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Ukraine-Krieg | Sicherheitsexperte: "Russlands Niedergang bietet eine Chance"


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Chef der Münchner Sicherheitskonferenz
"Das wäre Chinas größter Albtraum"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 30.03.2023Lesedauer: 5 Min.
Xi Jinping und Wladimir Putin: Russland ist mittlerweile Chinas Juniorpartner, sagt Christoph Heusgen.Vergrößern des Bildes
Xi Jinping und Wladimir Putin: Russland ist mittlerweile Chinas Juniorpartner, sagt Christoph Heusgen. (Quelle: Alexei Maishev/imago-images-bilder)
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Nicht nur die Ukraine, sondern die gesamte Weltordnung ist in Gefahr. Davor warnt Christoph Heusgen, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Und er erklärt, warum Deutschland dringend aktiv werden muss.

Russlands führt in Europa Krieg gegen die Ukraine, doch der gesamte Globus ist betroffen. Denn Wladimir Putin und Chinas Präsident Xi Jinping ignorieren das Völkerrecht nicht nur, nein, sie wollen eine andere Weltordnung. Deutschland und seine Partner müssen sich dem entgegenstellen, sagt Christoph Heusgen, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und Experte für Sicherheitspolitik. Wie dies gelingen kann, erklärt Heusgen im Gespräch.

t-online: Herr Heusgen, Russland demontiert mit seinem Krieg gegen die Ukraine die Weltordnung, unterstützt wird es dabei von China. Sollten Deutschland und seine westlichen Verbündeten nicht eiligst neue Allianzen rund um den Globus schließen?

Christoph Heusgen: Wir brauchen schnell neue Allianzen, ja. Der russische Krieg gegen die Ukraine demonstriert dies noch einmal ganz eindeutig. Die globale Werteordnung steht auf dem Spiel, die Lage könnte kaum ernster sein. Andererseits bin ich mir nicht im Klaren, ob die Dringlichkeit zu handeln bereits überall bewusst ist.

Chinas Staatspräsident Xi Jinping machte neulich bei seinem Besuch in Moskau hingegen klar, dass er Wladimir Putin nicht fallen lassen wird.

Russland ist nun allerdings eindeutig der Juniorpartner, es herrscht kein Zweifel, dass China den Ton angibt. Entsprechend hat Xi Jinping großes Interesse, dass Wladimir Putin und sein Regime stabil bleiben. Ein Russland hingegen, das noch einmal eine Art Perestroika und eine Demokratie hervorbringt, wäre Chinas größter Albtraum. Denn dann würde sich Russland aus der Umklammerung befreien.

Der Konflikt spielt sich allerdings nicht nur zwischen Russland und China auf der einen Seite wie den Vereinigten Staaten und etwa Deutschland auf der anderen Seite ab.

Es geht um viel mehr, das ist richtig. Wir sollten uns keine Illusionen machen, diese heftige Auseinandersetzung spielt sich außerdem bei den Vereinten Nationen ab, in Afrika, Lateinamerika und in Asien.

Christoph Heusgen, Jahrgang 1955, ist seit 2022 Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. 1980 trat der promovierte Wirtschaftswissenschaftler in den Auswärtigen Dienst ein, ab 2005 beriet Heusgen die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Anschließend war der Diplomat von 2017 bis 2021 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen. Am 15. Februar 2023 erschien Heusgens Buch "Führung und Verantwortung. Angela Merkels Außenpolitik und Deutschlands künftige Rolle in der Welt".

Die Münchner Sicherheitskonferenz legte entsprechend auch einen Schwerpunkt auf den Dialog mit Staaten des sogenannten Globalen Südens.

Da war mir sehr wichtig. Mit Francia Márquez war etwa die kolumbianische Vizepräsidentin ebenso zu Gast wie mit Saara Kuugongelwa-Amadhila die Premierministerin Namibias. Zu Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine nehmen diese und viele andere Länder eine Äquidistanz ein. Wir wollen bei der Münchner Sicherheitskonferenz diese unterschiedlichen Positionen offenlegen und zu vertieften Diskussionen miteinander anregen.

Tatsächlich ist das kriegführende Russland weit weniger isoliert, als es die westlichen Staaten gerne hätten.

Den Begriff "Westen" verwende ich ungern. Denn dem "Westen" wird – leider oft zu Recht – Doppelmoral angelastet. Wenn wir Staaten auffordern, sich gegen Russland und seinen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine zu positionieren, lautet die Gegenfrage oft: Haben die USA mit ihrer Invasion des Irak 2003 nicht ebenfalls das Völkerrecht verletzt? Haben die Vereinigten Staaten in Mittelamerika von Grenada bis Panama nicht immer wieder interveniert – unter Missachtung der Charta der Vereinten Nationen? Nein, es geht nicht um den "Westen" oder "westliche Werte", es geht um die Verteidigung der regelbasierten internationalen Ordnung!

Wie können wir aber mit China konkurrieren, das – salopp gesagt – großzügig auf dem Globus Milliardensummen investiert und Autokraten keine "lästigen" Fragen nach Menschenrechten stellt?

