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Donald Trump, Corona und die US-Wahl: Der infizierte Präsident


Trump einen Monat vor der Wahl
Der infizierte Präsident

MeinungVon Fabian Reinbold

Aktualisiert am 02.10.2020Lesedauer: 5 Min.
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Donald Trump und Ehefrau Melania: Laut dem Leibarzt geht es "ihnen zur Zeit gut".Vergrößern des Bildes
Donald Trump und Ehefrau Melania: Laut dem Leibarzt geht es "ihnen zur Zeit gut". (Quelle: Carlos Barria/reuters)

Schon vor dem Corona-Schock war Donald Trump der Wahlkampf entglitten. Er verrannte sich in dieser Woche gleich mehrfach. Nun macht ihm das Virus im Oval Office den größten Strich durch die Rechnung.

In Washington nahm diese aufwühlende Woche um 0.54 Uhr in der Nacht zum Freitag ihren Höhepunkt: Donald Trump twitterte, dass er und Melania mit dem Coronavirus infiziert seien. Der Präsident und das Virus, das er permanent verharmlost hat. Von Anfang Februar bis zum Donnerstagabend, als er in einer Videobotschaft für eine Spendengala behauptete, das Ende der Pandemie sei schon in Sicht.

Was für eine Geschichte! Ihre weiteren Kapitel kann gerade noch niemand erahnen.

Es war ohnehin eine ganz seltsame Woche für Donald Trump, in der ich zunehmend den Eindruck hatte, dass dem Präsidenten mehr misslingt und er sich öfter verrennt.

Es gab in Washington einen seltenen kurzen Moment der Einigkeit. Das TV-Duell am Dienstagabend wurde auf allen Seiten als Tiefpunkt empfunden. "Es war schrecklich. Es hat nichts gebracht, wir haben nichts gelernt", lautete die SMS einer befreundeten Demokratin. "Deprimierend", sagte am Telefon mein Vermieter, ein Republikaner und Trump-Wähler.

Was hätte man da auch schönreden sollen. Dutzende Millionen Amerikaner werden es ja irgendwann in den 90 Minuten begriffen haben, dass sie gerade einem Tiefpunkt der politischen Kultur beiwohnten, einer weiteren Auflösung der Normen und Anstandsregeln, vorangetrieben von Donald Trump, der Joe Biden zeitweilig auf sein Niveau runterzog und den Moderator Chris Wallace, einer der am meisten respektierten Journalisten in Washington, mächtig beschädigte. Ganz nebenbei wollte er weder rechtsextreme Milizen verurteilen noch eine friedliche Machtübergabe in Aussicht stellen.

Runterziehen, beschädigen, auf demokratische Regeln pfeifen: Für mich war das Duell die Verdichtung der gesamten Trump-Präsidentschaft auf 90 Minuten. Nur: Es brachte ihm nichts.

Zwar gibt es Leute, die es erfrischend finden, wenn jemand auf Konvention und Anstand pfeift. Nur sind das nicht genügend, um die Wahl zu gewinnen. So war das Duell eine vertane Chance für Trump: Mit Rüpelei gewinnt man nicht die Wählerinnen aus den Vorstädten zurück, die laut Umfragen in Scharen zu Biden überlaufen.

Doch ich sah noch etwas anderes. Trump bediente sich seines wohlbekannten Arsenals, er überrumpelte, beleidigte und lenkte ab, doch seine Waffen waren stumpf.

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Zwei Beispiele: Jeder hatte erwartet, dass er Bidens Sohn Hunter beleidigen wollte. Über ihn und seine Ukraine-Geschäfte will er Biden seit langem Korruption anhängen, dafür hatte er sich bereits Helfern von Rudy Giuliani bis zum ukrainischen Präsidenten bedienen wollen – außer einem Amtsenthebungsverfahren gegen ihn selbst sprang nicht viel dabei raus.

Nun wollte er Biden aber doch noch einmal am wunden Punkt treffen. Er störte mit Bemerkungen über Hunter Bidens frühere Drogenprobleme aber ausgerechnet in dem Moment, als Biden über den Militärdienst seines an einem Hirntumor verstorbenen Sohns Beau sprach. "Ich kenne Beau nicht, ich kenne Hunter", ätzte Trump. Ein entgleister Angriff. Biden blieb gefasst.

