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Volkskongress in Peking: China geht auf dem Weg zur Weltmacht über Leichen


Volkskongress in Peking
China geht auf dem Weg zur Weltmacht über Leichen

Meinungt-online, Gerhard Spörl

23.10.2017Lesedauer: 4 Min.
China setzt auf dem Weg zur Weltmacht auch auf militärische Stärke.Vergrößern des BildesChina setzt auf dem Weg zur Weltmacht auch auf militärische Stärke. (Quelle: dpa-bilder)

Herrschaftsanspruch mit starker Wirtschaft und starkem Militär. China will den Weg zur Weltmacht unbeirrt weiter gehen. Trump hat die USA geschwächt und den Weg für Peking einfacher gemacht.

Bis Mittwoch tagt noch der Volkskongress in Peking, auf dem die Kommunistische Partei ihren Machtanspruch auf das Land und den Herrschaftsanspruch über die Welt erhebt. Natürlich sind diese Großveranstaltungen trostlos. Staats- und Parteichef Xi Jinping redet stundenlang. Die Delegierten klatschen entfesselt, wie es von ihnen erwartet wird, und stellen die gewünscht angenehmen Fragen, auf die Leute aus der Nomenklatura dankbar und weitschweifig antworten. Zu allen Zeiten haben totalitäre Führungen ihren Kontrollwahn als prästabilierte Harmonie zwischen Führung und Volk ausgegeben. Ich dachte nur nicht, dass mir im 21. Jahrhundert dieses Schauspiel in Reinkultur vorgeführt werden würde.

Die Wucht des Ereignisses besteht im Kontrast zur Weltmacht Amerika, die gerade unter ihrem Präsidenten zur Lachnummer verkommt. Donald Trump macht es China leicht. Er verspielt einen Gutteil an moralischer Autorität, die Amerika trotz alledem noch besitzt. Er beherrscht die Phantasie seiner Landsleute, beschäftigt die Verbündeten mit seinen Kapriolen und konzentriert sich nicht auf die geschichtlichen Prozesse in Asien, die sich vor seiner Nase entwickeln. So verkörpert er die unnachahmliche Mischung aus Größenwahn und beleidigtem Rückzug, der die amerikanische Außenpolitik früher schon ausgezeichnet hat.

Der Aufstieg eines Landes zur Weltmacht ist immer ein spannender Prozess. Als Alexis de Tocqueville im Jahr 1835 der neuen Welt eine große Zukunft vorhersagte, da war Amerika ein rohes, ungeformtes Land, damit beschäftigt, den Weg nach Westen zu bahnen; kurz darauf führte es einen schrecklichen Bürgerkrieg. Widerwillig ließ sich dann Amerika, das sich aus den europäischen Händeln heraushalten wollte, in den Ersten Weltkrieg hineinziehen und zog sich 1918 sofort auf sich selber zurück. Erst der Zweite Weltkrieg machte es zur überragenden Weltmacht, ökonomisch wie militärisch.

Korrektur der Geschichte

Was aufsteigt, kommt auch wieder herunter. Vietnam, Afghanistan, Irak, Syrien: Amerika gelingt es schon länger nicht mehr, seine Macht auf andere Länder auf anderen Kontinenten zu projizieren und hat deshalb an Autorität verloren. Die militärische und technologische Überlegenheit lässt sich nicht umstandslos in politische Vorherrschaft umsetzen. Größe und Schwäche müssen keine Gegensätze sein.

Für Xi Jinping, der unumschränkt wie Mao herrscht, korrigiert die Geschichte gerade einen Irrtum. Bis tief ins 19. Jahrhundert war China eine Weltmacht und will es jetzt so schnell wie möglich wieder werden. Dazu gehört die Einverleibung Taiwans, dazu gehört die selbstherrliche Annexion unwirtlicher Inseln im südchinesischen Meer, auf die Vietnam oder die Philippinen ebenfalls Anspruch erheben. Davon lässt sich China nicht beeindrucken, geschweige denn davon abhalten. Und was die Außenwelt angeht, so haben sich die Demütigungen durch die asiatischen Nachbarn und die europäischen Kolonialmächte in der Zeit, als China schwach war, ins Gedächtnis der KP eingebrannt. Wer schwach war, will nur noch stark sein, ungeheuer stark.

