahrheit soll der Harris-Plan gelingen

Die Biden-Regierung gibt den eigentlichen Wunschplan für eine Wachablösung zugleich nicht auf: einen Wahlsieg der Vizepräsidentin Kamala Harris am 5. November. Um Siegesgewissheit auszustrahlen, traf darum nicht nur Joe Biden seinen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag im Oval Office. Gleich im Anschluss traf der ukrainische Präsident auch mit Harris zusammen, gleich neben dem Weißen Haus, im Eisenhower Building, wo die Vizepräsidentin über ein eigenes "Ceremonial Office" verfügt. Vor Reportern gaben beide deutlich längere Erklärungen ab als zuvor Joe Biden im Weißen Haus.

Es war eine Symbolik der Stärke, aber auch klare Wahlkampfunterstützung. Denn Kamala Harris wollte sich an Selenskyjs Seite als fähige, künftige "Commander in Chief" und bewanderte Außenpolitikerin empfehlen. Darum betonte sie auch gleich, dass man sich ja bereits zum siebten Mal treffe. Und Harris schlug deutliche Worte in Richtung ihrer politischen Gegner Donald Trump und J. D. Vance an. "Um es ganz offen zu sagen, Herr Präsident, es gibt in meinem Land einige, die die Ukraine lieber zwingen würden, große Teile ihres souveränen Territoriums aufzugeben", sagte sie.

Diese Vorschläge seien "die gleichen wie die von Putin", so Harris weiter. Und künftige Neutralität und Verzicht auf Sicherheitsbeziehungen mit EU oder Nato seien kein Vorschlag für Frieden. "Es sind vielmehr Vorschläge für eine Kapitulation, was gefährlich und inakzeptabel ist", sagte Harris. Und einen weiteren Appell richtete die Vizepräsidentin implizit an die Republikaner: "Die Geschichte erinnert uns so deutlich daran, dass die Vereinigten Staaten sich nicht vom Rest der Welt isolieren können und sollten", sagte Harris. Die "Führungsrolle der USA" sei in der Welt unverzichtbar. Die Hilfen für die Ukraine seien daher keine Wohltätigkeitsveranstaltung, sondern dienten dem geopolitischen Interesse Amerikas.

Trumps jüngste Äußerungen bereiten Ängste

Einen größeren Kontrast zu ihrem republikanischen Gegenkandidaten konnte es gar nicht geben. Donald Trump hatte in dieser Woche bei einer Wahlkampfveranstaltung in North Carolina Sätze von sich gegeben, die für Selenskyj und die Ukrainer wie ein Schlag ins Gesicht wirken mussten. Denn die hätten schon "ein bisschen nachgeben" sollen vorab, um Moskau zu beschwichtigen und einen blutigen Konflikt mit Putin, der "nicht hätte passieren müssen", zu vermeiden, so Trump.

"Wir geben weiterhin Milliarden von Dollar an einen Mann, der sich weigert, einen Deal einzugehen ... Selenskyj", wetterte Trump in einer langen Tirade. Dann fügte er hinzu, dass "jeder Deal, selbst der schlechteste, besser gewesen wäre als das, was wir jetzt haben." Schließlich behauptete er vor seinen jubelnden Anhängern: "Die Ukraine gibt es nicht mehr. Das ist nicht mehr die Ukraine. Man kann diese Städte und Dörfer nicht ersetzen, und man kann die toten Menschen nicht ersetzen, so viele tote Menschen", so Trump. Hätten die Ukrainer zu Beginn nachgegeben, könnten noch alle am Leben sein.

Trumps Äußerungen und Ansichten spiegelten eine Perspektive wider, die noch einmal deutlich machte, welche erhebliche Auswirkungen seine Wiederwahl auf die US-Politik gegenüber der Ukraine haben könnte. Denn auch dessen potenzieller Vizepräsident, J. D. Vance, plädiert für territoriale Zugeständnisse, um den Krieg zu beenden. Das alarmiert die Ukraine und ihre Verbündeten, da solche Vorschläge die internationalen Normen untergraben und in Europa als Ermutigung für weitere Aggressionen seitens Russlands gesehen werden. Die Vorstellung, ukrainisches Territorium zu opfern, erinnert nicht zuletzt an historische Parallelen zu Adolf Hitler vor dem Zweiten Weltkrieg, als das vermeintliche Beschwichtigen des Aggressors zu noch größeren Konflikten führte.

Trump will Selenskyj plötzlich treffen

Eine Überraschung gab es schließlich aber doch und vielleicht besteht darin auch eine erste Chance für eine Entwicklung, an die bislang kaum jemand zu denken wagt. Vielleicht versteht sogar Donald Trump im Falle eines Wahlsiegs, wie sehr insbesondere die amerikanische Rüstungsindustrie von der Unterstützung der Ukraine profitiert. Der Präsidentschaftskandidat scheint jedenfalls gesprächsbereit zu sein. Trump teilte Reportern am Donnerstag mit, dass er sich am Freitagmorgen (Ortszeit) mit dem ukrainischen Präsidenten in New York treffen werde.

"Präsident Selenskyj hat um ein Treffen mit mir gebeten, und ich werde mich morgen Früh gegen 9.45 Uhr im Trump Tower mit ihm treffen", sagte Trump während eines Statements im Trump Tower. Zuvor hatte Trump schon auf seinem sozialen Netzwerk "Truth Social" auf kryptische Weise von einer scheinbar privaten Kommunikation mit dem stellvertretenden ukrainischen Botschafter und einem seiner ehemaligen Berater geschrieben. Demnach habe Selenskyj darum gebeten, eine Nachricht mit der Bitte um ein Treffen mit Trump weiterzuleiten.

Dieser amerikanische Wahlkampf und sein Ergebnis bleibt ein einschneidendes Erlebnis für die Ukraine, ihre Verbündeten und die ganze Welt. Wie der "Wachwechsel" am Ende aussehen wird, kann sich erst nach dem 5. November zeigen. Wird Biden die Aufgabe einfach seiner Nachfolgerin Kamala Harris übertragen können? Oder zwingt eine rücksichtslose Trump-Präsidentschaft den deutschen Bundeskanzler und die europäischen Partner zu selbstständigem Handeln, um die Souveränität der Ukraine und die ihrer eigenen Länder vor Russland zu schützen? Oder besteht sogar die Chance, dass Donald Trump ein Einsehen hat?

Eine weitere Hoffnung hegt insbesondere der deutsche Bundeskanzler, der um seine begrenzten Möglichkeiten weiß: Auch unter einer Präsidentschaft Trumps könnte ein noch immer einflussreicher Teil der Republikaner, die Putin die Stirn bieten wollen, über den Senat, das Repräsentantenhaus und die Gouverneure in den US-Bundesstaaten Druck auf Trump aufbauen.

Republikanische Senatoren wie der eng mit Trump verbundene Lindsey Graham etwa fordern zumindest regelmäßig auch Joe Biden zu härterem Handeln gegen Putin auf. Am Tag von Selenskyjs Besuch in Washington sagte Graham: "Wenn es keine Änderung der Militärstrategie gibt, um Druck auf Putin auszuüben, wäre das meiner Meinung nach der größte Fehler, den Präsident Biden machen könnte."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen in Berlin, Washington und New York
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