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Taliban vor der Machtübernahme: Bedingungslose Kapitulation


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Taliban vor der Machtübernahme
Bedingungslose Kapitulation


Aktualisiert am 15.08.2021Lesedauer: 3 Min.
Konflikt in Afghanistan
"Das ist nicht Saigon": So reagieren die USA auf die verheerende Lage in Afghanistan. (Quelle: Glomex)

Rasend schnell erobern die Taliban das Land zurück. Die Regierung Ghani will die Macht friedlich abgeben – friedlich, an die Taliban? Aus Kabul fliehen die Menschen, aber wohin?

Kabul fällt. Heute, morgen, übermorgen, egal wann, die Hauptstadt ist reif, wie ja auch das ganze Land ohne großen Widerstand fällt. Die Taliban haben ihre eigene Zeitrechnung und sie heißt: höllische Eile. Sie warten nicht ab, bis alle Amerikaner Kabul verlassen haben, sie wollen Gericht halten: über die Söldner des Westens, auch wenn sie nur Koch oder Fahrer waren; über die Frauen, die Richterinnen, Professorinnen, Studentinnen oder auch wenn sie nur Putzfrauen waren; über die politische Elite von Gnaden des Westens.

Vor 20 Jahren schwor Amerika Rache für die Anschläge am 11. September. Jetzt schwören die Taliban Rache für die Vertreibung von der Macht und wollen auslöschen, was zwischendurch entstanden ist. Und niemand kann ihre Rückkehr an die Macht auch nur hinauszögern, so sieht es aus.


Kabul ist das Saigon dieser Tage. Viereinhalb Millionen Menschen leben hier. Zehntausende dürften in den vergangenen Tagen hierher geflohen sein, aus Kandahar oder Herat oder aus welcher Stadt auch immer, die von den Taliban erobert wurde. Angst müssen sie haben, was denn sonst. Soldaten werden ihre Uniformen verbrennen. Frauen und Mädchen tun gut daran, sich präventiv zu verschleiern, als wären sie nie zur Schule oder Uni gegangen. Wer Verwandte in Amerika oder Europa hat, wird verzweifelt versuchen, noch einen der letzten Flüge zu bekommen.

Nicht annähernd alle werden es schaffen

Amerikaner und Deutsche glaubten Zeit zu haben. Haben sie nicht. Nun müssen sie herbeieilen, um ihre eigenen Leute aus Kabul herauszuholen und wenigstens ein paar Afghanen, die für sie gearbeitet haben, mit nach Hause nehmen. Nicht annähernd alle werden es schaffen. Herzzerreißende Bilder werden wir in den nächsten Tagen ertragen. Schreckensbilder vom Gottesgericht der Taliban.

Präsident Joe Biden rechtfertigt seine Entscheidung, die Truppen abzuziehen, mit diesem Argument: Nichts Entscheidendes ließe sich in den nächsten zwei Jahren ändern. Das stimmt sogar. Die Regierungen von Hamid Karzai bis zu Ashraf Ghani: korrupt, weil Geld in Afghanistan das Schmiermittel für Loyalität ist. Die Streitkräfte: teuer ausgebildet und ausgerüstet, aber kampfesunwillig, wie man jetzt weiß. Afghanistan: ein Land ohne Zentrum und reguläre Wirtschaft, in dem Paschtunen und Tadschiken und Hasards um die Macht rivalisieren und der Drogenanbau Geld einbringt; und dann diese Taliban, die wie die Vietcong ihr eigenes Leben gering achten.

Friedlich? Die Taliban?

Die Regierung Ghani kündigt gerade an, sie werde die Macht friedlich übergeben. Auch so kann man bedingungslose Kapitulation definieren. Friedlich? Die Taliban?

Joe Biden hat die Invasion nicht gestartet, das haben die Herren Bush/Cheney/Powell, von denen in diesen Tagen dröhnendes Schweigen zu hören ist. Aber Biden verantwortet den Abzug und seine Folgen. Die Demokraten, die ihn tragen, werden ihr Gewissen schon bald entdecken und ihn fragen: Und die armen Afghanen? Warum hast du das so gemacht, wie du das gemacht hast?

Auch in Deutschland werden die Kandidaten und die Kandidatin für das Kanzleramt die Hände ringen, was aus den Frauen und Mädchen in Afghanistan nur werden soll. Ja, man kann nur trauern über die verlorenen Lebenschancen, über den ruchlosen Abzug nach 20 Jahren nach dem Motto – dumm gelaufen, nichts wie raus. Man kann nur Wut und Zorn über den Steinzeitislam der Taliban empfinden.

Aber wäre es nicht angebracht gewesen, wenn die SPD und/oder die Grünen in deutschen Städten Solidaritätsdemonstrationen organisiert hätten? Oder sind unsere Linken vielleicht übermäßig mit sich selbst beschäftigt – mit Gendern und Diversität und einem Pipifax-Wahlkampf hierzulande? Wie halten sie es eigentlich als Moralweltmeister mit der Weltpolitik?

Schicksalsglaube ist gescheitert

Amerika kombinierte seine Invasionen immer mit einem moralischen Anspruch, dass sein Modell, Demokratie und Marktwirtschaft, jedem anderen Modell überlegen ist. So haben im Westen alle gedacht, vor allem nach dem Mauerfall 1989/90. Dieser Schicksalsglaube ist im Irak und in Afghanistan, in Syrien wie in Libyen gescheitert. Man soll ja niemals nie sagen, aber ich glaube, dass Amerika niemals wieder irgendwo in der Welt militärisch einschreiten wird: nicht in Taiwan, nicht auf den Philippinen, nicht in Myanmar, egal was sich dort an Unrecht oder sogar Genozid ereignet.

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Amerika hat seinen Glauben an sich selbst, an seine Verabredung mit der Geschichte eingebüßt. Und die Deutschen wie die Europäer insgesamt verlieren mit. Bräuchte es noch einen Grund für die Selbstverantwortung Europas, dann liefert ihn Afghanistan.

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