Ukraine-Konflikt "Inklusive Nord Stream 2": Baerbock droht Russland mit harter Reaktion
Die Bundesregierung verteidigt ihr Vorgehen im Ukraine-Konflikt und lehnt Waffenlieferungen weiterhin ab. Außenministerin Baerbock hat betont, man wolle eine diplomatische Lösung, sei aber auch zu Sanktionen bereit.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat die Absage der Bundesregierung an Waffenlieferungen in die einen neuen russischen Angriff fürchtende Ukraine verteidigt. Den außenpolitischen Kurs in dieser Frage um 180 Grad zu drehen, "das sollte man schon bei vollem Bewusstsein tun und vor allen Dingen damit nicht Türen für Deeskalation verschließen, die sich gerade in diesem Moment so zaghaft wieder öffnen", sagte Baerbock am Donnerstag im Bundestag mit Blick auf die Wiederaufnahme von Gesprächen. Die Bundesregierung arbeite an einem "starken Sanktionspaket", sagte sie. "Bei neuer Aggression steht die Bandbreite unserer Antworten zur Verfügung, inklusive Nord Stream 2", so Baerbock.
Deutschland unterstütze die Ukraine auch militärisch, sagte Baerbock. Sie nannte die Lieferung von 5.000 Schutzhelmen, den Bau von Schutzbunkern und die Ausbildung ukrainischer Soldaten. Der Dialog habe aber absolute Priorität. Baerbock: "Wer redet, der schießt nicht. Daher ist es fatal, die Wiederaufnahme von Dialog jetzt einfach so abzutun." Die Bundesregierung setze auch weiter darauf, die Ukraine wirtschaftlich und finanziell zu stärken. Aus den Reihen der Ampelkoalitionäre SPD und FDP kam Zustimmung.
Deutsche Gasversorgung nicht gefährdet
Die deutsche Gasversorgung sieht Baerbock auch im Fall eines russischen Lieferstopps derzeit nicht gefährdet. "Die Versorgungssicherheit in Deutschland ist gewährleistet, auch wenn wir ohne Frage im Moment noch in sehr starkem Maß von Öl- und Gasimporten aus Russland abhängig sind", sagte Baerbock den Zeitungen der Funke Mediengruppe sowie der französischen Zeitung "Ouest-France" nach Angaben vom Donnerstag.
Hintergrund sind Befürchtungen, Russland könnte bei einer Eskalation des Ukraine-Konflikts seine Gaslieferungen unterbrechen, etwa als Reaktion auf Sanktionsmaßnahmen der EU und anderer westlicher Staaten. Für die Zukunft empfahl Baerbock eine größere Unabhängigkeit von Gasimporten durch mehr Ökostrom. "Unseren Energie-Mix mit viel mehr erneuerbaren Quellen anzureichern, ist daher ein wichtiger Beitrag zu mehr Energiesicherheit", sagte sie den Funke-Zeitungen und "Ouest-France".
In Verbindung mit der Übermittlung von US-Antworten auf russische Forderungen nach "Sicherheitsgarantien", sagte Baerbock den Zeitungen: "Wir müssen auf alles vorbereitet sein." Dies gelte für eine militärische Aggression durch Russland ebenso wie für "hybride Angriffe wie Cyberattacken oder die Ausschaltung der Stromversorgung".
Gespräche zwischen USA und Russland
Angesichts des massiven russischen Truppenaufmarsches in der Nähe der Ukraine wird im Westen befürchtet, dass der Kreml einen Einmarsch in das Nachbarland planen könnte. Für möglich wird allerdings auch gehalten, dass nur Ängste geschürt werden sollen, um die Nato-Staaten zu Zugeständnissen bei Forderungen nach neuen Sicherheitsgarantien zu bewegen. Die Bemühungen um eine Entschärfung des Konflikts dauern seit Wochen bei verschiedenen Gesprächen an.
Auf das jüngste Dialogangebot der USA reagierte Russland kühl, erteilte weiteren Gesprächen jedoch keine völlige Absage. "Es gibt keine positive Antwort auf die Hauptfrage" zu den russischen Sicherheitsbedenken, aber "es gibt eine Reaktion, die auf den Beginn eines ernsthaften Gesprächs über zweitrangige Fragen hoffen lässt", erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Donnerstag.
Peskow: Russische Ansichten bislang nicht berücksichtigt
Es habe bisher vonseiten der USA keine "positive" Antwort auf die Hauptforderung nach Garantien zu einem Verzicht auf eine weitere Nato-Osterweiterung gegeben, kritisierte Lawrow. Er ließ jedoch die Tür für Gespräche offen und erklärte einen Dialog über "zweitrangige Fragen" für nicht ausgeschlossen.
