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Rede zur Lage der Nation: Damit hat bei Joe Biden wohl niemand gerechnet


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Biden-Rede
Damit haben die Wenigsten gerechnet


Aktualisiert am 08.03.2024Lesedauer: 8 Min.
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Joe Biden: Die 68-minütige Rede "State of the Union" am Donnerstagabend wurde live im Fernsehen übertragen. (Quelle: reuters)

Für Joe Biden war es einer der wichtigsten Momente seiner Karriere. Bei der Rede zur Lage der Nation schaltet er gleich auf Attacke. Am Ende passiert etwas Erstaunliches.

In der Regel neigen Strippenzieher in der Politik nicht dazu, übergroße Erwartungen zu schüren. Vor der Rede zur Lage der Nation war das anders. Da überboten sich die Experten nahezu stündlich mit Superlativen zur Bedeutung des Auftritts von US-Präsident Joe Biden. "Es steht viel auf dem Spiel", räumte selbst Bidens Stabschef im Weißen Haus, Jeff Zients, ein. "Die Reden zur Lage der Nation sind immer wichtig, aber diese Rede ist ganz besonders wichtig", sagte er dem US-Magazin "Politico".

Eine Sache machte Bidens Auftritt zu etwas Besonderem. Denn laut Politikexperten ging es nicht nur um das, was der Präsident sagte, sondern vor allem darum, wie er es sagte. Wie würde er wirken? Würde er sich versprechen, einen Namen verwechseln oder gar schon auf dem Weg zum Rednerpult stolpern, wie es ihm bereits mehrfach bei anderer Gelegenheit passiert ist? Es ging kurz gesagt um die Frage, ob sich dort ein Mann präsentiert, der noch vier weitere Jahre fit für das wichtigste und wohl auch anstrengendste Amt der Welt ist.

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Größer hätte der Druck für den 81-jährigen Demokraten also kaum sein können. Und er hielt ihm stand. "Energetisch und optimistisch", so lauteten die ersten Einschätzungen von Experten kurz nach der Rede. Biden hatte die großen Erwartungen nicht enttäuscht. Er hatte geliefert. Und zwar eindrucksvoller, als von manchen Experten erwartet.

Biden lässt sofort seinen Charme spielen

Der Präsident brauchte zwar lange, um bis zum Rednerpult zu kommen – aber nur, weil er sich sehr viel Zeit nahm, um bei seinem Einzug in den Kongress mit den Abgeordneten beider Parteien zu sprechen, Selfies mit Parlamentariern zu machen und jede Menge Hände zu schütteln. Biden gab sich als Präsident zum Anfassen. "Four more years", schallte es aus dem Plenum ("vier weitere Jahre"). Ein warmer Empfang. Sofort ließ Biden seinen Charme spielen: "Wenn ich klug wäre, würde ich jetzt nach Hause gehen", begann er seine Rede mit einem Scherz.

Dann schaltete er gleich auf Attacke. "Die Demokratie ist unter Beschuss, zu Hause und in Übersee", sagte er. Wen er dafür verantwortlich macht, sagte er auch: Putin und Donald J. Trump, den er im Laufe seiner Rede jedoch nicht beim Namen nannte. Biden sprach lediglich von "meinem Vorgänger".

Putin sprach er hingegen direkt an, und er schickte eine Warnung nach Moskau: "Er wird die Ukraine nicht bekommen", sagte Biden. "Wenn wir der Ukraine beistehen und ihr weiter Waffen liefern." Eine Botschaft an die Republikaner, die im Kongress seit Monaten die milliardenschweren amerikanischen Ukraine-Hilfen blockieren. "Meine Botschaft an Putin ist sehr einfach: Wir werden nicht einfach weglaufen. Wir werden nicht einknicken. Ich werde nicht einknicken."

Video | Experte erkennt auffällige Details bei Biden-Rede
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Quelle: t-online

Frenetischer Jubel seiner Parteianhänger brandete auf, sogar der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses nickte zustimmend, wie Mike Johnson überhaupt auffallend häufig bei den Ausführungen Bidens zuzustimmen schien – dabei ist gerade er für die Blockade der Ukraine-Hilfen im Parlament verantwortlich. Auf Trumps Geheiß.

Wachsende Unzufriedenheit bei Teilen der Wählerschaft

Den nahm sich Biden als Nächstes vor. Der Präsident geißelte den Putschversuch gegen die Demokratie am 6. Januar 2021 und verwies mehrfach auf die unrühmliche Rolle seines Vorgängers. "Einen Anschlag auf die Freiheit", nannte er den gewaltsamen Kapitolsturm. "Politische Gewalt hat keinen Platz in einer Demokratie", so Biden. Trump wurde von Biden auch bei anderen Themen hart angegangen, wie etwa beim Abtreibungsrecht. "Mein Vorgänger ist der Grund, warum Roe [Anm. d. Red.: das Gesetz, das Abtreibung erlaubte] abgeschafft wurde." Er versprach, wenn er wiedergewählt werde, werde er sich für die Wiederherstellung des Abtreibungsrechts einsetzen.

