"Nicht sicher für dich" Timanowskaja über versuchte Entführung: Familie warnte sie vor
Die Geschichte der belarussischen Sprinterin Kristina Timanowskaja bewegt die Welt. Nun gab die 24-Jährige Details über die turbulente Flucht bekannt – und was ihre Eltern und ihre Großmutter damit zu tun hatten.
Die Leichtathletin Kristina Timanowskaja hat Einzelheiten ihrer Flucht vor dem belarussischen Regime von den Olympischen Spielen in Tokio geschildert. Der Trainer und die Mitglieder des Nationalen Olympischen Komitees von Belarus hätten sie in ihrem Hotel zur Heimreise gedrängt und ihr gedroht. "Sie haben gesagt, wenn ich aufstehe und abhaue, dann erwarten mich ernsthafte Konsequenzen", sagte Timanowskaja im Interview mit der Welt und den Partnerzeitungen Gazeta Wyborcza und El Pais.
Später sei ein Psychologe zu ihr gekommen, "ein Mann, der versuchte, mich unter Druck zu setzen und der mir Angst machte", sagte die Sprinterin und fügte an: "Er sagte mir mehrfach, dass ich Probleme mit meinem Kopf hätte und fing an, unverständliche Dinge über manische Zustände zu erzählen. Er erklärte, dass Personen, die in so einem Zustand sind wie ich, sich das Leben nehmen." Von ihren Eltern habe sie zudem erfahren, "dass im Staatsfernsehen Material über mich gezeigt wurde, in dem ich als gestörte Persönlichkeit in schlechter psychischer Verfassung dargestellt wurde".
"Meine Eltern kamen zu dem Schluss, dass ich nach meiner Rückkehr nach Hause entweder in eine psychiatrische Anstalt oder ins Gefängnis kommen würde. (…) Deshalb rief mich meine Großmutter an und sagte: 'Bitte komm nicht zurück nach Belarus, hier ist es nicht sicher für dich'", sagte Timanowskaja in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. Sie habe ihr zu einem politischen Asyl in Europa geraten.
"Ich will einfach nur meine sportliche Karriere verfolgen"
Timanowskaja ist inzwischen in Warschau in Sicherheit. Polen hat ihr ein humanitäres Visum angeboten, das sie annehmen will. Die 24-Jährige hatte wegen Entführungsvorwürfen gegen ihre eigene Delegation während der Olympischen Spiele weltweit Bekanntheit erlangt. "In mir ist etwas zerbrochen. Ich habe gespürt, dass sie keinen Respekt vor den Sportlern haben, vor meiner Arbeit und der Anstrengung, die ich in den Sport stecke und die sich zeigt, indem ich unser Land vertrete", sagte Timanowskaja. In ihren Fall hatten sich auch hochrangige Politiker eingeschaltet. So verurteilten Bundesaußenminister Heiko Maas und sein US-Amtskollege Antony Blinken das Vorgehen der belarussischen Delegation.
Timanowskaja sagte, sie sei "überrascht, dass die Situation zu einem solchen politischen Skandal wurde, weil sie als sportliches Problem begonnen hatte". Die Sprinterin beteuerte: "Ich will einfach nur meine sportliche Karriere verfolgen. Ich habe mit meinen Eltern gesprochen, und sie sagten, Polen wäre eine gute Option, weil sie irgendwann auch hierher ziehen könnten."
IOC reagierte auf Ereignisse
In Tokio reagierte unterdessen das Internationale Olympische Komitee (IOC) auf die Vorwürfe und entzog zwei belarussischen Funktionären die Akkreditierung. Die Disziplinarkommission des IOC ermittelt gegen Trainer Juri Moisewitsch und Artur Schumak, stellvertretender Leiter des nationalen Trainingszentrums, beide wurden aufgefordert das Olympische Dorf unverzüglich zu verlassen. Sie verließen danach umgehend das Camp. Die Trainer bekommen weiter die Möglichkeit, angehört zu werden.
Das IOC hatte das belarussische NOK bereits im vergangenen Jahr mit Sanktionen belegt. Der international umstrittene Staatschef Alexander Lukaschenko musste sein Amt als Vorsitzender abgeben, seinem Sohn und Nachfolger Wiktor verweigert das IOC die Anerkennung. Zudem sind die finanziellen Zuwendungen ausgesetzt. Lukaschenko geht seit der Wahl 2020 mit Polizeigewalt gegen die Demokratiebewegung in seinem Land vor, zu der auch viele Sportler zählen.
- Nachrichtenagenturen dpa und sid
- Interview von Reuters mit Kristina Timanowskaja