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Eskalation in Kasachstan: Polizei tötet Dutzende Demonstranten in Almaty


"Heftige Schusswechsel"
Polizei tötet Dutzende Demonstranten in Kasachstan

Von dpa, rtr
Aktualisiert am 06.01.2022Lesedauer: 4 Min.
Brennendes Auto in Almaty: In der Hauptstadt Kasachstans flammen gewalttätige Proteste auf, nachdem in dem Land die Gaspreise zuletzt drastisch gestiegen waren.Vergrößern des Bildes
Brennendes Auto in Almaty: In der Hauptstadt Kasachstans flammen gewalttätige Proteste auf, nachdem in dem Land die Gaspreise zuletzt drastisch gestiegen waren. (Quelle: imago-images-bilder)

Die Situation in Kasachstan verschärft sich: Es soll nun zu "heftigen Schusswechseln" gekommen sein. Demonstranten hätten versucht, Dienststellen der Polizei zu stürmen. Mehrere Menschen wurden "eliminiert".

Die schweren Ausschreitungen in der Republik Kasachstan dauern an. In der Millionenstadt Almaty habe es am Donnerstag vor dem Rathaus einen "heftigen Schusswechsel" zwischen Dutzenden bewaffneten Menschen und dem Militär gegeben, meldete die russische Staatsagentur Tass unter Berufung ihres Korrespondenten vor Ort. 300 Soldaten seien etwa in gepanzerten Mannschaftswagen angerückt. Sie hätten den Platz umstellt.

"Extremistische Kräfte" hätten versucht, Verwaltungsgebäude sowie die Zentrale und mehrere Dienststellen der Polizei in Almaty zu stürmen, sagte Polizeisprecher Saltanat Asirbek den Nachrichtenagenturen Interfax-Kasachstan, Tass und Ria Nowosti. Dutzende Angreifer seien "eliminiert" worden.

Internetseiten kasachischer Medien waren auch am Morgen nicht vom Ausland aus zu erreichen. Die genaue Lage war deshalb unklar.

"Riecht stark nach Feuer"

Viele Supermärkte und Geschäfte seien geplündert worden, darunter der Laden eines Waffenhändlers. Zudem seien viele Geldautomaten gesprengt worden. "In der Stadt riecht es stark nach Feuer", berichtete das kasachische Medium Vlast im Nachrichtenkanal Telegram.

Dagegen zeigten Videos aus der Hauptstadt Nur-Sultan (früher Astana), wie das öffentliche Leben in den neuen Tag startete. Zu sehen sind Autos und Linienbusse auf den Straßen, aber auch ein großes Aufgebot an Sicherheitskräften, die das Regierungsgebäude abgeriegelt haben. Am Flughafen der Stadt fielen Berichten zufolge Flüge aus. Im gesamten Land gilt der Ausnahmezustand. Vor einigen Banken bildeten sich lange Warteschlangen.

Russen entsenden Truppen

Die "Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit" wird auf Anfrage Kasachstans Friedenstruppen entsenden, schrieb zuvor der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan auf Facebook. Davor hatte Kasachstans Staatschef Kassym-Schomart Tokajew Hilfe bei dem Bündnis angefordert. Zur OVKS gehören Russland, Belarus, Armenien, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan.

Das US-Außenministerium hat Sicherheitskräfte und Demonstranten im zentralasiatischen Kasachstan zur Mäßigung aufgerufen und eine friedliche Beilegung des Konflikts gefordert. "Wir bitten alle Kasachen, die verfassungsmäßigen Institutionen, die Menschenrechte und die Pressefreiheit inklusive einer Wiederherstellung des Internetzugangs zu respektieren und zu verteidigen", erklärte der Sprecher des Ministeriums, Ned Price, am Mittwoch. Die USA forderten alle Parteien dringend auf, angesichts des Ausnahmezustands eine friedliche Lösung zu finden, so Price.

Flughafen "befreit"

Die Lage in Kasachstan in Zentralasien war zuvor eskaliert: Nach teils gewaltsamen Massenprotesten gegen die autoritär geführte Regierung ging das Militär gegen die Demonstranten vor. "Terroristische Banden" hätten sich in der Großstadt Almaty einen Kampf mit Fallschirmjägern geliefert, sagte Präsident Kassym-Schomart Tokajew in der Nacht zum Donnerstag in einer Fernsehansprache.

Der Flughafen der Stadt sei "befreit" worden, berichteten kasachische Medien unter Berufung auf den stellvertretenden Bürgermeister von Almaty, Erschan Babakumarow. Es habe eine "Spezialoperation" begonnen. Am Mittwoch hatte der Flughafen Medienberichten zufolge mitgeteilt, der Airport sei geräumt worden und die Mitarbeiter hätten das Gelände verlassen. Eine Menschenmenge hatte das Gebäude besetzt.