Allein aus seiner Geschichte heraus hat Deutschland die Verpflichtung, auf die weltweite Durchsetzung von Menschenrechten hinzuwirken, als Mitglied der Vereinten Nationen sowieso. Deutschland hat insgesamt eine sehr gute Ausgangsposition. In meiner Zeit als Botschafter bei den Vereinten Nationen habe ich immer wieder erfahren, wie ausgezeichnet unser Ruf in zahlreichen Regionen der Welt ist. Das hat einerseits mit unserer Verlässlichkeit als Partner zu tun, aber auch damit, dass wir international zweitgrößter Geber von Entwicklungshilfe sind.

Nun macht aber nicht nur China Geschäfte mit autokratischen Regimen, sondern auch Deutschland. Saudi-Arabien wäre ein Beispiel.

Wir können uns nicht aus Ländern zurückziehen, die die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte nicht vollumfänglich umsetzen. Das ergibt wirtschaftlich keinen Sinn, würde uns auch jeglicher Einflussmöglichkeiten berauben.

Welchen Einfluss können wir denn ausüben?

Erstens dürfen wir keine Illusionen haben über die Staaten, mit denen wir Geschäfte machen. Zweitens müssen wir dabei darauf achten, dass unsere Standards Beachtung finden, Stichwort Lieferkettengesetz. Und drittens sollten wir immer im Auge behalten, wie wir durch unser Engagement demokratische Tendenzen im jeweiligen Partnerland stärken können – nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern durch nachhaltiges, partnerschaftliches Engagement. Wenn das Ganze dann aber mal nach hinten losgeht, sollten wir auch bereit sein, die Reißleine zu ziehen, wie wir es ja jetzt bei Russland getan haben.

In Polen und den baltischen Staaten herrscht allerdings bis heute Misstrauen gegen Deutschland, weil wir die Warnungen vor Russland aus dieser Richtung nicht ernst genug genommen haben.

In der Tat, da muss neues Vertrauen aufgebaut werden, wir haben zu lange an unseren Wunschträumen festgehalten.

Nun besucht Bundeskanzler Olaf Scholz immer wieder verschiedene Staaten, wie etwa Brasilien, um weiteres Vertrauen zu gewinnen.

Olaf Scholz macht genau das Richtige. Er reist viel nach Afrika, Asien und Lateinamerika. Strukturell muss da aber noch viel mehr erfolgen, Deutschland sich viel intensiver und kontinuierlicher in diesen Regionen engagieren. Egal, wohin Sie blicken, Demografie, Wirtschaft, Sicherheit, wir brauchen diese Partnerschaften. Unsere Prioritäten müssen neu ausgerichtet werden. Russland hingegen ist alles andere als ein verlässlicher Partner, das beweist der Krieg gegen die Ukraine.

Und auch China macht sich zunehmend unbeliebt.

China steht mit dem Völkerrecht auf Kriegsfuß. 2016 ist ein Schiedsgericht in Den Haag zum Urteil gelangt, dass die von Peking gestellten Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer nichtig seien, China ignoriert das Urteil. Auch das mit Großbritannien in Bezug auf Hongkong geschlossene Abkommen wird verletzt, und was der Bericht der Hohen Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen über die von Peking an Uiguren in Xinjiang begangenen Verbrechen schildert, ist bestürzend. Derartige Vorfälle demonstrieren Staaten in aller Welt, seien es Demokratien oder auch nicht, dass China kein Partner ist, der sich an internationales Recht hält.

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Was Xi Jinping vom internationalen Recht hält, demonstrierte er kürzlich: Nachdem ein internationaler Haftbefehl gegen Wladimir Putin ausgestellt worden ist, reiste Xi nach Moskau.

Wladimir Putin ist ein Outlaw – das ist die Botschaft des Haftbefehls gegen ihn, ausgestellt vom Internationalen Strafgerichtshof. Er befindet sich jetzt in einer Reihe mit den Despoten Gaddafi aus Libyen und Baschir aus dem Sudan. Die Verachtung des Völkerrechts haben Putin und Xi ja durchaus gemeinsam, außer sie missbrauchen es für ihre Zwecke.

Putin wollte Russland wieder "groß" machen, wie seine Propaganda posaunt, tatsächlich wird es aber eher ein Satellit Chinas.

Der amerikanische Senator John McCain hat Russland einmal als "Tankstelle" bezeichnet, ich würde mittlerweile noch etwas weiter gehen: Es ist die Discount-Tankstelle Chinas, denn Peking zahlt viel weniger für russische Energie als wir es getan haben. Insgesamt geht es mit Russland bergab, wirtschaftlich, demografisch und militärisch. Das ist auch aber eine Gelegenheit für Deutschland.

Wie meinen Sie das?

Russlands Niedergang bietet eine Chance – und zwar als mahnendes Beispiel, wohin eine derartige Politik führt. Deutschland und die Europäische Union sollten bessere Alternativen zur Vorgehensweise Putins aufzeigen.

Herr Heusgen, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Christoph Heusgen via Telefon
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