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Kolumne zu Angela Merkels Rückzug: Kanzler gehen nie freiwillig


Meinung
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Merkels Rückzug
Die Kanzlerin ist schon jetzt Geschichte

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 29.10.2018Lesedauer: 5 Min.
CDU-Pressekonferenz nach Hessen-Wahl: Merkel kündigt Rückzug auf Raten anVergrößern des Bildes
CDU-Pressekonferenz nach Hessen-Wahl: Merkel kündigt Rückzug auf Raten an (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa)

So geht es nicht weiter, das weiß sogar Angela Merkel und will nicht Parteichefin bleiben. Die CDU würde sie gerne ganz los werden, aber wer sagt es ihr, wer stürzt sie? Und wer darf sie beerben?

Angela Merkel will nur halb gehen. Sie gibt den Parteivorsitz ab, um noch ein bisschen Kanzlerin bleiben zu dürfen. Das gelingt eigentlich nie. Gerhard Schröder hielt danach noch anderthalb Jahre lang geschwächt durch. So lange dürfte es diesmal nicht dauern.

Momentan haben drei Personen das größte Interesse daran, dass Angela Merkel noch eine gewisse Verweildauer im Kanzleramt beschieden sein mag: Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn und Friedrich Merz.

Die eine muss Distanz aufbauen, um nicht als Verlängerung der Merkelei über Merkel hinaus zu erscheinen. Der andere muss das Konservative formulieren, das mehr ist als das, was die Kanzlerin falsch gemacht haben soll. Und der Dritte im Bunde muss das Terrain sondieren, das er verlassen hat, lang ist’s her.

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Erstaunt hat mich, dass Friedrich Merz wirklich in die Politik zurückstrebt. Ihm ist ein Berufsleben als Manager und Rechtsanwalt mit spannenden Mandaten geglückt, das ihn für Enttäuschungen entschädigt haben sollte. Dachte ich. Auch ist er nicht mehr der Jüngste, er wird im November 63 Jahre alt, da könnte er sein Leben genießen und einfach so weiter machen wie seit 2004, als er aus der Politik ausschied. Unfreiwillig. Gescheitert an Angela Merkel, die werden durfte, was ihm verwehrt blieb.

So tief kann also eine Kränkung sitzen. So lange kann der Schmerz einer Niederlage, einer Demütigung anhalten. Er übersteht Erfolg und Reichtum. Nichts kann die Schmach heilen, von dieser Frau (einer Frau!) am Entscheidenden gehindert worden zu sein.

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Friedrich Merz bietet sich als Retter an, als Gralshüter des Konservatismus, den die CDU in den letzten dreizehn Jahren aufgegeben hat. Er will dort anknüpfen, wo er ablassen musste. Er will Kanzler werden, was denn sonst. Es wäre nachgerade absurd, wenn er sich damit begnügen würde, Parteivorsitzender unter einer Kanzlerin zu bleiben, die bis zum Ende der Legislaturperiode regiert.

Gekränkte Eitelkeit dürstet nach Rache: Wie du mir, so ich dir. Wie du mich ausgeschaltet hast, schalte ich dich aus.

Wann? In gemessenem Abstand zum CDU-Parteitag am 6. Dezember in Hamburg.

Wer halb geht, nach dem geht es nicht mehr. Angela Merkel war heute kurz Herrin des Verfahrens, als sie die Konsequenzen aus der Hessen-Wahl zog, die sie richtig als Anti-Merkel-Wahl verstand. Mit ihrer Ankündigung auf Rückzug in Raten gab sie jedoch das Heft aus der Hand, zwangsläufig. Wenn sie ernsthaft Kanzlerin bleiben will, muss sie Friedrich Merz verhindern. Schafft sie es nicht, muss sie ganz gehen.

Natürlich ist Annegret Kramp-Karrenbauer (deren langen Namen wir Journalisten mit AKK abkürzen) die Wahl der Kanzlerin. Sie würde sich mit dem Parteivorsitz begnügen, ob sie es so will oder nicht. Ihr bleibt kein automatischer Anspruch auf die Kanzlerschaft, jedenfalls nicht sofort. Sie muss zwangsläufig den gleichen Weg einschlagen wie Angela Merkel. Erst das eine, dann das andere. Erst Parteichefin, dann Kanzlerin.