Biden rekapitulierte die Leistungen seiner Regierung, die Erneuerung der Infrastruktur, aber vor allem das Jobwunder, das er in den vergangenen Jahren geschaffen habe. "Aber es braucht Zeit, bis das bei den Menschen auch spürbar ankommt."

Eine Bemerkung, die auf die wachsende Unzufriedenheit mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei Teilen der Wählerschaft anspielte. Obwohl die Wirtschaft brummt, haben es die Republikaner unter Trump bislang erfolgreich geschafft, die Leistungen der Biden-Administration kleinzureden und das Augenmerk auf die Inflation zu legen, eine der wenigen Kennziffern, wo Bidens Regierung nicht so gut dasteht. Der Demokrat verwies darauf, viele Arbeitsplätze geschaffen zu haben, und zwar vor allem solche, für die man keinen Hochschulabschluss benötige. Ein Schlüsselsatz von Biden in Bezug auf eine wichtige Wählergruppe.

Sanders: Sich selbst nicht so sehr feiern

Er wandte sich explizit an die "working people", an die Arbeiter und jene Menschen ohne höheren Bildungsabschluss – eine wichtige, wenn nicht die entscheidende Wählergruppe bei dem Urnengang im kommenden November. "Erhöht den Mindestlohn", forderte er, "die Leute sollen mehr bekommen als die sieben Piepen pro Stunde", so Biden. Das hatte der linke Senator Bernie Sanders explizit gefordert.

Sanders hatte den Präsidenten zuvor ermahnt, nicht nur die eigenen Leistungen zu feiern, sondern vielmehr eine Vision für all jene zu skizzieren, die sich von der aktuellen Regierung noch nicht ausreichend vertreten fühlen. In einem vertraulichen Gespräch zwei Tage vor Bidens Rede forderte der 82-jährige Senator aus Vermont den Amtsinhaber auf, die Frustration bei breiten Schichten der Wähler anzusprechen, anstatt sich allzu sehr selbst zu feiern, wie die "Washington Post" berichtete.

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In einem Auftritt bei Talkmaster Stephen Colbert am Abend zuvor hatte Sanders sich äußerst kritisch etwa über die hohe Rate der Kinderarmut in den USA gezeigt, auch geißelte er den Mindestlohn von 7,25 Dollar als viel zu niedrig. Ein weiteres Thema, das Sanders ansprach, war die Gesundheitsversicherung, in deren Genuss immer noch nicht alle Amerikaner kommen – dabei war dies eins der zentralen Wahlkampfversprechen Bidens gewesen. Und Biden lieferte.

Biden frotzelt Richtung der Konservativen

"Kein Milliardär sollte eine niedrigere Steuer zahlen als ein Lehrer", sagte er. 500 Milliarden Dollar könnten etwa durch eine höhere Besteuerung der Reichen eingenommen werden. "Stellen Sie sich vor, was das für Amerika bedeuten könnte", sagte Biden. Dann zählte er auf, welche sozialen Wohltaten man mit dem Geld finanzieren würde. Mehrfach wandte er sich direkt an die republikanische Mehrheit im Kongress und forderte sie auf, einem entsprechenden Gesetz zuzustimmen, und stellte seine Schlagfertigkeit unter Beweis: "Wie kann man dazu denn nein sagen?", frotzelte er in Richtung der Konservativen, die bekanntermaßen von solchen Plänen gar nichts halten.

Der streitbare Senator aus Vermont saß ebenfalls im Publikum bei der Rede zur Lage der Nation. Er klatschte oft. Offenbar war er zufrieden mit Bidens Auftritt, denn der machte einige weitgehende Versprechungen für den Fall seiner Wiederwahl. Er skizzierte eine politische Vision, Kern dieser Vision war soziale Gerechtigkeit.

Biden kündigte zudem massive Investitionen in Bildungsreformen an, er versprach den Studenten weitere Studienkrediterlasse, den Ausbau der Krankenversicherungen und Steuererleichterungen für die wichtige, wenn nicht die entscheidende Wählergruppe bei der Wahl im November.

Biden wegen seiner Nahostpolitik unter Druck

Bidens Herausforderer Donald Trump hat den US-Präsidenten in den jüngsten Umfragen überholt, beim "Super Tuesday" konnte der Republikaner einen fast makellosen Sieg einfahren, die Kandidatur seiner Partei ist ihm sicher, und die Unterstützung innerhalb der Bevölkerung für Trump wächst. Biden sehen viele Amerikaner dagegen immer kritischer.

Der US-Präsident steht vor allem wegen seiner Nahostpolitik unter Druck, die manche Amerikaner für zu israelfreundlich halten. Wie sehr ihn dies Stimmen jüngerer und vor allem liberaler Wähler kosten könnte, zeigte die Rede zur Lage der Nation ebenfalls. Denn im Vorfeld demonstrierten in der Hauptstadt Washington, D.C. zahlreiche Menschen gegen die Politik Bidens im Konflikt zwischen Israel und der terroristischen Hamas.

