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Anschläge '68: Menschen, die den Unterschied gemacht hätten


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Anschläge von 1968
Drei Menschen, die einen Unterschied gemacht hätten

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

09.04.2018Lesedauer: 7 Min.
Martin Luther King, Robert Kennedy und Rudi Dutschke. Auf alle drei Männer wurde 1968 ein Anschlag verübt.Vergrößern des Bildes
Martin Luther King, Robert Kennedy und Rudi Dutschke. Auf alle drei Männer wurde 1968 ein Anschlag verübt. (Quelle: dpa)
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Zuerst Martin Luther King, dann Robert Kennedy und gleich darauf Rudi Dutschke: Die Anschläge vor 50 Jahren waren Anschläge auf uns alle – mit Auswirkungen bis heute.

In diesen Tagen erinnern sich viele ältere Mitmenschen daran, wie das damals war, als sie jung waren und voller Ideale. Ein Jahr hat sie geformt, 1968, und deshalb nennen sie sich die 68er. Es war die große Abrechnung mit dem Schweigen der Eltern über die Nazi-Zeit und es war der große Aufbruch: politisch, kulturell, sexuell. Wir wollen ihnen die Erinnerung gönnen.

Ich bin kein 68er. Ich verbrachte dieses ominöse Jahr in einem Lungenheilsanatorium, um meine Tuberkulose zu kurieren. Pech gehabt. Kommt vor. Ich war isoliert. Über Bücher und das Radio nahm ich Anteil an der Welt. Ich erwähne das, um meinen Blick auf dieses Jahr zu begründen. Wenn ich an 1968 denke, kommen mir drei Attentate mit verhängnisvollen Folgen in den Sinn, nur eines davon ereignete sich in Deutschland, die anderen beiden in Amerika.

"Auch ihn hat ein Weißer ermordet"

Ich habe mir noch einmal die Rede angehört, die ein Großer, der nicht mehr lange leben sollte, auf einen anderen Großen hielt, der gerade erschossen worden war. Der Tote vom 4. April 1968 war Martin Luther King, einer der größten Söhne, die Amerika je hervorgebracht hat.

Die Rede hielt Robert Kennedy, der kleine Bruder des ermordeten Präsidenten John F. Kennedy. Er versuchte zu verhindern, dass sein ganzes Land in einer Orgie aus Blut und Feuer aufging. Deshalb erinnerte er daran, dass auch sein Bruder fünf Jahre zuvor ein Opfer der Gewalt gewesen war; nie zuvor hatte er öffentlich darüber gesprochen und jetzt war er den Tränen nahe: "Denjenigen unter Ihnen, die schwarz sind und jetzt voller Hass und voller Wut auf die Weißen über die Ungerechtigkeit dieses Anschlags, kann ich nur sagen, dass auch mein Herz von solchen Gefühlen erfüllt ist. Mir ist ein Mitglied meiner Familie getötet worden, aber auch ihn hat ein Weißer ermordet."

Das weiße Amerika hasste Martin Luther King

Mich bewegt diese Rede immer wieder, weil sie die ganze Verzweiflung und Fassungslosigkeit über den Mord an Martin Luther King in sich trägt und mit aller Kraft darüber hinwegkommen will. Robert Kennedy rief dazu auf, keine Rache zu üben und wusste sicherlich, wie vergeblich sein Appell war. Gewalt ist in einer Demokratie immer böse und falsch. Damals wie heute aber gab es einen Unterschied in Amerika. Tötete ein Weißer einen Weißen, war das ein Mord. Tötete ein Weißer einen Schwarzen, war (und ist) Rassismus ein Motiv.

Das weiße Amerika vor allem im Süden hasste Martin Luther King, weil er ein Stratege der Bürgerrechtsbewegung war und ein unfassbar guter Redner. Den gewaltlosen Widerstand hatte er von Mahatma Ghandi gelernt. Seine Mittel waren Boykotte und Märsche und Reden. Die Gegenmittel waren von anderer Qualität.