Auch Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte, dass russische Ansichten bislang nicht berücksichtigt worden seien. Die Dokumente, die Washington in Abstimmung mit seinen Nato-Verbündeten am Mittwoch übergeben hatte, befänden sich in den Händen von Präsident Wladimir Putin. "Wir sollten keine voreiligen Einschätzungen abgeben, eine Analyse braucht Zeit", sagte Peskow weiter.
Merz kritisiert Scholz
Der künftige CDU-Parteichef Friedrich Merz warf in der Debatte vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fehlendes Engagement vor. "Es droht ein Krieg in einem Teil unseres Kontinents, der von den Verbrechen des Zweiten Weltkrieges in besonders brutaler Weise betroffen war", so Merz. Diese Gefährdung des Friedens in Europa gehe ausschließlich von der Russischen Föderation und von Wladimir Putin aus. "Die Menschen in unserem Land erwarten von Ihnen jetzt, dass Sie im deutschen Parlament eine klare Einschätzung der Lage aus Ihrer Sicht geben und dass Sie vor allem die Konsequenzen daraus für Deutschland und für Europa aufzeigen", sagte Merz an die Adresse von Scholz.
Mehrheit der Deutschen gegen Waffenlieferungen
Eine deutliche Mehrheit der Deutschen ist gegen die Lieferung deutscher Waffen an die Ukraine. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov schlossen sich 59 Prozent der Befragten der Haltung der Bundesregierung an, dem Land keine Waffen zur Verteidigung gegen einen möglichen Angriff Russlands zur Verfügung zu stellen. Nur 20 Prozent sprachen sich für Waffenlieferungen aus. 21 Prozent machten keine Angaben.
Waffenlieferungen werden von Wählern aller im Bundestag vertretenen Parteien mehrheitlich abgelehnt. Am stärksten ist diese Haltung bei den Anhängern der Linken (71 Prozent) und der AfD (67 Prozent) ausgeprägt. Dahinter folgen die Wähler der größten Regierungspartei SPD (61) und der größten Oppositionspartei CDU/CSU (56). Am geringsten ist der Widerstand gegen Waffenlieferungen noch bei den Anhängern der Grünen (55) und der FDP (54).
Verhandlungen wieder aufgenommen
Deutschland ist an den diplomatischen Bemühungen des Konflikts vor allem über das sogenannte Normandie-Format beteiligt. Das sind Beratungen von Regierungsvertretern Russlands, der Ukraine, Frankreichs und Deutschlands. Ziel ist es, die sogenannte Minsker Vereinbarung umzusetzen, die Frieden zwischen den prorussischen Separatisten und den Regierungstruppen in der Ostukraine bringen soll. Seit Jahren gibt es keine Fortschritte. Am Mittwoch wurden die Verhandlungen aber nach Monaten Funkstille zunächst von den außenpolitischen Beratern der Staats- und Regierungschefs wieder aufgenommen.
Bei der umstrittenen Ostseepipeline Nord Stream 2 überwiegen bei den Deutschen die Sympathien für eine Inbetriebnahme. 47 Prozent befürworten die Gasleitung von Russland nach Deutschland, 33 Prozent lehnen sie eher ab. 19 Prozent machen keine Angaben.
Nord Stream 2 als mögliches Sanktionsinstrument
Auf die Frage, ob die Pipeline ein Sanktionsinstrument bei einem russischen Angriff auf die Ukraine sein sollte, gibt es kein ganz eindeutiges Ergebnis. 43 Prozent sind für Konsequenzen für die Pipeline im Ernstfall. 33 Prozent sind auch dann noch dagegen. Eine Mehrheit für Nord Stream 2 als Sanktionsinstrument gibt es nur bei den Wählern der Grünen (63 Prozent) und der SPD (54 Prozent).
Eigentlich sollte schon seit rund zwei Jahren Erdgas durch die Ostseepipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland fließen. Doch unter anderem Sanktionen und Sanktionsdrohungen aus den USA hatten das Projekt verzögert.
Mittlerweile sind beide Leitungen des rund 1.200 langen Doppelstrangs fertiggestellt und mit Gas gefüllt, aber weiterhin nicht in Betrieb. Durch den Doppelstrang sollen jährlich etwa 55 Milliarden Kubikmeter Gas fließen. Befürworter argumentieren, das Gas werde als Energieträger für den Übergang zu erneuerbaren Energien benötigt.
- Nachrichtenagenturen AFP, dpa