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Erstaunliches Interview: Wie Biden über seinen "Freund" wirklich spricht


Erstaunliches Interview
Wie Biden über seinen "Freund" wirklich spricht


Aktualisiert am 05.06.2024Lesedauer: 5 Min.
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US-Präsident Joe Biden Ende Mai 2024 während einer Rede im Weißen Haus.Vergrößern des Bildes
US-Präsident Joe Biden Ende Mai 2024 während einer Rede im Weißen Haus. (Quelle: Kevin Dietsch/Getty Images)

US-Präsident Joe Biden lässt sich in einem Interview zu einem bemerkenswerten Satz hinreißen. Dahinter steckt ein schwerer Konflikt mit einem wichtigen Verbündeten.

Seit nunmehr acht Monaten bekämpft Israel die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen. Der schmale Landstrich gleicht einem Trümmerfeld. Tausende Menschen sind dort gestorben, ein Ende des Krieges oder auch nur ein Waffenstillstand ist immer noch nicht in Sicht. Erst am Montag hatte die EU die Kriegsparteien dazu aufgefordert, die Waffen endlich schweigen zu lassen. Ohne Erfolg.

Warum aber konnte Israels Regierung sich bislang nicht mit der Hamas auf einen Deal einigen? Missbraucht Benjamin Netanjahu den Krieg gegen die Terrororganisation etwa für seine politischen Zwecke? Es ist ein ungeheurer Verdacht, der im Raum steht. Angedeutet wird er nun von niemand geringerem als dem US-Präsidenten Joe Biden.

In einem am Dienstag erschienenen Interview mit dem "Time Magazin" wollte Biden auf eine entsprechende Frage zunächst nicht antworten. "Ich werde das nicht kommentieren", sagte er. Dann platzte es doch aus ihm heraus. "Es gibt für die Leute allen Grund, diese Schlussfolgerung zu ziehen", so der 81-Jährige.

Hat Biden ein "Gaza-Problem"?

Das Zitat wurde vom "Time Magazine" prominent verbreitet, US-Medien griffen es sogleich auf. Später am Dienstag wurde Biden dann bei einem Auftritt in Washington auf diese Aussage angesprochen, da ruderte der US-Präsident plötzlich zurück. Ob Netanjahu mit dem Krieg ein politisches Spiel treibe, wollte ein Reporter wissen: "Ich glaube nicht. Er versucht, ein ernsthaftes Problem zu lösen, das er hat", sagte Biden.

Ein ernsthaftes Problem hat auch Biden selbst. In amerikanischen Medien wird es das "Gaza-Problem" genannt, inzwischen könnte man aber auch von einem Netanjahu-Problem sprechen.

Spätestens seit den Primaries im Februar, den Vorwahlen zum Präsidentschaftswahlkampf, steht Biden für seinen außenpolitischen Kurs in Sachen Israel in der Kritik. Damals verweigerten etliche demokratische Wähler dem Mann im Weißen Haus schon ihre Stimme. Sie sind unzufrieden darüber, dass die US-Regierung Israel unverbrüchlich die Treue hält – und damit auch das militärische Vorgehen der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen stützt.

Dient der Krieg dazu, Netanjahu im Amt zu halten?

Die Art und Weise, wie Biden den Gaza-Konflikt händelt, stößt vielen Amerikanern bitter auf. Inzwischen zeigen sich nahezu zwei Drittel der US-Bürger mit Bidens Gaza-Politik unzufrieden und es gibt nicht wenige Kommentatoren in Washington, die seine Wiederwahl im November ernsthaft gefährdet sehen, sollte es im Gazastreifen nicht bald zu einem Waffenstillstand kommen.

Interessant ist, was Biden in dem Interview noch sagt. Nachzulesen ist das in dem vollständigen Transkript, das "Time" ebenfalls veröffentlichte. Denn der US-Präsident deutet auch ein mögliches Motiv Netanjahus an, den Krieg in die Länge zu ziehen: dessen schwierige innenpolitische Lage. Da sind zum einen die Korruptionsprozesse gegen Netanjahu, vor allem aber die Proteste gegen dessen umstrittene Justizreform.

Vor dem schrecklichen Terroranschlag des 7. Oktober 2023 gingen Hunderttausende Israelis gegen Netanjahu auf die Straße und forderten dessen Rücktritt. Selbst der Widerstand innerhalb des israelischen Militärs gegen Israels starken Mann sei zu jener Zeit groß gewesen, sagt Biden in dem "Time"-Gespräch.