Das FBI hielt King für einen Kommunisten

Bomben explodierten vor seinem Haus. Die Kreuze des Ku-Klux-Klan brannten. Weiße Rassisten ermordeten Bürgerrechtler. Die Mörder kamen locker davon, weil die Polizei auf ihrer Seite stand. Sie warfen Doktor King, wie jedermann ihn nannte, immer wieder ins Gefängnis, wenn er verbotene Demonstrationen anführte. Das FBI hielt ihn für einen Kommunisten und verfolgte ihn. Es war die finsterste Zeit in einem finsteren Land, das sämtliche Versprechen seiner Verfassung in Blut ertränkte.

Es waren zwei Präsidenten, die Amerika die Würde zurückgaben und die Bürgerrechte für die Schwarzen durchsetzten. Der erste war John F. Kennedy, dessen Justizminister sein kleiner Bruder Robert war. Der zweite Lyndon B. Johnson, der nach dem Mord in Dallas am 22. November 1963 ins Amt kam.

Manchen ging er zu weit, anderen nicht weit genug

Bürgerrechte waren das eine, aber damit war nur ein Minimum erreicht. Armut war die Folge der Rassentrennung und dann war da auch noch der Vietnamkrieg, in dem viele Schwarze kämpfen mussten. Es war nur folgerichtig, dass Marin Luther King auch über dieses Unrecht sprach, aber er machte sich damit Feinde in der Bewegung. Den einen, seinen Freunden und Konkurrenten in den Südstaaten, ging er zu weit. Den anderen ging er nicht weit genug: Das war die "Black Panther’s Party for Self-Defense", die schwarzen Nationalismus und bewaffneten Widerstand predigten. Deren Hero war Malcolm X, der ebenfalls ermordet worden war.

So viel Blut, so viele Tote. Der Mörder Martin Luther Kings war ein Drifter, der mehrmals wegen Raubes und Betruges verurteilt worden war. Er konnte aus dem Gefängnis fliehen, versuchte sich als Regisseur von Pornofilmen, floh nach Mexiko, kam unter falschem Namen zurück, verdingte sich als Helfer im Wahlkampf von George Wallace, einem der übelsten Rassisten jener Tage, wollte nach Rhodesien (so hieß Simbabwe damals) auswandern, kaufte stattdessen ein Repetiergewehr und zwanzig Patronen und fuhr nach Memphis.

99 Jahre Haft

Aus einem Badezimmerfenster erschoss er Martin Luther King, der im Hotel gegenüber auf einem Balkon stand. Es war der 4. April 1968. James Earl Ray, so hieß der Mörder, gestand die Tat, entging daher der Todesstrafe und wurde zu 99 Jahren Haft verurteilt.

Robert Kennedy wollte das Erbe seines Bruders weiterführen und vollenden. Als Lyndon B. Johnson im März 1968 auf die Wahl verzichtete, trat er an. Die Brüder Kennedy waren reich und Riesentalente. Sie konnten Massen in ihren Bann ziehen und Menschen begeistern. Sie besaßen Charisma und die Kaltblütigkeit kluger Politiker. Ihr Selbstbewusstsein war ausgeprägt und sie waren von der Sache beseelt.

Wer sollte Robert noch aufhalten?

Die Sache war die Aussöhnung der Rassen und die Etablierung Amerikas als überragende Weltmacht und Vormacht des Westens im bipolaren Zeitalter. Der Vietnamkrieg war die schwärende Wunde, denn hineingezogen hatte John F. Kennedy sein Land in diesen fernen, barbarischen Krieg.

Am 4. Juni 1968 gewann Robert Kennedy die Vorwahl in Kalifornien, eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Nominierung als Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei. Wer sollte ihn jetzt noch aufhalten? Sirhan Sirhan konnte es. Seine Eltern waren dank der Fürsprache befreundeter Amerikaner aus dem Westjordanland nach Pasadena in Kalifornien gekommen.

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Sirhan sitzt noch immer im Gefängnis

Der Sohn war gut in der Schule, ihm stand vieles offen. Jockey wollte er werden, erlitt einen schweren Sturz mit schweren Kopfverletzungen, arbeitete danach als Lagerarbeiter und Bote in einem Reformhaus. Sirhan Sirhan wartete in Los Angeles in einer Hotelküche auf Robert Kennedy, der das Hotel auf diesem Weg verlassen wollte. Drei Kugeln aus einem Revolver trafen Kennedy, der 26 Stunden später seinen Verletzungen erlag. Hinterher sagte der Mörder, Kennedy habe sich pro-Israel geäußert, ohne Palästina zu erwähnen. Er sitzt heute noch, 50 Jahre später, im Gefängnis.