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Mehr Hilfslieferungen an die Menschen im Gazastreifen versprach Biden, zugleich verwies er auf die Bemühungen seiner Regierung um einen Waffenstillstand zwischen Israelis und Palästinensern. Allerdings betonte er auch das Existenzrecht Israels und das Recht auf Selbstverteidigung, er verwies auf die grausamen Terroranschläge der Hamas. Dieser Teil der Rede war ausgewogen, doch einigen ging er wohl nicht weit genug. Layla Elabed, die eine Anti-Biden-Kampagne im US-Bundesstaat Michigan anführt, sagte dem Sender NBC News nach der Rede: "Der Präsident hört weiterhin nicht auf die Kriegsgegner in unserem Land, die einen raschen und dauerhaften Waffenstillstand fordern".

"Schickt mir das Gesetz. Jetzt!"

Auch auf ein anderes Thema ging Biden ein, das im Wahlkampf eine zentrale Rolle spielen wird: die Situation an der Grenze zu Mexiko, wo jeden Tag Migranten aus Mittel- und Südamerika ankommen. Trump piesackt die Demokraten seit Monaten mit dem Thema Migration, ohne Hemmungen prügelt er verbal auf Einwanderer ein, beschimpft illegale Zuwanderer bei nahezu jeder Gelegenheit und attackiert sie mit einem diskriminierenden Vokabular, das selbst für einen Rechtspopulisten ungewöhnlich ist (lesen Sie hier mehr zum Thema).

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Ganz anders Biden. Er verwies auf ein bereits ausgearbeitetes Gesetzespaket, das Demokraten und Republikaner in den vergangenen Monaten nach harten Verhandlungen geschnürt hatten. Das dann aber, ebenfalls auf Trumps Intervention, im Parlament auf Eis gelegt wurde. Die Republikaner wollen dem demokratischen Präsidenten vor der Wahl keinen Erfolg in dieser für ihre Wählerschaft wichtigen Frage gönnen. Biden wagte hingegen einen weiteren Versuch, sich über die Parteigrenzen hinweg als Vermittler und Versöhner zu zeigen. "Wir haben eine einfache Wahl", sagte er mit Blick auf das Immigrationsgesetz. "Wir können uns darüber streiten, die Grenze zu sichern, oder wir können sie sichern. Schickt mir das Gesetz [zum Unterzeichnen]. Jetzt!"

Auf diesem Ton ließ der amerikanische Präsident gegen Ende seine Rede auch ausklingen. "Ich möchte euch daran erinnern, wir können Großes schaffen", appellierte er an das gesamte Plenum. "Und wir werden es schaffen!" Immer wieder wandte er sich mit spontanen Äußerungen an die Abgeordneten im Repräsentantenhaus. Er charmierte, er witzelte, er zeigte sich hellwach und authentisch. So einnehmend, wie er sich stellenweise gab, so scharfzüngig konnte er sein. Biden ließ keine Gelegenheit aus, die Republikaner anzugreifen und sie für ihre isolationistische Politik zu schmähen.

Biden deutet eine vermeintliche Schwäche zur Stärke um

Ganz zum Schluss ging der 81-Jährige dann noch auf die Debatte ein, die so viele Wähler beschäftigt: sein Alter. Anstatt das Thema zu umschiffen, griff er es lustvoll auf und stellte dabei einmal mehr seine Fähigkeit zur Selbstironie unter Beweis. "Auch wenn es nicht so scheinen mag, aber ich bin ja schon eine Weile dabei", sagte er. Um dann hinzuzufügen: "Wenn man mein Alter erreicht, dann versteht man ein paar Dinge recht gut. Leute meines Alters sehen die Dinge vielleicht etwas anders". Biden stellte sein fortgeschrittenes Alter als Vorteil heraus. Er deutete eine vermeintliche Schwäche zur politischen Stärke um.

Er mahnte im Rückgriff auf uramerikanische Werte auch dazu, alle gleich zu behandeln, egal ob jung oder alt. Und dann erneuerte er sein Versprechen, das er bereits in seiner Inaugurationsrede vor vier Jahren gegeben hatte: "Ich werde Präsident aller Amerikaner sein, denn ich glaube an Amerika!"

Als Biden nach seiner Rede durch den Saal ging, passierte etwas, mit dem wohl wenige gerechnet hatten: Nun klatschte auch ein Teil jener Republikaner, der ihn vor der Rede noch mit demonstrativer Kühle empfangen hatten. Es schien, als hätte der Präsident einen Nerv getroffen – über Parteigrenzen hinweg. "Das war eine der stärksten Performances, die ich von Joe Biden gesehen habe", sagte David Plouffe, ehemaliger Kampagnenmanager von Ex-Präsident Obama im Sender NBC.

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