Kann AKK Kanzlerin? Das weiß sie selbst nicht. Wie sollte sie auch. An Intelligenz mangelt es ihr beileibe nicht. An Charakter genauso wenig, so weit ich das beurteilen kann. An Strahlkraft schon eher, aber da ist sie nicht allein. Die Frage ist nur, ob sie den Mut zur Lücke hat, denn an Erfahrung mangelt es ihr. Dass sie Ministerpräsidentin des kleinen Saarlandes war, ist keine ernsthafte Empfehlung. Dass sie bisher alles richtig gemacht hat, schon eher. Alles ist eine Frage des Timings und des Mutes im richtigen Augenblick.

Das überschaubare Risiko des Jens Spahn

Jens Spahn, Jahrgang 1980, hat den Vorteil und den Nachteil der jungen Jahre. Rechtzeitig hat er zu erkennen gegeben, dass er mit manchem nicht einverstanden ist, was die Kanzlerin macht. Das genügte, solange sie einigermaßen stark war und er so stark wirkte, dass sie ihn sicherheitshalber ins Kabinett nahm.

Auf dem Parteitag wird Spahn kandidieren. Das Risiko ist überschaubar. Auch wenn er verliert, kann er nur gewinnen, denn auch verlieren kann adeln. Er ist als einziger der drei jung genug, an das nächste Mal zu denken. Für Merz wäre eine Niederlage niederschmetternd. Sie würde ihn zeichnen: zu leicht befunden, zu viel zugemutet, die Rückkehr in den Beruf wäre unter solchen Umständen doppelt schmerzhaft.

Auch für AKK gibt es kein zweites Mal. Entweder sie wird als Erbin Merkels gewürdigt – oder es ist aus. Der nächste Parteivorsitzende schickt einen Vertrauten in die Parteizentrale. AKK stünde mit leeren Händen da.

Interessant wird es vor allem dann, wenn AKK oder Spahn gewinnt und Angela Merkel den Ruf nach ganzem Abschied nicht ignorieren kann. Das muss man organisieren, das muss man wollen. Wie? Mit einem Übergangskanzler Wolfgang Schäuble. Mit ihm könnte sich Spahn und könnte sich auch AKK verständigen.

Merkel ist schon jetzt Geschichte

Kanzler gehen nie freiwillig. Sie wollen die Bedingungen selber bestimmen. Manchmal wollen sie auch nur einen bestimmten Nachfolger verhindern. Eine Partei tut gut daran, an sich selbst und an die Zukunft zu denken. Gut möglich, dass schon vor dem 6. Dezember eine Delegation bei der Kanzlerin vorstellig wird und ihr einen Vorschlag unterbreitet, den sie nicht ablehnen kann.

Die Kanzlerin ist schon jetzt Geschichte. Es ehrt sie, dass sie ihren Rückzug so rational organisieren möchte, wie wir sie kennen. Sie dürfte die Erfahrung machen, die andere Kanzler vor ihr machten: Was sie will, was sie für richtig hält, interessiert nur bedingt. Von nun an herrscht die Dynamik, die über sie hinaus zielt.


Auf die drei kommt es an. Jeder von ihnen muss den Konservatismus für diese Zeit neu definieren. Die Abgrenzung zur AfD ist zu wenig, aber eine Haltung zu ihr ist überfällig. Das Bürgerliche ist nicht mehr das Monopol der CDU, hier tummeln sich die Grünen erschreckend erfolgreich, jedenfalls für Anhänger der Union.

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Jedem der drei kann leicht über die Lippen kommen, dass im Jahr 2015 zu viele Flüchtlinge zu schnell ins Land gekommen sind. Sie sind freier als die Kanzlerin, Bilanz zu ziehen. Die Mitte ist es, auf die Spahn, AKK und Merz zielen müssen.

Die Mitte ist sowohl stark als auch zersplittert, das demonstriert die Hessen-Wahl. Sie sammelt sich bei den Grünen und bei der FDP, sie findet sich in der CDU und der SPD und zum Teil auch in der AfD. Es geht ziemlich bunt in Deutschland zu, denn die Wähler wandern umher und sind dort noch nicht verloren, wo sie diesmal nicht angedockt haben, und im Übrigen waren sie trotz alledem moderat gestimmt.

Sie wollten nur eines: das Ende der Ära Merkel. Das haben sie erreicht.

Wenn eine Kanzlerin geht, die so lange regiert hat, kommt auch Wehmut auf. Zuerst und zuletzt liegt darin aber die Chance zur Befreiung. Aus dem Mehltau. Dem Immer-so-weiter. Wäre gut, wenn die drei von der CDU sich einen Wettbewerb um gute Ideen liefern würden.

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