In Sachen der gewaltbereiten Rechtsextremen-Milizen hätte der Trump von 2016 wohl gesagt: Natürlich verdamme ich Neonazis, ist doch klar, nächste Frage. (Wie ernst er es gemeint hätte, ist eine andere Frage.) Doch der Trump des Herbstes 2020 bekam das nicht hin und brockte sich selbst wieder einmal eine überflüssige Debatte ein: Seit nun 48 Stunden drängt ihn seine eigene Partei, die Rassenhasser doch bitte eindeutig in die Schranken zu weisen.

Einen Monat vor dem Wahlabend und während längst das "early voting" in vielen Staaten begonnen hat, waren das für den Kandidaten, der in den Umfragen hinten liegt, 48 verlorene Stunden.

Trump hat nun etwas zu verlieren: Er fürchtet den Machtverlust. Er wirkt defensiv, blockiert, unfähig zur Korrektur. Leichter fällt es ihm da, die Wahl als solche ins Chaos zu stürzen.

Interessieren Sie sich für die US-Wahl? Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt über den Wahlkampf, seine Arbeit im Weißen Haus und seine Eindrücke aus den USA unter Donald Trump einen Newsletter. die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.

Schon drei Tage zuvor, als ich Trumps Wahlkampfrally in Pennsylvanias kleiner Hauptstadt Harrisburg besuchte, fand ich ein Sinnbild dafür, dass Trumps Wahlkampf hakt.

Ich war lange auf keiner Trump-Rally, weil dort ein stark erhöhtes Corona-Risiko herrscht. Es gibt keinen Abstand, keine Maskenpflicht, auch wenn dort tausende Menschen auf engstem Raum stehen, stundenlang über laute Musik hinweg rufen und bei den Reden jubeln und buhen. Einmal allerdings wollte ich einen Eindruck gewinnen. Maske auf und durch.

Schaut man die Rallys im Fernsehen, sitzt man einigen optischen Täuschungen auf, die sich vor Ort aufklären. Hinter Trump, im Bildausschnitt, den die Kameras einfangen, platziert man nun immer Anhänger mit Masken. Alles doch nicht ganz verantwortungslos, heißt die Botschaft. Doch es ist nur eine Fata Morgana: Im Rest des Publikums tragen nur die allerwenigsten eine Maske.

Auf dem Flughafengelände in Harrisburg passierte etwas seltsames: Trumps Mikrofon war von der ersten Minute an zu leise, was von den Fans lautstark bemängelt wurde – "Turn it up!" riefen sie immer wieder. Doch niemand, kein Berater, kein Tontechniker und auch nicht der Präsident reagierte darauf. Er redete einfach weiter. Der Präsident sprach und das Volk, zumindest jenes, das links vom Pressebereich ausharrte, hörte nichts. Ein Sinnbild.

Es ist ohnehin nicht so, dass auf einer Trump-Rally von Anfang bis Ende ekstatische Stimmung herrschen würde, jede Trump-Rede hat ihre Längen. Aber so eine gedämpfte Atmosphäre wie in Harrisburg habe ich auf keiner anderen Rally erlebt.

Richtig stimmungsvoll wurde es nur, als nach Ende der Rede wieder gut hörbar YMCA aus den Boxen dröhnte und Trump ein wenig dazu tanzte. Dabei sah ich auch Hope Hicks, die enge Beraterin, deren Corona-Infektion am Donnerstag als erstes bekannt wurde und die möglicherweise den Präsidenten angesteckt hat.

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Bei Corona hat sich Trump verrannt. Er betrieb so viel Desinformation wie kaum jemand auf der Welt: erst wider besseren Wissens die Grippevergleiche und die Lügen über die Testkapazitäten, dann die vermeintlichen Wundermittel Hydroxychloroquin und Blutplasma.

Corona musste in seiner Erzählung stets so gut wie besiegt sein. Da brauchte er auch keine Maske mehr, die er im Juli mal nach langem Drängen seiner Berater mal bei wenigen Terminen trug und ganz schnell wieder ablegte. Stattdessen sprach er im Präteritum über die Pandemie und rief lieber Woche für Woche das "große amerikanische Comeback" aus.

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Der Preis dafür war hoch: Er setzte damit seine treuen Anhänger einem hohen Risiko aus, lud zu mancher Großveranstaltung sogar in Innenräume ein und verzichtete bei jeder Rally auf Abstandsregeln – zumindest für die Besucher. Er selbst blieb lieber auf Distanz.

Statt über Corona wollte Trump im Wahlkampf über Anarchisten und Antifa reden, über Joe Bidens angebliche Demenz und drohenden Sozialismus. Eine Zeit lang sah es so aus, als ob Trumps alte Taktik zünden könnte. Doch jetzt ist das Virus im Oval Office gelandet. Es sind noch 31 Tage bis zur Wahl.

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