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Ist die Gift-Katastrophe in den USA das amerikanische Tschernobyl?


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Gift-Katastrophe löst Gerüchte aus
Sie sprechen schon vom amerikanischen Tschernobyl

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 20.02.2023Lesedauer: 5 Min.
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Luftaufnahmen zeigen Unglück: In den USA ist ein Zug entgleist – das Ausmaß der Zerstörung ist immens. (Quelle: t-online)

Ein folgenschweres Zugunglück in den USA wächst sich zu einer Gift-Katastrophe für die Menschen und die Umwelt aus. Für die Biden-Regierung ist das ein politisches Fiasko.

"Tschernobyl 2.0" oder "Mini-Tschernobyl" – es mögen schiefe Vergleiche sein, aber sie zeigen an, dass sich das Zugunglück im US-Bundesstaat Ohio zumindest zu einem größten anzunehmenden Unfall für die Regierung von Joe Biden entwickelt hat. Zu Hunderttausenden verbreiten sich seit Anfang Februar Videos und Fotos mit solchen Überschriften in den sozialen Netzwerken.

Was sich seit dem 3. Februar in dem kleinen Dorf East Palestine abspielt, ist zwar längst keine Nuklearkatastrophe wie 1986 im ukrainischen Tschernobyl. Die Furcht der Anwohner vor beträchtlichen Gefahren für ihre Gesundheit ist jedoch nachvollziehbar. Die Wut auf eine Regierung in Washington, die das Unglück bislang schlecht gemanagt hat, ist groß. Ausgerechnet Donald Trump will nun kommende Woche nach Ohio reisen. Dabei trägt sogar er eine Mitverantwortung.

Eine tonnenschwere Katastrophe

Was ist geschehen? Am 3. Februar entgleist gegen 21 Uhr ein Güterzug – ein sehr langer amerikanischer Güterzug mit rund 50 Waggons – in der Nähe des Dorfes East Palestine. Beim Aufprall der tonnenschweren, sich ineinander verkeilenden Eisenwaggons bricht Feuer aus. Etwa 4.700 Menschen wohnen dort, nur ein paar hundert Meter von der Grenze zum Nachbarbundesstaat Pennsylvania entfernt.

Das Katastrophale: Ein Fünftel der Waggons enthält gefährliche Chemikalien, die auch zur Kunststoffherstellung verwendet werden. Bei dem Brand wird unter anderem Vinylchlorid freigesetzt, ein farbloses, brennbares, narkotisierendes Gas – und eine krebserregende Substanz. Schon der Kontakt mit diesen Chemikalien kann die Schleimhäute reizen, Schwindel, Übelkeit oder Kopfschmerzen verursachen. Wegen dieser Gefahren konnte die Feuerwehr den Brand nicht sofort löschen.

Nach zwei Tagen des unkontrollierten Vor-sich-hin-Brennens drohte in East Palestine eine Explosion. Die Behörden ordneten daraufhin eine Evakuierung von rund 1.500 Einwohnern in East Palestine an. Um die Explosion zu verhindern, wurde aus einigen der Waggons das Vinylchlorid abgelassen.

Die Behörden gaben anschließend zwar offiziell Entwarnung. Weder die Luft noch das Trinkwasser in der Gegend seien für Menschen und Tiere gefährdend. Doch die Menschen im Ort klagen über Gesundheitsbeschwerden – darunter Kopfschmerzen, gereizte Augen und Ausschlag. Ölige Schlieren durchziehen einen Bach in der Nähe der Unfallstelle. Es wurden Tausende tote Fische und Frösche in Gewässern in der Gegend gefunden. Laut Aussagen der Direktorin des Ohio Department of Natural Resources soll es aber "keine Hinweise" geben, dass die Tiere wegen der Folgen der Entgleisung verendet seien.

Bidens Verkehrsminister duckt sich weg

Beanstandet wird die Rolle der großen Medien, die nach Meinung vieler zu spät auf das Thema aufgesprungen seien. Zwar finden sich von Beginn an Artikel zu dem Unglück in verschiedenen großen Publikationen. In den täglichen Pressekonferenzen im Weißen Haus spielte das Unglück von Ohio dagegen eine eher untergeordnete Rolle. Wichtiger und zahlreicher waren etwa Fragen nach der ungeklärten Herkunft der abgeschossenen Flugobjekte.

Ganz besonders in der Kritik steht aber die Biden-Regierung, welche das Ausmaß und die Wirkung der Katastrophe unterschätzt zu haben scheint. Ausgerechnet der für das Schienensystem zuständige Verkehrsminister Pete Buttigieg benötigte 11 Tage, bis er sich überhaupt zu dem Unglück äußerte. Und auch das geschah nur auf öffentlichen Druck hin. Sein Kommentar liest sich in den Augen der Betroffenen zynisch.