Der dritte Anschlag fand in West-Berlin statt. Rudi Dutschke war die christlich inspirierte, leidenschaftlich brennende Ikone der deutschen 68er. Sein kleiner Sohn, drei Monate alt, hatte Fieber und der brave Vater wollte in eine Apotheke auf dem Ku'damm radeln, um Nasentropfen zu kaufen. Ein kleiner, schmächtiger Mann sprach ihn an: "Sind Sie Rudi Dutschke?" Ja, antwortete der. "Du dreckiges Kommunistenschwein!", schrie der Mann, holte einen Revolver hervor und schoss ihm in Kopf, Brust und Wange. Er sei vom Mord an Martin Luther King inspiriert worden, sagte er aus.

Dutschke blieb schwer gezeichnet

Josef Bachmann war 23 Jahre alt und Hilfsarbeiter, DDR-Flüchtling wie Dutschke und hasste alles, was irgendwie links war. Er wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt. Ein Jahr später erstickte er sich mit einer Plastiktüte, die er sich über den Kopf zog. Rudi Dutschke überlebte und blieb schwer gezeichnet von dem Mordanschlag. Elf Jahre später starb er an den Folgen des Attentats.

Drei Menschen, denen zu Lebzeiten historische Bedeutung zukam, sterben viel zu früh. Sie haben Einfluss auf ihr Land, sie sind Idealisten und kühle Strategen zugleich, eine Kombination von Talenten, die man sich für die Führer eines Landes nur wünschen kann. Sie werden aus dem Leben gerissen, ehe sie auch nur annähernd zu Ende bringen können, was sie angefangen haben. Es ist nur richtig und wichtig für uns, 50 Jahre später an sie zu erinnern.

Was wäre, wenn?

Was wäre gewesen, wenn sie am Leben geblieben wären? Der amerikanische Präsident wäre vermutlich Robert Kennedy gewesen und nicht Richard Nixon. Er hätte versucht, die Rassen miteinander zu versöhnen. Wahrscheinlich hätte ein weißer Präsident mehr Aussicht auf Erfolg gehabt als vierzig Jahre später Barack Obama. Gemeinsam mit Martin Luther King hätte Kennedy manches bewirken können. Ein ziemlich spannendes Duo wären die beiden gewesen, das auf jeden Fall.

Nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke verlor die 68er-Bewegung ihre Leichtigkeit und bald darauf auch ihre Unschuld, denn im selben Jahr bildete sich die Rote Armee Fraktion, die so etwas wie der böse Stiefbruder der 68er war und Deutschland mit Mord und Gewalt überzog.

Warum wurden sie zu Attentätern?

Die Griechen nannten die üblen Figuren, die sich durch Verbrechen einen unsterblichen Namen machen wollten, Herostraten. Der Ahnherr Herostratos hatte den Tempel der Artemis in Ephesos, der zu den sieben Weltwundern zählte, in Brand gesteckt. James Earl Ray war nichts als ein mieser, kleiner Verbrecher, der unter anderem einen Raubüberfall für eine Handvoll Dollar verübt hatte. Wären die Gefängnisse sicher gewesen, hätte er seine 20-jährige Strafe abgesessen und wäre nicht in Memphis aufgetaucht.

Sirhan Sirhan war ein guter Schüler und weitgehend integriert in die amerikanische Gesellschaft. Der Sturz von einem Pferd veränderte ihn, eine private Pathologie, die ihm eingibt, diesen strahlenden, von den Göttern begünstigten Robert Kennedy zu ermorden. Josef Bachmann war ängstlich und unauffällig und wollte morden. Warum?

Fragen nach dem Sinn sind fast immer sinnlos und trotzdem wälzen wir sie, weil wir verdammt dazu sind, ein bisschen Sinn in das Sinnlose zu bringen. Dann sagen wir, Menschen wie King oder Kennedy oder Dutschke dürfen nicht umsonst gestorben sein. Sie sind es aber, viel zu früh und einfach umsonst. Und indem wir sie betrauern, trauern wir um uns selbst, um den Verlust unserer Träume für eine bessere Welt, die nicht in Schüssen und Blut explodiert.

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