Ausnahmezustand verhängt

Zuvor war es in der Wirtschaftsmetropole Almaty zu massiven Krawallen gekommen. Demonstranten stürmten die Stadtverwaltung und die Residenz von Präsident Tokajew. Der Staatschef entließ noch am selben Tag die Regierung und verhängte in Teilen des Landes den Ausnahmezustand.

Dem Präsidenten zufolge gab es bei den Krawallen mehrere Todesopfer. Wie das Innenministerium kasachischen Medien zufolge mitteilte, sind mindestens acht Polizisten und Soldaten der Nationalgarde getötet worden. 317 weitere seien verletzt worden.

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Größte Protestwelle seit Jahren

Genaue Opferzahlen gab es nicht. Ob Präsident Tokajew selbst die Truppen befehligt oder ob die Armee auf eigene Initiative handelt, war zunächst unklar. Bei den teils gewaltsamen Demonstrationen wurden nach Angaben der Regierung mehr als 200 Menschen festgenommen.

In der ehemaligen Sowjetrepublik, die Jahrzehnte lang von Machthaber Nursultan Nasarbajew regiert wurde, ist dies die größte Protestwelle seit Jahren. Das Land mit mehr als 18 Millionen Einwohnern grenzt an Russland, China und im Südwesten ans Kaspische Meer. Es ist reich an Öl, Gas und Uran. Trotzdem kämpft Kasachstan mit Misswirtschaft und Armut. Korruption ist verbreitet.

Die Nachrichtenagentur Tengrinews veröffentlichte Videos, die Flammen am Sitz der Stadtverwaltung zeigten. Schwarzer Rauch stieg auf. Immer wieder waren Knallgeräusche zu hören. Feuer sollen auch in anderen öffentlichen Einrichtungen ausgebrochen sein. Es brannte auch in der Residenz des Präsidenten. Demonstranten zerstörten Fenster mehrerer Gebäude und zündeten Autos an.

Behörden haben das Internet abgeschaltet

Wie viele Tausend Menschen sich an den Protesten beteiligten, war unklar. Am Nachmittag war es schwer, ein genaues Bild von der Lage zu bekommen. Mehrere Fernsehsender stellten den Betrieb ein. Die Behörden sprachen am Nachmittag allein in Almaty von 500 Verletzten.

Tokajew sagte in einer Ansprache: "Die Situation bedroht die Sicherheit aller Bürger von Almaty. Das kann nicht toleriert werden." Die Sicherheitskräfte würden "so hart wie möglich" vorgehen. Der Präsident kündigte zudem Reformen an. Konkret wurde er aber nicht.

Bereits in der Nacht zum Mittwoch hatte es heftige Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gegeben. Den Behörden zufolge wurden 190 Menschen verletzt. Auch in anderen Städten gingen Menschen auf die Straße.

Steigende Preise, wachsender Unmut

Der Protest hatte am Wochenende begonnen. Auslöser waren deutlich gestiegene Preise für Flüssiggas an den Tankstellen. Viele Kasachen tanken Flüssiggas, weil es billiger als Benzin ist. Die Regierung begründete die höheren Preise mit gestiegener Nachfrage. Seit Jahresbeginn wird der Gashandel komplett über die Energiebörse abgewickelt. Die Inflation stieg stark. Der Unmut in der Bevölkerung ist groß.

Tokajew versuchte, die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen. "Reagieren Sie nicht auf die Aufrufe, offizielle Gebäude zu stürmen. Das ist ein Verbrechen", sagte der Staatschef, der seit 2019 im Amt ist. Nach seiner Wahl hatte es ebenfalls Proteste mit Hunderten Festnahmen gegeben. Für die jetzige Gewalt machte der 68-Jährige "in- und ausländische Provokateure" verantwortlich.

Preissenkungen halfen nicht

Tokajew ordnete auch Preissenkungen an. Viele Demonstranten gaben sich damit nicht zufrieden. Unter dem Druck der Öffentlichkeit trat Ministerpräsident Askar Mamin mit seiner gesamten Regierung zurück. Der bisherige Vize Älichan Smajylow übernahm die Amtsgeschäfte. Russland rief zu einer friedlichen Lösung des Konflikts auf. Ähnlich äußerten sich die US-Regierung und die EU. Washington rief zugleich die Behörden zur Zurückhaltung auf.

Kasachstan wurde bis 2019 von Nasarbajew regiert. Auch nach seinem Abgang blieb der Langzeitherrscher einflussreich, unter anderem als Chef des Sicherheitsrates. Tokajew kündigte nun an, dass er diesen Posten übernommen habe. Es gab auch Spekulationen über einen Umsturz.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
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