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Türkei und die Taliban: Erdoğan läuft in ein Minenfeld


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Türkei und Taliban
Erdoğan läuft in ein Minenfeld


Aktualisiert am 10.09.2021Lesedauer: 4 Min.
Recep Tayyip Erdoğan: Der türkische Präsident verfolgt in Afghanistan vier zentrale strategische Ziele.Vergrößern des Bildes
Recep Tayyip Erdoğan: Der türkische Präsident verfolgt in Afghanistan vier zentrale strategische Ziele. (Quelle: imago-images-bilder)

Nach dem Abzug der westlichen Koalition aus Afghanistan sieht Präsident Erdoğan eine Chance gekommen, um seinen Einfluss auszubauen. Doch sein Spiel mit den Taliban ist riskant.

Er träumt noch immer von einer Türkei als Großmacht mit Führungsanspruch gegenüber den muslimischen Staaten im Nahen und Mittleren Osten. Deshalb schickte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Soldaten und Drohnen nach Syrien, Libyen und Berg Karabach.

In Afghanistan sieht Erdoğan nun eine Chance, den Einfluss der Türkei weiter auszubauen. Die westliche Koalition hat das Land verlassen, Länder wie China, Russland und der Iran stoßen in das Machtvakuum. Es geht um eine neue Ordnung am Hindukusch, Erdoğan möchte mitmischen.

Dafür setzt der türkische Präsident auf ein riskantes Spiel mit den islamistischen Taliban. Ein Einsatz der Türkei könnte schnell zur politischen Katastrophe werden, Afghanistan ist für Erdoğan wie ein Minenfeld.

Erdoğans strategische Ziele

Bereits während der überstürzten Flucht des Westens in den vergangenen Wochen schickte die Türkei Unterstützung. Der erfahrene Kommandeur Samet Yüksel unterstützte mit türkischen Streitkräften die USA bei der Sicherung des Flughafens in Kabul. Darüber hinaus bemühte sich die türkische Regierung schon früh darum, Drähte für Verhandlungen mit den Taliban aufzubauen.

Dabei verfolgt Erdoğan vier zentrale Ziele:

  • Einfluss: Erdoğan träumt von einer Erneuerung des Osmanischen Reichs und sieht die Türkei als Erbe der Einflusssphäre der einstigen Großmacht. Zentral geht es ihm um mehr internationale Geltung für sein Land, deshalb will er vor allem mit militärischen Mitteln die Macht der Türkei in der Region ausbauen.
  • Freundschaftspflege: Die Türkei hat momentan Einflussmöglichkeiten auf die Taliban, die der Westen teilweise nicht mehr hat. Erdoğan unterstützte in der Vergangenheit andere radikal-sunnitische Bewegungen wie die Muslimbrüder in Ägypten. Das eröffnet Zugänge. Als mehrheitlich muslimisches Land genießt die Türkei in Afghanistan mehr Glaubwürdigkeit als die restlichen Nato-Partner. Die USA und die EU-Partner zeigen sich dagegen dankbar, dass Erdoğan Gesprächskanäle zu den Taliban öffnet. Das verbessert die Beziehung zum Nato-Partner Türkei, die in den vergangenen Jahren immer wieder angespannt war.
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  • Wirtschaft: Auch die Türkei verfolgt in Afghanistan wirtschaftliche Interessen. Die Taliban sind auf Unternehmen aus dem Ausland angewiesen, die beim Wiederaufbau helfen. Außerdem ringen Länder wie China um Schürfrechte für seltene Erden und Rohstoffe.
  • Flüchtlinge: Letztlich verteidigt Erdoğan auch eigene Sicherheitsinteressen in Afghanistan. Die türkische Regierung möchte eine große Fluchtwelle in das eigene Land verhindern. Es sind schon knapp 3,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien in der Türkei – das sorgt vor allem im Zuge der Wirtschaftskrise für zunehmend soziale Spannungen.

Ein riskantes Machtspiel

Doch das Engagement von Erdoğan und ein Deal mit den Taliban sind auch mit großen Risiken verbunden. Wirtschaftlich kann sich die Türkei einen langwierigen und teuren Einsatz eigentlich nicht leisten. Sowohl gegenüber dem US-Dollar als auch dem Euro fiel die Lira am Mittwochvormittag um mehr als ein Prozent zurück. Für einen Dollar mussten zuletzt knapp 8,47 Lira gezahlt werden, ein Euro kostete rund 10 Lira. Die Talfahrt der Währung hält an, Inflation und Arbeitslosigkeit machen den Türkinnen und Türken schon länger zu schaffen.

