Nach Machtwechsel in Afghanistan Er erklärt den Taliban den Krieg
In Afghanistan formt sich Widerstand gegen die Taliban. Nördlich von Kabul wollen sich ihnen der Sohn eines Kriegshelden sowie der Ex-Vize-Präsident entgegenstellen
Im Pandschirtal nördlich von Kabul keimt der Widerstand gegen die Taliban. Der Sohn von Ahmed Schah Massud, dem früheren Kriegsherrn, verkündete unter anderem in der "Washington Post", er verfüge über die nötigen Kräfte für einen wirksamen Widerstand. In Online-Netzwerken zeigt Ahmed Massud sich mit dem afghanischen Ex-Vize-Präsidenten Amrullah Saleh, der sich ebenfalls ins Pandschirtal zurückgezogen und Widerstand angekündigt hat.
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Doch der Ausgang der lautstarken Ankündigungen ist Experten zufolge ungewiss: "Der Widerstand ist vorerst nur verbal, weil die Taliban nicht versucht haben, in das Tal vorzudringen", sagt Gilles Dorronsoro, Politikwissenschaftler an der Pariser Sorbonne. Sein Kollege Abdul Sajed aus Lund in Schweden hält fest, dass die Taliban "von allen Seiten her das Pandschirtal umzingeln".
Am Samstagabend dann verkündete der ehemalige Verteidigungsminister Bismillah Mohammadi, der sich mit Teilen der Regierungsgruppen in das Pandschirtal zurückgezogen hatte, dass das kontrollierte Gebiet ausgeweitet werden könnte. Drei nahe dem Tal gelegene Bezirke seien eingenommen worden. "Der Widerstand lebt noch", schreibt er auf Twitter. Von anderer Seite bestätigt wurde seine Ankündigung jedoch nicht.
Pandschirtal im Visier
Die italienische Hilfsorganisation Emergency verzeichnete am Mittwoch eine Zunahme von Kriegsverletzten im Pandschirtal. Im Tal selbst gebe es derzeit keine Kämpfe, sagt hingegen ein Franzose, der Ende der 90er Jahre auf der Seite Massuds kämpfte und anonym bleiben will, der Nachrichtenagentur AFP. Aber auf der Verbindungsstraße durch die Ebene von Schamali gebe es möglicherweise einige Scharmützel.
Bill Roggio vom US-Forschungsinstitut FDD bestätigt, dass das Tal von den Taliban nicht erobert wurde. Er macht darauf aufmerksam, dass der Status der Nachbar-Provinz Parwan nicht geklärt sei; Salehs Einheiten hätten versucht, vom Pandschirtal aus ihre Kontrolle dorthin auszuweiten.
Taliban will sich "normalisieren"
Die Taliban seien in Kabul "ohne viel Gewalt" an die Macht gelangt. Wenn sie nun einen "frontalen Angriff" mit allem "symbolischen Gewicht" auf das Pandschirtal starteten, liefe das ihrem Willen zuwider, sich zu "normalisieren".
Gleichzeitig sind die Zielsetzungen von Ahmed Massud und Saleh unterschiedlich, wenn nicht unvereinbar. Dorronsoro bescheinigt den beiden eine "Dissonanz". Massud habe "keine offizielle Position" und verfüge in Afghanistan über "keine starke Unterstützung außer im Pandschirtal".
Ein großes Erbe
Der französische Experte, der sich in der Region auskennt, vertritt die Ansicht, dass Massud der "Legende" seines Vaters nacheifere. "Er fühlt sich als Träger eines Erbes, gibt sich als kleiner Löwe." Massuds Vater nannte sich "der Löwe des Pandschirtals". Sein Sohn ziehe daraus offenbar den Schluss: "Wenn jemand Widerstand leisten muss, dann bin ich es."
Saleh strebt ein ganz anderes Erbe an. Nach der Flucht von Aschraf Ghani aus Kabul sieht er sich als verfassungsmäßiger Präsident des Landes.
Weiterer Verlauf ungewiss
Es ist noch nicht absehbar, ob in den kommenden Wochen Verhandlungen mit den Taliban oder eine vehemente Form des Widerstands aus dem Pandschirtal anstehen. Die politischen Interessen der Tal-Bewohner werden in Kabul derzeit vom früheren Regierungschef Abdullah Abdullah und in Pakistan von Verwandten Massuds vertreten, wie der französische Experte erläutert.
Er hält es für möglich, dass der Widerstand im Pandschirtal vor allem dazu dienen soll, Druck auf die Verhandlungen in Kabul zu erzeugen. Abdullah werde dann zu gegebenem Zeitpunkt Massud anrufen, um ihm zu sagen: "Es ist gut, du kannst Schluss machen, wir haben eine gute Vereinbarung." Saleh hingegen folge einer völlig anderen Logik, weil er ein "persönlicher Feind der Taliban" sei.
So gut wie keine Chance
Militärisch gibt es gegen die Taliban so gut wie keine Chance. Die Islamisten müssten das Tal lediglich "abriegeln", sagt Dorronsoro. Es sei nicht erforderlich, wirklich in das Tal vorzudringen. Massud habe Jugendliche, Fahrzeuge, Hubschrauber und Munition, sagt der frühere französische Kämpfer. Dennoch stimmt er dem Wissenschaftler zu: "Sie können so tun als ob, sich im Tal verschanzen, aber kaum mehr."
Eine gewisse Unsicherheit bei der Beurteilung der Gesamtsituation entsteht dadurch, dass ausländische Partner daran interessiert sein könnten, den Widerstand in Afghanistan zu fördern – aus Begeisterung über die Legende Massud oder weil sie einen fanatischen Gottesstaat verhindern wollen.
- Nachrichtenagentur AFP