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Buttigieg beginnt mit den Worten: "Nach der Entgleisung in East Palestine und ihren Folgen für Hunderte von Einwohnern erkennen wir ein gestiegenes, neu entdecktes oder erneutes (und willkommenes) Interesse an unserer Arbeit zur Eisenbahnsicherheit." Danach ergeht sich der Verkehrsminister in einer Art Verteidigungsrede darin, was die Regierung alles unternehme, um für sicheren Eisenbahnverkehr zu sorgen. Bis dahin aber kein Wort über die Situation vor Ort. Buttigieg tauchte selbst nicht am Unglücksort auf. Der harmloseste Vorwurf, der auch aus den eigenen Reihen kommt: Instinktlosigkeit.

Einen Tag zuvor war dann noch ein Reporter des US-Fernsehsenders "Newsnation" bei seinen Recherchen in Ohio verhaftet und erst später wieder freigelassen worden. Daraufhin schaltete sich unter anderem die in den USA und auch in Deutschland durch eine Julia-Roberts-Verfilmung bekannte Umweltaktivistin Erin Brockovich ein und schrieb: "Viele unbeantwortete Fragen zu dieser Zugentgleisung in Ohio [...] Es gehen wirklich schlimme Dinge vor sich. Jetzt werden schon Reporter verhaftet." Aus ihrer eigenen Erfahrung heraus gab sie den Menschen aus East Palestine auch gleich einen Rat: "Vertrauen Sie ihren Augen, Ohren und ihrer Nase und verschwinden Sie, wenn Ihre Sinne es Ihnen sagen."

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Das Unglück ruft Trump auf den Plan

Bidens größter Gegner hat unterdessen entschieden, sich der Katastrophe in Ohio anzunehmen. Kommende Woche will Donald Trump nach East Palestine kommen. Dabei war es ausgerechnet der Ex-Präsident, der eine Regulierung zu wirksameren Bremssystemen solcher Güterzüge aus der Obama-Zeit kassiert hatte. Die aktuelle Biden-Regierung gab aber zu, dass sie bislang zögere, die Bremsbestimmungen wieder zu verschärfen, weil sie zu starken Widerstand der Industrie befürchte.

Für Trump ist die eigene Rolle dabei einerlei: "Die Menschen von East Palestine brauchen Hilfe. Wir sehen uns am Mittwoch!", schrieb er in seinem sozialen Netzwerk "Truth" und fuhr fort, dass er die Regierung in Washington schon treiben werde.

Sein Sohn Donald Trump Junior verbreitet derweil eine ganz eigene Deutung der Katastrophe von Ohio. Auf Twitter fragte er raunend: "Werden wir angegriffen? Glaubt irgendjemand, dass es all diese großen Zugentgleisungen geben kann, mit all den schwerwiegenden Folgen für die Umwelt, und es ist nur ein totaler Zufall?" Um dann ohne Belege weiterzufragen: "Warum haben wir bislang noch niemanden gesehen, der gefragt hat, ob dies vielleicht eine Vergeltung für unseren angeblichen Angriff auf Nord Stream 2 ist?"

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Tatsächlich haben Unfälle von Eisenbahnwaggons mit Gefahrengut der auch in diesem Fall betroffenen US-Bahngesellschaft Norfolk Southern in den vergangenen zehn Jahren sprunghaft zugenommen. Laut Daten des US-Verkehrsministeriums waren allein im vergangenen Jahr 770 solcher Gefahrengut-Waggons in Unfälle verwickelt. Im Jahr 2012 waren es nur 79. Schon kurz nach dem Unglück von Ohio entgleiste ein weiterer Zug außerhalb von Detroit. Mindestens sechs Waggons mit Gefahrgut kamen dabei von der Strecke ab.

Die Menschen in East Palestine erwarten Antworten. Hunderte kamen in den vergangenen Tagen zu Versammlungen und ließen ihrer Wut über fehlende Informationen freien Lauf. Plötzlich stehen sie im Zentrum der Aufmerksamkeit. Kommende Woche will nicht nur Trump in ihr Dorf kommen. Auch Erin Brockovich hat sich für Donnerstag angekündigt. Zwar kam der Direktor der US-Umweltbehörde Epa, Michael Regan, kurz vorbei. Ein hochrangiger Regierungsbesuch von Verkehrsminister Pete Buttigieg oder gar des Präsidenten soll aber nach wie vor nicht geplant sein.

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