Dann ereigneten sich die tödlichen Terrorattacken der Hamas und Israels Soldaten rückten im Gazastreifen ein – Netanjahus umstrittene Reformpläne rückten mit einem Schlag in den Hintergrund. Das Land befand sich im Krieg, seine Bürger und das Militär versammelten sich zunächst hinter ihrer Regierung, auch hinter dem umstrittenen Ministerpräsidenten.

Die Proteste gegen "Bibi", wie Biden den israelischen Regierungschef nennt, wurden von der Außenpolitik verdrängt. Der US-Präsident schlussfolgert in dem Gespräch mit dem "Time Magazine" daher: "Und so ist es eine innenpolitische Debatte [geblieben], die keine Konsequenzen hatte."

Intern soll Biden ihn ein "Arschloch" nennen

Der Demokrat Biden hatte zuletzt immer wieder davon gesprochen, dass er in persönlichen Gesprächen mit Netanjahu auch deutliche Kritik an Israels Gaza-Krieg geübt habe. In den Telefonaten zwischen den beiden Regierungschefs soll es teilweise zu hitzigen Wortgefechten gekommen sein. Intern soll Biden seinen "persönlichen Freund" (Biden über Netanjahu) mehrfach als "Arschloch" bezeichnet haben, wie etwa der TV-Sender NBC News berichtete. Wohl auch deshalb, weil Netanjahu trotz aller Warnungen aus Washington nicht von seiner Politik abrückt.

Unterdessen geht der zerstörerische Militäreinsatz im Gazastreifen nicht nur weiter, er nahm zuletzt mit dem Angriff auf Rafah sogar an Intensität zu. Dabei hatte Biden auch hier den israelischen Verbündeten deutlich gemacht, dass es eine rote Linie gebe, wenn israelische Truppen in Rafah einmarschierten.

Netanjahu schert das offenbar nicht. Er hat erst vor wenigen Tagen verlauten lassen, dass der Krieg in Gaza womöglich noch bis Ende des Jahres andauern wird. Sein Ziel lautet: die vollständige Zerstörung der Hamas und die Befreiung der verbliebenen Geiseln.

Doch von den Geiseln können immer mehr nur noch tot geborgen werden. Niemand weiß, wie viele von den inzwischen noch 120 Gefangenen in den Händen der Hamas noch am Leben sind. Erst am Montag erklärte ein israelischer Regierungssprecher, dass wahrscheinlich ein Drittel von ihnen bereits tot sein könnten.

Rechtsextreme in der Regierung drohen Netanjahu

Sicher ist hingegen, dass Netanjahu seinen Sturz als Regierungschef riskiert, wenn er den Krieg vorzeitig beendet. Vonseiten seiner ultrarechten Koalitionspartner kommen regelmäßig Drohungen, dass die Regierung platzt, sollte er einen Deal mit der Hamas eingehen. Und so verhandeln die internationalen Vermittler, unter ihnen die USA, ohne dass es nennenswerte Fortschritte in der Gaza-Frage gibt.

Erst am Freitag hatte Biden die Details eines Entwurfs für einen Waffenstillstand vorgestellt, dem Israel bereits zugestimmt hatte. Doch dann schaltete sich unter anderem Israels rechtsextremer Finanzminister Bezalel Smotrich ein und drohte bei X offen damit, die Regierung zu verlassen, sollte Netanjahu den Deal annehmen.

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Der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gvir teilte mit, ein Abkommen mit der Hamas bedeute einen "Sieg für den Terrorismus" und eine "totale Niederlage" Israels. Ben-Gvir ging sogar noch weiter. Er forderte bei X eine Ausweitung des Militäreinsatzes auf den Norden Israels: "Alle Hisbollah-Hochburgen müssen niedergebrannt und zerstört werden. Krieg!", schrieb er.

Netanjahu: Korruptionsprozess läuft weiter

Netanjahu sitzt also nach wie vor in der Zwickmühle. Nur dass ihm innenpolitisch nun nicht mehr die Justizreform und die Prozesse wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit zum Verhängnis werden könnten, sondern seine rechtsextremen Koalitionspartner.

Auch für Biden wird der Wind wegen des Gaza-Kriegs innenpolitisch zunehmend rauer. Im Interview mit "Time"-Chefredakteur Sam Jacobs und Washington-Büroleiter Massimo Calabresi zog der US-Präsident sogar den Vergleich zum Afghanistan-Einsatz der Amerikaner, um die Aussichtslosigkeit von Netanjahus Unterfangen zu verdeutlichen. Israel begehe gerade denselben Fehler wie die USA, als sie Afghanistan von der Herrschaft der IS-Terroristen und der Taliban befreien wollten.

"Das führt nur zu einem unendlichen Krieg", so Biden. "Macht nicht den gleichen Fehler, den wir gemacht haben", habe er Netanjahu gesagt: "Doch sie machen den gleichen Fehler."

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