Deshalb sehnt sich die Türkei eigentlich nach ruhigeren Zeiten. Erdoğans außenpolitische Machtspiele sind oft ein innenpolitisches Ablenkungsmanöver, die wirtschaftliche Situation der Türkinnen und Türken verbessern sie nicht – im Gegenteil.

Außerdem lässt sich die Zusammenarbeit mit den Taliban nur schwer planen. Die Islamisten greifen mit brutaler Gewalt nach der völligen Kontrolle in Afghanistan. Es gibt zahlreiche Berichte über Morde und andere Gewalttaten. Meinungsfreiheit und Frauenrechte sind massiv eingeschränkt, praktisch nicht mehr existent. Durch zu enge Beziehungen dürfte auch die Türkei mit am Pranger stehen, was wiederum nicht im Interesse Erdoğans ist.

"Keine Missverständnisse"

Dabei sind die Taliban selbst in der Türkei äußerst unbeliebt. Nur knapp 30 Prozent der türkischen Bevölkerung sprechen sich laut einer aktuellen Umfrage dafür aus, eine Taliban-Regierung anzuerkennen. Das jedoch dürfte eine Voraussetzung für künftige Beziehungen sein.

Momentan geht es jedoch vielmehr darum, dass der Flughafen in Kabul wieder in Betrieb genommen werden kann – dabei sollen die Türkei und Katar helfen. Doch eine Einigung mit den Islamisten ist schwierig: Die Taliban möchten keinesfalls erneut fremde Truppen in Afghanistan und auch die türkische Armee war die vergangenen 20 Jahre im Land, wenngleich sie nicht in Kampfeinsätze verwickelt war.

"Wir wollen nicht, dass es zu Missverständnissen zwischen uns und der Türkei kommt", erklärte Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid. "Die Menschen in Afghanistan sind ausländischen Truppen gegenüber sehr sensibel. Deshalb sorgen wir für Sicherheit." Doch die Türkei wird sich nicht ohne Absicherung auf ein erneutes Abenteuer in Afghanistan einlassen, das wäre selbst für Erdoğan zu riskant.

"Die Taliban haben nicht die nötigen Kapazitäten. Sie werden früher oder später nach Hilfe verlangen, schließlich wissen sie um die große Bedeutung des Flughafens", sagte Erdoğan-Sprecher Ibrahim Kalın.

Türkische Sicherheitsfirma im Gespräch

Deshalb ist momentan ein Kompromiss im Gespräch: Die Türkei könnte ein gemischtes Kontingent aus Sicherheitskräften in zivil und einer privaten Sicherheitsfirma schicken.


In Ankara ist offenbar das private Militär- und Sicherheitsunternehmen Sadat Defense (Sadat A.Ş) im Gespräch. Offiziell ist Sadat eine Beratungsfirma, inoffiziell eine Söldnermiliz, die von der türkischen Regierung vor allem für verdeckte Operationen beauftragt wird. In der Türkei gilt Sadat als Schattenarmee des türkischen Präsidenten.

Ihr Gründer Adnan Tanrıverdi nennt sich selbst einen Islamisten, seine Ansichten scheinen nach dem Ausscheiden aus der Armee immer radikaler zu werden. Auch viele Mitglieder von Sadat sollen radikale nationalistisch-islamistische Ansichten vertreten, berichten Insider. Die Privatarmee gibt sich selbst einen eindeutig religiösen Auftrag: "Die islamische Welt dabei zu unterstützen, den verdienten Platz unter den Supermächten einzunehmen."

Damit könnte nun eine Sicherheitsfirma mit einer islamistischen Ideologie die Machtinteressen von Erdoğan in Afghanistan durchsetzen, in Zusammenarbeit mit den islamistischen Taliban. Das bietet der Nato zwar noch etwas Einfluss auf die Geschicke des Landes, in dem man die vergangenen 20 Jahre gekämpft hat.

Doch die Annahme, dass es am Ende diese Kräfte von Erdoğan sein werden, die in Afghanistan Frauenrechte und Meinungsfreiheit schützen, wäre vor allem eines: naiv.

Verwendete Quellen
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