Xi Jinping hat auf dem Volkskongress Etappen abgesteckt und Ziele gesetzt. Bis 2050 soll China nicht nur die ökonomische, sondern auch die militärische Weltmacht Nummer Eins sein. Der Kampf gegen die Armut: noch nicht ganz gewonnen, aber auf gutem Weg. Die Entfaltung des Kapitalismus: wieder unter Kontrolle des Staates. Die demokratischen Oasen: zermalmt, zerquetscht. Die Opposition: zerdrückt. Zerdrückt wie Liu Xiabo, mein Held, der Bürgerrechtler.

Keine Zugeständnisse

Liu gehört in die demokratische Gegenströmung zur totalitären Gegenwart: geboren 1955; die Eltern aufs Land verbannt während der Kulturrevolution; der Sohn wird zum Dozenten an der Pädagogischen Hochschule in Peking; nimmt im Sommer 1989 an den Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens teil, die von Panzern überrollt werden; immer wieder im Gefängnis; 2010 in der Haft, als ihm der Friedensnobelpreis zugesprochen wird, ein Politikum, selbstverständlich; im Endstadium mit Leberkrebs in ein streng bewachtes Krankenhaus eingeliefert; am 13. Juli 2017 gestorben; auf Befehl der Obrigkeit verbrannt und die Asche über das Meer verstreut, weil ein Grab zum Wallfahrtsort hätte werden können.

Große Mächte sind furchterregend, vor allem für das eigene Volk. Kann sein, dass China irgendwann einmal weniger totalitär sein wird, aber über den Zeitpunkt will die Kommunistische Führung entscheiden. Bis 2050 bleibt alles dem großen Ziel untergeordnet, das Zugeständnisse verbietet und über Leichen geht, egal wie viele es sein mögen.

Große Mächte sind auch so gut wie nie beliebt, weil sie kleineren Mächten ihren Willen aufzwingen. China gibt sich nicht einmal den Anschein, dass es sein Modell exportieren möchte. Amerika war da anders, verbrämte seine Interessen idealistisch und wollte die Demokratie in viele Herrgottswinkel – Afghanistan – ausdehnen. Manchmal gelang es sogar, wie in Japan und Deutschland, in Südkorea oder den Philippinen.

Sorge der Nachbarn

Große Mächte, besonders totalitäre, glauben an die lineare Fortsetzung geschichtlicher Prozesse. Aber die Geschichte ist fast immer klüger. Nie geht es lange Immer-Weiter-So. Fast immer unterbricht ein Ereignis wie der Mauerfall oder 9/11 den bürokratischen Fortgang der Dinge.

China ist riesengroß. 1,4 Milliarden Menschen: ethnisch, kulturell, religiös und sicherlich auch politisch auf Dauer schwer unter totalitärer Kontrolle zu halten. Der Kapitalismus produziert seine eigenen Widersprüche. Im Riesenreich wird unweigerlich Widerstand wachsen, der auch einmal explodieren kann.

Die Nachbarn bereiten sich vorsorglich auf China als Weltmacht vor. In Japan hat Shinzo Abe die Wahl mit dem Vorsatz gewonnen, den Verfassungsartikel zu ändern, wonach das Land keine Streitkräfte haben darf. Vietnam arbeitet schon länger militärisch beispiellos eng mit Amerika zusammen. Myanmar öffnet sich, um nicht als Beute an China zu fallen. Südkorea hat die Illusion aufgegeben, das mit Nordkorea Entspannungspolitik betrieben werden kann.

Diese Länder bauen auf Amerika als Schutzmacht. Sie glauben nicht, dass Trump das letzte Wort ist. Mindestens bis 2050 dürften die USA noch Weltmacht sein, zumal dann, wenn sie sich aufs Wesentliche konzentrieren. Das Wesentliche im 21. Jahrhundert ist Asien. Und was wird dann, wenn sich dort die alte und die neue Weltmacht gegenüberstehen?

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